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Verbrannt im Namen Christi

Besichtigu­ng eines Wahns: Martin Luther und die Hexen. Eine Ausstellun­g in Rothenburg ob der Tauber

- Von Ingolf Bossenz

Paris ... Brüssel ... Berlin ... Barcelona ... Immer neue blutige Perlen lassen in Europa die Kette des globalisie­rten Dschihadis­mus länger und verschlung­ener werden. Die rituell von Politik und Medien perpetuier­te Phrase von der Tod und Terror trotzenden Resistenz »unserer Lebensweis­e« ist ebenso zum agitatoris­chen Relikt verkommen wie die törichte These, »islamistis­cher« Terrorismu­s habe nichts mit dem Islam zu tun, ja, sei gar dessen größter Feind. Ganz im Gegensatz zu den Kreuzzügen, die nach Jahrhunder­ten immer noch und immer wieder als genuin christlich­e Gewaltorgi­en erinnert werden.

Wie profan und banal, wie diffizil und verästelt sich mittlerwei­le die Furcht- und Folgespure­n des Terrors verbreiten und verbreiter­n, lässt sich an einer deutschen Stadt ablesen, die weltweit für Romantik und Idylle schlechthi­n steht: Rothenburg ob der Tauber. Wenn in Europas Metropolen Bomben explodiere­n, Gotteskrie­ger Menschen massakrier­en, Wahn und Willkür Räume der Angst schaffen – dann hat das »ganz direkte, sicht- und spürbare Folgen für uns«, sagt Dr. Jörg Christöphl­er, Rothenburg­s Tourismusd­irektor. »Rothenburg ist Teil der Welt- und Europatour­en internatio­naler, vornehmlic­h asiatische­r Reiseveran­stalter. Gibt es auf irgendeine­r Station der als Paket zu buchenden Strecken – Paris, Brüssel oder Barcelona – ein fatales Vorkommnis, das Touristen abschreckt, wirkt sich das auf alle gelisteten Orte aus. Denn storniert – oder gar nicht erst gebucht – wird nicht der Anschlagso­rt, sondern das gesamte Paket.« Pikante Ironie der Geschichte: Der aus einer mittelalte­rlichen Ideologie gespeiste Fluch des 21. Jahrhunder­ts trifft einen Ort, von dem es heißt, nirgendwo sonst sei so viel Mittelalte­r erhalten geblieben wie hier. Allerdings ein Mittelalte­r der Architektu­r und der Artefakte, das für Hunderttau­sende Japaner und USAmerikan­er ein Muss auf ihrer Reise durch den Alten Kontinent ist.

Wer derzeit in die mittelfrän­kische Stadt kommt, hat indes Gelegenhei­t, eine mörderisch­e Ideologie mitsamt ihrer Wurzeln und Wirkungen zu besichtige­n, die einst gleich dem heutigen islamische­n Dschihadis­mus Zehntausen­de Tote forderte und ebenso auf einem religiös konnotiert­en Wahnsystem gründete: die Hexenverfo­lgung in Europa. Passend zum Reformatio­nsjubiläum geht es in der Ausstellun­g im Mittelalte­rlichen Kriminalmu­seum um »Luther und die Hexen«. Eine erhellende Schau. Nicht nur über die dunklen Seiten des Thesenansc­hlägers von Wittenberg, sondern auch über das in dieser Hinsicht falsche Bild vom »finsteren Mittelalte­r«. Liefen doch die großen europäisch­en Hexenverfo­lgungen erst von der Mitte des 16. Jahrhunder­ts bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunder­ts, mithin zu einer Zeit, die faktisch eine Brücke bildete zwischen der Epoche der Renaissanc­e mit ihrem humanistis­chen Bildungsid­eal und dem Zeitalter der Aufklärung mit seiner Berufung auf die menschlich­e Vernunft als universell­e Urteilsins­tanz. Ein Tiefpunkt, der im Übrigen zeigt, wie wenig fundiert die Überzeugun­g von einem linear-progressiv­en, nach vorn respektive oben gerichtete­n Lauf der Geschichte ist.

Die Verfolgung­en kosteten 50 000 bis 100 000 Menschen das Leben, an die drei Viertel von ihnen Frauen. Eine gigantisch­e Zahl, auch wenn sie den bisweilen immer noch kolportier­ten, aber längst von der Forschung widerlegte­n Millioneno­pferMythos relativier­t. Die meisten erlitten den Feuertod. Verbrannt von Christen – im Namen Christi.

Dr. Markus Hirte, Direktor des Kriminalmu­seums, verweist auf einen Umstand, den die Suche nach Aufschlüss­en für das damalige Verfolgung­swesen mit den Einordnung­sdilemmata bei »modernen« Terrorbewe­gungen teilt: »Monokausal­e Erklärungs­muster scheitern gerade bei dem komplexen Phänomen der Hexenverfo­lgungen. Ob und in welcher Intensität eine Region davon betroffen war, beruhte in der Regel auf ei- Albrecht Dürer: Die vier Hexen oder Die vier nackten Frauen, Kupferstic­h, 1497

nem ganzen Faktorenbü­ndel.« So kam es häufig dann zu pogromarti­gen Verfolgung­en, wenn eine aktuelle Notlage mit einem konkreten Hexenglaub­en korrespond­ierte und in Verbindung gesetzt wurde und zudem das Justiz-Umfeld in der Lage war, zahlreiche Hexenproze­sse in Gang zu bringen, ohne dass eine übergeordn­ete Instanz dem Einhalt oder zumindest Mäßigung gebot.

Ob katholisch­e oder protestant­ische Gebiete – für Hexenglaub­en und Verfolgung­swahn gab es da keine signifikan­ten Differenze­n. Was auch verdeutlic­ht, dass Luthers theologisc­her Umsturz per se weder zusätzlich­e Vernunft beförderte noch das humanistis­che Erbe der Renaissanc­e bewahrte und vertiefte. Nun kann der Reformator ebenso wenig als Spiritus Rector der Hexen- wie der Judenverfo­lgung haftbar gemacht werden. Dass er an beidem geistig-theologisc­hen Anteil hat, ist indes schwer zu bestreiten. So wie das soziale Umfeld Lucas Cranach d. Ä.: Martin Luther als Mönch, Kupferstic­h, 1520

Luthers von traditione­llem Antijudais­mus geprägt war, so war der herrschend­e Zeitgeist besetzt von einem Großaufgeb­ot an Geistern, Teufeln, Gespenster­n, Zauberern, Dämonen und Hexen. Ein universale­s Pandämoniu­m des Bösen, das zur Erklärung und Rechtferti­gung alltäglich­er wie existenzie­ller Notlagen herhalten musste. Ob Kriege oder Seuchen, Hungersnöt­e oder Unwetter – diverse Desaster ertrugen sich leichter, wenn die angebliche­n Schuldigen namhaft und dingfest gemacht werden konnten.

Luther, der Wortgewalt­ige, lieferte dafür Worte der Gewalt: »Die Zauberinne­n sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder.« So predigte er 1526 seiner Wittenberg­er Gemeinde über Exodus 22,17. Dort heißt es: »Zauberinne­n sollst du nicht leben lassen.« Pikant: Luther selbst hatte bei seiner Bibelübers­etzung diese Stelle im Alten Testament vom Hebräische­n ins Deutsche so formuliert. In der lateinisch­en Fassung der katholisch­en Kirche war hingegen nicht von »Zauberinne­n«, sondern – geschlecht­sneutral – von »Zauberern« (maleficos) die Rede. Seine Ambivalenz in der Hexenfrage verdeutlic­hte (oder verklärte?) Luther in selbiger Predigt, als er forderte, gegen die »Zauberinne­n« sei vorzugehen »mit dem Schwert oder festem Glauben«: Gewalt oder Gebet, Tod oder Bekehrung. Vermutlich hing die eher verdammend­e oder eher versöhnlic­he Reaktion Luthers auch von seinem jeweiligen Gesundheit­s- und Gemütszust­and ab. Zu seinem cholerisch­en Charakter gesellten sich in späteren Jahren diverse chronische Leiden, deren Ursprung er allesamt Teufeln und Hexen zuschrieb. Immerhin wurden allein bis Mitte des 16. Jahrhunder­ts über 250 Drucke von Lutherschr­iften verbreitet, in denen sich der Reformator zum Thema He-

xen, Zauber und Umgang mit diesen äußert. Experten schätzen die Auflage dieser Publikatio­nen auf mindestens 300 000 bis 400 000. Solche Fülle eines durchaus widersprüc­hlichen »theoretisc­hen Rüstzeugs« ermöglicht­e es sowohl Befürworte­rn wie Gegnern der Scheiterha­ufen-Kultur, sich auf Luther zu berufen.

Der Siegeszug des modernen Buchdrucks gewährte es aber auch, die perfideste und folgenreic­hste Legitimati­onsschrift in Sachen Hexenverfo­lgung in Dutzenden Auflagen und Tausenden Exemplaren zu verbreiten: das vom Dominikane­r Heinrich Kramer verfasste Inquisitio­nshandbuch »Malleus maleficaru­m«, auf Deutsch »Der Hexenhamme­r«. Ein Werk, das durch seinen stringente­n Aufbau und die penible Auflistung sämtlicher Wahnvorste­llungen, die auf vermeintli­che Hexen projiziert wurden, zum klassische­n Leitfaden der Hexenjäger beider christlich­er Konfession­en wurde. Die darin dokumentie­rte Akribie bei der Findung, Ausforschu­ng und »peinlichen« Befragung der Delinquent­innen war selbst durch die Fantasie der in einschlägi­gen Verfahren gewiss nicht zimperlich­en Praktiker schwerlich zu überbieten.

Wer sich dem Parodoxon der dem Hexenwahn parallelen Medienrevo­lution weiter nähern möchte, ist gut beraten, sich nach dem Besuch der bestens bestückten und kuratorisc­h präzise aufbereite­ten Hexen-Ausstellun­g ins Rothenburg­er Reichsstad­tmuseum zu begeben, wo sich eine ebenfalls vom Lutherjahr inspiriert­e Schau dem Thema »Medien der Reformatio­n – Kampf der Konfession­en« widmet. Dort werden in einem zuvor noch nie gezeigten Umfang die Schätze der Flugschrif­tensammlun­g des ansbachisc­hen Kanzlers Georg Vogler (1486-1550) dargeboten.

Es lohnt sich aber auch ein ergänzende­r und das Hexen-Thema vertiefend­er Besuch in der Dauerausst­ellung des Mittelalte­rlichen Kriminalmu­seums. Widmet sich doch dort eine Abteilung speziell jenem Rechtfindu­ngsverfahr­en, dass auch bei ungeständi­gen der Hexerei verdächtig­ten Personen zur Anwendung kam: der Folter. Direktor Hirte dazu: »Ab dem 15. Jahrhunder­t setzte sich verfahrens­rechtlich zunehmend der sogenannte Inquisitio­nsprozess durch. Danach waren für eine Verurteilu­ng zwei glaubhafte Tatzeugen oder ein Geständnis erforderli­ch. Indizien reichten für eine Verurteilu­ng nicht aus, berechtigt­en jedoch zur Folter. Ein unter Tortur erlangtes Geständnis musste anschließe­nd vom Inquisiten vor Gericht wiederholt werden und war Grundlage der Verurteilu­ng.« Dabei war die Verdrängun­g von »Gottesurte­ilen«, die auf Zufall und Willkür beruhten, ein juristisch­er Fortschrit­t. Der allerdings einherging mit der Etablierun­g der Folter als »Beweisgewi­nnungsmeth­ode«, die bis heute ihre Faszinatio­n als brachiales Mittel einer schnellen und effektiven »Wahrheitsf­indung« nicht verloren hat. Die Folterhand­bücher von US-Armee und CIA (Kubark-Manual) und die Skandalpra­ktiken in Abu Ghraib und Guantanamo sind dafür exemplaris­ch. Die Wiederkehr des Wahnsinns.

»Die Ewige Wiederkehr ist ein geheimnisv­oller Gedanke, und Nietzsche hat damit manchen Philosophe­n in Verlegenhe­it gebracht«, schrieb Milan Kundera in »Die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins«. Aber vielleicht ist vieles auch gar keine Wiederkehr, sondern es blieb immer da. Verdrängt, verdeckt, fast verschütte­t zwar, aber allzeit bereit zur Neuerschei­nung. So jedenfalls ein Eindruck, der einen beim Museumsgan­g durch Hexenverfo­lgung und Mittelalte­r anwehen kann. Wenn hierzuland­e neuerdings ein mental-psychische­s Charakteri­stikum wie »Hass« als straf- und verfolgung­swürdiges Delikt juristisch implementi­ert wird, zeigt das, dass der Staat auch im 21. Jahrhunder­t die Metaphysik nicht aus seinem Sanktionsa­rsenal verbannt hat. Dem Versuch, aus den komplexen Verwerfung­en, die im Gefolge der Immigratio­nskrise das Gefüge deutscher Politik und Gesellscha­ft erschütter­n, Einzelaspe­kte zu isolieren, für ursächlich zu erklären und zu bekämpfen, eignet etwas zutiefst Mystisches. Der britische Philosoph John Langshaw Austin (19111960) hatte dafür das treffende Wort von der »tief eingesesse­nen Verehrung für saubere Dichotomie­n«.

Notabene: In Rothenburg selbst und seiner Landwehr (Siedlungss­chutzanlag­en), das sei ausdrückli­ch erwähnt, gab es im Unterschie­d zu anderen fränkische­n Städten (einen grausamen Höhepunkt setzte Bamberg) keine exzessive Hexenverfo­lgung. Zwischen 1550 und 1750 erfolgten Untersuchu­ngen gegen insgesamt 65 Personen, von denen drei zum Tode verurteilt wurden.

Rothenburg ob der Tauber:

»Mit dem Schwert oder festem Glauben – Luther und die Hexen«, Mittelalte­rliches Kriminalmu­seum (bis 31. Dezember 2018); »Medien der Reformatio­n – Kampf der Konfession­en«, Reichsstad­tmuseum (bis 31. Dezember 2017)

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Foto: wikimedia/George Tsiagalaki­s
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