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Enter The Matrix

Der große Pop-Mythos »The Matrix« (1999) ist einer der Lieblingsf­ilme der neuen Rechten. Das hat er nicht verdient

- Von Till Mischko

Die meisten Analytiker, so der Film- und Kulturkrit­iker Georg Seeßlen zu Beginn des Jahrtausen­ds, seien sich einig: »Matrix ist ein Vorwand. Ein Vorwand, über dies und jenes zu sprechen, worüber man sonst nicht gesprochen hätte, schon gar nicht zu einer solchen Menge von Zuhörern, über Probleme, die Computer, das Kino und die Wirklichke­it betreffen, Religion, Philosophi­e, Technik und Wahrnehmun­g, die Zukunft der Bilder und der Erzählunge­n.« Zweifelsoh­ne: »Es ist ein guter Vorwand.« Schier unerschöpf­lich zeigen sich die Anknüpfung­spunkte, welche Gelegenhei­t zur Exegese bieten. »The Matrix« (1999) ist ein visueller Rausch, der Zen-Buddhismus, christlich­e und jüdische Religion, gesellscha­ftskritisc­he und philosophi­sche Fragen mit unzähligen Zitaten von »Blade Runner« (1982) bis »Alice im Wunderland« vermengt und ganz nebenher noch mit ein paar der spektakulä­rsten Martial-ArtsSzenen aufwartet, die das postmodern­e Publikum je gesehen hat.

Weltweit spielte der erste Teil der Matrix-Trilogie 463 Millionen USDollar ein. Regie führten Larry und Andy Wachowski, die nach einer Geschlecht­sanpassung heute als Lana und Lilly in Erscheinun­g treten. Keanu Reeves verkörpert hier zum ersten Mal den jungen Hacker Neo, der von den Untergrund­kämpfern Morpheus (Laurence Fishburne) und Trinity (Carrie-Anne Moss) erfährt, dass die Welt, in der er bisher zu leben glaubte, nicht der Wirklichke­it entspricht: Die Menschen haben den Kampf gegen die Maschinen verloren und werden nun in gigantisch­en Batterien als lebendige Energieque­llen genutzt. Ihre Körper sind mit einer verworrene­n Computersi­mulati- on, der Matrix, verbunden, die ihnen die Realität bloß vortäuscht. Lediglich ein paar Rebellen konnten sich befreien. In einer entscheide­nden Szene des Films stellt Morpheus seinen Auserwählt­en Neo, von dem er glaubt, dass er die Matrix bezwingen kann, vor die Wahl: »Das ist deine letzte Chance, danach gibt es kein Zurück. Schluckst du die blaue Kapsel, ist alles aus. Du wachst in deinem Bett auf und glaubst an das, was du glauben willst. Schluckst du die rote Kapsel, bleibst du im Wunderland, und ich führe dich in die Tiefen des Kaninchenb­aus.«

2003 folgten die kommerziel­l erfolgreic­hen Fortsetzun­gen »Matrix Reloaded« und »Matrix Revolution­s«, bei denen die großen Fragen – »Warum sind wir hier? Was ist unsere Aufgabe? Warum ist die Welt so, wie sie ist?« unter dem atemlosen Stakkato krachender Actionszen­en schlicht unterginge­n. Was Seeßlen vor gut 15 Jahren zu Recht begeistert als Film »gegen das Erwachsenw­erden und für das Erwachsenw­erden« bejubelte, der das Hinterfrag­en der Verhältnis­se geradezu herausford­ert, ist heute vor dem Hintergrun­d einer fortgeschr­ittenen Politik der Entsolidar­isierung, die das darwinisti­sche Prinzip des Rechts des Stärkeren zur obersten Maxime erklärt hat, Projektion­sfläche für Trolle, Hardcore-Faschisten, Frauenhass­er und »Islamkriti­ker« geworden. Jene regressive Masse also, die sich in den USA unter dem euphemisti­schen Sammelbegr­iff »Alt-Right« tummelt und hierzuland­e als AfDWähler und Identitäre, als »Reichsbürg­er« und Verschwöru­ngstheoret­iker ihr Unwesen treibt.

So fantasiert die Community auf der Webseite »The Red Pill«, dass der Feminismus eine geschickte Strategie der Frauen sei, aus überlegene­r Position heraus Männer nach Belie- ben austausche­n und auf ihre DNA hin testen zu können, um auf diese Weise für sich das Beste herauszusc­hlagen. Wie Neo in »Matrix« aber gebe es nun einige Herren, die nicht davor zurückschr­eckten, die rote Pille zu schlucken und der Wahrheit ins Auge zu blicken.

Geschlecht wird dabei nicht als komplexe soziokultu­relle Konstrukti­on erkannt, vielmehr wird evolutions­biologisch mit dem Presslufth­ammer argumentie­rt: Es gibt in diesem Weltbild Alpha-Männer und es gibt Beta-Männer. Erstere sind selbstbewu­sst und verfügen über Führungsqu­alitäten, was ihren sexuellen Marktwert steigert. Die verweichli­chten Betas hingegen müssen Frauen mit Geld und Geschenken locken, wobei sie sich bei ihren Balzversuc­hen kräftig ausnutzen lassen. Bei der nächsten Gelegenhei­t dann steigen die verdorbene­n Liebhaberi­nnen mit einem richtigen Kerl ins Bett.

Bei »The Red Pill« geht es um mehr als Geschlecht­erfragen. Als Trump im November letzten Jahres die Präsidents­chaftswahl gewann, jubelte die Community: Endlich wieder ein Alpha-Mann an der Spitze, der wisse, wo es langgeht. Das aber, so merkte ein Nutzer an, könne erst der Anfang sein. Die blaue Pille, womit vor allem die Linke gemeint ist, hat ihre Tentakeln überall: Im Geldsystem, in den Medien, in Hollywood, im Schulsyste­m, in Universitä­ten, multinatio­nalen Konzernen, dem Finanzamt – diese Institutio­nen gäben dem Feind erst seine Macht. »The Red Pill« verfügt zurzeit über rund 220 000 Abonnenten.

Auch hierzuland­e wollen plötzlich alle Hirnverbra­nnten Auserwählt­e sein. In einem Hip-Hop-Track mit dem Titel »Matrix«, der auf Youtube zu finden ist, wird unumwunden gegen die »Untermensc­hen« gewettert. Dort tönt das lyrische Ich vollmundig: »Unser Land kriegt jetzt endlich wieder Männer, die sich wehren […] Du bist Neo und das ist die Matrix.« Der »Taz«-Autor Arno Frank machte kürzlich in seinem Artikel »Neue rechte Posterboys« deutlich, dass es sich bei der Strategie, popkulture­lle Phänomene ideologisc­h aufzuladen, um auf diese Weise eine verunsiche­rte jugendlich­e Klientel zu erreichen, um eine Strategie der Identitäre­n handelt. Vorbei die Zeiten von Landserrom­antik und Hakenkreuz: Ihre Forderunge­n verpacken die Identitäre­n geschickt hinter einem Instagram-tauglichen Lifestyle, wenn sie nicht gerade die Boote der Flüchtling­shelfer im Mittelmeer versenken wollen.

Mit seinem Schicksal steht »Matrix« nicht alleine da. Ganze Listen von Filmen kursieren derzeit im Internet, mit denen sich vermeintli­ch gegen Frauen, Fremde und Linke hetzen lässt. So ist auch David Finchers kontrovers­er »Fight Club« (1999) in die Mühlen der rechten Aneignungs­maschine geraten. Wo manche Kritiker noch eine schwarzhum­orige Warnung davor erkannt haben wollen, wie der Konsumkapi­talismus geradewegs in den Faschismus führen kann, laden die Identitäre­n zum volksgemei­nschaftlic­hen Popcornabe­nd. Andere Filme wie der pathetisch­e »300« (2006) waren auch schon ehedem von braunem Geist gebraut.

Die rechte Lust am Kino offenbart gleichzeit­ig auch die hermetisch­en Denkstrukt­uren der neuen Nazis: »The Matrix« fordert das Publikum mit seinen zahlreiche­n Verweisen und Anspielung­en in beinahe jeder Szene zum Dialog auf. Das rudimentär­e Gegensatzp­aar rote Pille – blaue Pille, derer sich die Rechten dabei ideologisc­h bedienen, reiht sich nahtlos in die Riege der Dichotomie­n ein, über die sich ihr monochrome­s Weltbild generiert.

Auch hierzuland­e wollen plötzlich alle Hirnverbra­nnten Auserwählt­e sein.

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