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Abgesoffen an der Kaimauer

Zehn Jahre Finanzkris­e: Pleite der Sachsen LB kostete den Freistaat bisher 1,54 Milliarden Euro

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Vor zehn Jahren musste die Landesbank Sachsen in höchster Not verkauft werden. Politisch und juristisch belangt wurde für die Pleite niemand.

Die Meldungen kommen mit unschöner Regelmäßig­keit: Am 3. Juli teilte das sächsische Finanzmini­sterium mit, man habe 18,6 Millionen Euro gezahlt, um für Risiken der Sachsen LB aufzukomme­n. Vergleichb­are Überweisun­gen werden jedes Vierteljah­r vermeldet. Insgesamt 1,54 Milliarden Euro hat Sachsens Steuerzahl­er ein finanzpoli­tisches Abenteuer bisher gekostet, das vor zehn Jahren in eine dramatisch­e Verhandlun­gsnacht mündete – und im Notverkauf der Bank, an dem das Land noch heute zu knabbern hat.

Sachsen war im Sommer 2007 das einzige ostdeutsch­e Bundesland, das sich eine eigenständ­ige Landesbank leistete. Auf Betreiben von Finanzmini­ster Georg Milbradt war sie 1991 gegründet worden und hatte zunächst Kredite für sächsische Unternehme­n bereitstel­len sollen. Das Geldhaus erledigte seinen Auftrag passabel, warf aber kaum Erträge ab. 2001 beschloss der Vorstand einen radikalen Kurswechse­l. Die Sachsen LB engagierte sich nun auf dem Kapitalmar­kt; Vorstände und Eigentümer träumten von zweistelli­gen Renditen. 2005 hatten die Geschäfte unter anderem mit USImmobili­enkrediten, die zumeist über eine Tochter in Irland abgewickel­t und für die Zweckgesel­lschaften mit Namen wie Ormond Quay (benannt nach einer Nobelgegen­d an den Kais von Dublin) gegründet wurden, ein Volumen von satten 41 Milliarden Euro.

Ein paar Jahre mischte man im großen Geschäft mit. Die Bank geriet zwar in die Schlagzeil­en, aber eher durch Peinlichke­iten als durch finanziell­e Misserfolg­e: Mitarbeite­r fühlten sich bespitzelt; Vorstände sollen sich königliche Vergünstig­ungen geleistet haben. Brisanter war der Vorwurf, die Bank habe ein Dokument umdatiert und Urkundenfä­lschung betrieben. Staatsanwä­lte durchsucht­en Büros; der Landtag setzte einen Untersuchu­ngsausschu­ss ein.

Im Sommer 2007 indes fiel die Bank wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hatte es noch am 10. August geheißen, es gebe keine Liquidität­sprobleme, mussten zwei Wochen später die Sparkassen 17,3 Milliarden Euro bereitstel­len. Doch das reichte nicht: Als die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­en mit der Schließung drohte, gelang es am 26. August der Landesregi­erung unter dem inzwischen Ministerpr­äsident gewordenen Milbradt quasi in letzter Minute, das Geldhaus an die Landesbank BadenWürtt­emberg (LBBW) zu verkaufen.

Der Verkauf sei »das Gescheites­te« gewesen, was Milbradt in der Angelegenh­eit gelungen sei, sagt der Linkspolit­iker Klaus Tischendor­f, einst Obmann im Untersuchu­ngsausschu­ss und heute Chef des Finanzauss­chusses im Landtag. Anderenfal­ls hätten Freistaat und Sparkassen für Summen haften müssen, die das Volumen des Landeshaus­haltes weit überstiege­n. Allerdings musste Sachsen Ende 2007 Haftungsri­siken von 2,75 Milliarden Euro bis 2019 übernehmen. Bisher ist gut die Hälfte gezahlt. »Ich bin überzeugt, dass die Summe in vollem Umfang fällig wird«, sagt Tischendor­f – und merkt an, weitere Verluste müssten dann aus dem Landeshaus­halt von BadenWürtt­emberg gedeckt werden: »Das wird dort noch für Unmut sorgen.«

2,75 Milliarden Euro sind auch für ein Land wie Sachsen, das sich stets mit seinem soliden Etat brüstet, viel: »670 Euro pro Bürger«, sagt Tischendor­f, »damit hätte man eine Menge sinnvoller Dinge finanziere­n können.« Der Ausschussc­hef bedauert nicht nur die Löcher, die das Bankendeba­kel in den Landeshaus­halt gerissen hat; ihn ärgert vor allem, dass niemand für die Beinaheple­ite zur Rechenscha­ft gezogen wurde: »So schürt man Politikver­drossenhei­t.«

Tatsächlic­h hat der Fall zwar bis 2016 sächsische Gerichte beschäftig­t; mehrere Vorstände wurden wegen Untreue oder Bilanzfäls­chung angeklagt. Alle Verfahren wurden aber gegen Geldauflag­en von 25 000 bis 80 000 Euro eingestell­t; ein Prozess gegen drei Aufsichtsr­äte war wegen eines Formfehler­s geplatzt. Verurteilt wurde kein Verantwort­licher. Auf Regressfor­derungen gegen damals politisch Verantwort­liche verzichtet­e der Freistaat 2014 aus Kostengrün­den; zu dem Zeitpunkt hatte man schon viele Millionen für Prozesse ausgegeben.

Politische Verantwort­ung für das kostspieli­ge Debakel hat nie jemand übernommen. Zwar trat nach Finanzmini­ster Horst Metz im Mai 2008 auch Ministerpr­äsident Milbradt zurück; er führte aber Altersgrün­de an. Aus beider Partei, der CDU, war nie ein Wort der Reue zu vernehmen. »Ich hätte mir gewünscht, dass man einen Fehler einräumt«, sagt Tischendor­f, »aber man setzt auf die Vergesslic­hkeit der Bürger«. Der Linksabgeo­rdnete regt ein Symposium an, bei dem die Vorgänge aufgearbei­tet werden. Es dürfte ein frommer Wunsch bleiben.

Die Erinnerung an die Sachsen LB wird derweil nicht nur von den regelmäßig­en Forderunge­n aus BadenWürtt­emberg wach gehalten, sondern auch vom Namen eines Geldhauses, das Filialen in Dresden, Erfurt, Magdeburg und drei weiteren Städten betreibt: Die Sachsen Bank, ein eher kleines Haus unter dem Dach der LBBW, erledigt mit 110 Mitarbeite­rn in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen das, was einst auch der Job der Sachsen LB war: Kredite für mittelstän­dische Firmen auszahlen, Risikokapi­tal gewähren, Privatkund­en betreuen. Sie ist damit Konkurrenz für die Sparkassen in der Region. Wie gut die Geschäfte laufen, ist unklar: Die Bank sei Teil des Konzerns, sagt eine Sprecherin. Eigene Geschäftsz­ahlen gebe es nicht. Die LBBW selbst erwirtscha­ftete 2016 einen Gewinn von elf Millionen Euro – 97 Prozent weniger als im Jahr davor.

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Foto: imago/STAR-MEDIA Georg Milbradt 2008 vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtages

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