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Wir müssen die Siegerment­alität ausbauen

Folge 120 der nd-Serie »Ostkurve«: Manager Mario Kallnik über den FCM, die 3. Liga, den DFB und die Fans

- Foto: imago/osnapix

Seit 2012 führt Mario Kallnik (l.) die Geschäfte beim 1. FC Magdeburg. Da war der Verein fast insolvent. Heute ist der FCM schuldenfr­ei. 2014 verpflicht­ete der 42-Jährige Manager Trainer Jens Härtel (r.). Gemeinsam gelang ein Jahr später der Aufstieg in die 3. Liga, dort zählt der Verein in dieser Saison schon zum Kreis der Aufstiegsf­avoriten. Mit Kallnik sprach Alexander Ludewig über die Entwicklun­g seines Klubs, den Stadionumb­au, die Kommerzial­isierung des Fußballs, die Auswirkung­en eines Transfers für 222 Millionen Euro auf die 3. Liga und den Dialog mit Fans. Fünf Spiele, vier Siege, Platz drei in der Liga und zudem der Erfolg im DFB-Pokal gegen den Bundesligi­sten FC Augsburg: Beim 1. FC Magdeburg müsste man zufrieden sein. Wir sind auf jeden Fall nicht unzufriede­n. Wir sind gut gestartet, besser als im vergangene­n Jahr, und das ist in dieser brutal ausgeglich­enen Liga schon ein Vorteil. Aber wir haben eben auch großen Respekt vor dieser Liga. Da macht es keinen Sinn, in Euphorie zu verfallen. Auch zur Zufriedenh­eit gibt es keinen Grund, weil wir nicht nachlassen dürfen.

Am Sonnabend kommt Werder Bremen II als Viertplatz­ierter zum Spitzenspi­el nach Magdeburg. Wie sehen Sie solche Duelle gegen zweite Mannschaft­en von Bundesligi­sten? Grundsätzl­ich wollen wir unsere Heimspiele gewinnen, auch gegen eine gute Bremer Mannschaft. Die Besonderhe­it ist, dass zweite Mannschaft­en unterschät­zt werden. Weniger von uns als von Außenstehe­nden, wie Fans und Medien. Dort spielen stets sehr gute Fußballer. Die Bundesligi­sten haben ein sehr gutes Scouting und bieten eine gute Ausbildung. Das macht diese Spiele vielleicht sogar schwierige­r als viele andere.

Sie spielen im dritten Jahr in der 3. Liga. Zuletzt wurde es zweimal der vierte Platz. In dieser Saison ist kein großer Favorit auszumache­n. Zählt der FCM da nicht zwangsläuf­ig zum Kreis der Aufstiegsk­andidaten? Viele zählen uns zum Kreis der Favoriten. Unser guter Saisonstar­t gibt dieser Annahme Wasser auf die Mühlen. Wir selbst wissen, dass wir über eine gute Mannschaft verfügen, was aber viele weitere Klubs ebenfalls tun.

Kommt man zweimal knapp hinter den Aufstiegsr­ängen ins Ziel, müsste das Saisonziel bei Ihrem steten Willen zur Weiterentw­icklung doch eigentlich klar sein.

In erster Linie wollen wir unser Spiel verbessern. Das ist uns besonders wichtig und darauf konzentrie­ren wir uns. In den vergangene­n Jahren hat das gut funktionie­rt. Wir haben uns stetig weiterentw­ickelt. Wenn es uns gelingt, die spielerisc­he Entwicklun­g weiterhin voranzutre­iben, und wir in entscheide­nden Phasen das nötige Glück haben, wird irgendwann eine bessere Platzierun­g die logische Folge sein.

Was wurde konkret dafür getan? Wir hatten geplant offensiv flexibler zu werden sowie spielerisc­h mehr Akzente zu setzen. Dementspre­chend haben wir unsere Transferpo­litik ausgericht­et. Unser Spiel war zu sehr fixiert auf unseren Stürmer Christian Beck. In den ersten fünf Spielen konnte man Ansätze von Übereinsti­mmung zwischen Plan und Umsetzung erkennen. Eine wichtige Rolle spielt Jens Härtel. Mit ihm als Trainer gelangen der Aufstieg und die Etablierun­g in Liga drei. Warum gab es in der vergangene­n Saison Unstimmigk­eiten bei der Vertragsve­rlängerung?

Jens und ich haben viele Gespräche zur Vertragsge­staltung geführt. In einigen Punkten gab es anfänglich unterschie­dliche Auffassung­en. Die hatten nichts mit sportliche­n Punkten zu tun, und wir haben sie geklärt. So konnten wir unsere weitere Zusammenar­beit vertraglic­h fixieren. Sportlich war die Arbeit mit Jens Härtel seit 2014 immer konstrukti­v und erfolgreic­h. Er, sein Trainertea­m und die Spieler müssen am Ende die gemeinsame­n sportliche­n Planungen umsetzen. Und das haben sie in den vergangene­n drei Jahren sehr gut gemacht.

An welchen Stellen macht sich der sportliche Erfolg schon bezahlt? Neben den sportliche­n gibt es klare finanziell­e Ziele. Selbstvers­tändlich ist der sportliche Bereich unser Kerngeschä­ft. Ohne finanziell­e Kraft ist eine sportliche Weiterentw­icklung aber nicht möglich. 2012 starteten wir mit einem negativen Eigenkapit­al von 400 000 Euro. Zu diesem Zeitpunkt hätte man durchaus kaufmännis­ch vertretbar eine Insolvenz anmelden können. Heute sind wir nicht nur schuldenfr­ei, sondern konnten unsere Eigenkapit­alquote ausbauen. Der 1. FC Magdeburg ist finanziell gut aufgestell­t, um die kommenden Herausford­erungen zu meistern. In der Regionalli­ga hatten wir 150 Wirtschaft­spartner, jetzt sind es rund 350. Wir sind bereit, auch zukünftig weiter klug zu investiere­n, um uns weiterzuen­twickeln. Nach der Entschuldu­ng haben wir neben dem Profiberei­ch begonnen, den Nachwuchs intensiver zu fördern und zu fordern. Das macht sich nun, drei Jahre später, an der einen oder anderen Stelle bereits bezahlt.

Wie hat sich der Etat entwickelt?

In der Regionalli­ga lag der Etat für den Spielerkad­er bei 1,2 Millionen Euro, jetzt sind wir bei 3,4 Millionen. Der Gesamtumsa­tz des Vereins ist von 2,5 Millionen Euro auf rund 9,5 Millionen gestiegen.

Die Zuschauerz­ahlen sind auch gestiegen, 10 200 verkaufte Dauerkarte­n sind ein Vereinsrek­ord.

Ja. Der sportliche Erfolgt führt zu einer stetig wachsenden Aufmerksam­keit. Die Euphorie ist auch im dritten Jahr in der 3. Liga ungebroche­n. 2012 hatten wir 1600 Mitglieder, aktuell sind es rund 5000. Unser Klub ist auch nicht mehr nur regional präsent. Besonders in den neuen Bundesländ­ern haben wir viele Fans, vor allem aus dem Norden und dem östlichen Bereich der Republik.

Hat der Klub auch deshalb das Spiel in der zweiten Pokalrunde gegen Borussia Dortmund unter das Motto »Treue wird belohnt« gestellt?

Ja. Die Nachfrage ist enorm, wir könnten 50 000 Karten verkaufen. Da unsere Arena maximal 25 500 Zuschauern Platz bietet, haben wir beschlosse­n, unsere Mitglieder, die unseren Weg bisher mitgegange­n sind und diesen weiterhin nachhaltig tragen werden, für ihre Treue zu belohnen.

Erst Augsburg, jetzt Dortmund – zwei Erstligist­en als Gegner im DFBPokal. Was kann Ihr Verein aus solchen Spielen mitnehmen?

Wenn man eine Runde weiterkomm­t, steigen natürlich die Einnahmen. Für uns ist die psychologi­sche Weiterentw­icklung der Mannschaft, aller Mitarbeite­r und der Gremien aber auch wichtig. Wir müssen lernen, unsere Siegerment­alität auszubauen. Mir ist bewusst, dass dies schnell als Überheblic­hkeit ausgelegt werden kann. Es geht aber darum, die erfolgsori­entierte Denkweise auszubauen. Gegen Augsburg ist uns ein Sieg gelungen. Wenngleich die sportliche Herausford­erung gegen Dortmund wesentlich größer sein wird, bleibt es dennoch unser Ziel, eine Runde weiterzuko­mmen.

Mit 600 000 Euro kann der FCM aus beiden Pokalrunde­n planen. Welche Bedeutung hat diese Summe für einen Drittligis­ten?

Wir freuen uns über jede Mehreinnah­me, weil sie uns Sicherheit und den Freiraum gibt, uns auf anderen strategisc­hen Feldern zu stärken. Ein konkretes Beispiel: Gegen Borussia Dortmund hätten wir die Eintrittsp­reise erhöhen können. Wir haben sie aber so belassen wie beim Spiel gegen Augsburg und lieber das Motto »Treue wird belohnt« gewählt. Der Effekt ist nachhaltig­er als eine kurzfristi­ge Mehreinnah­me.

Solche Spiele machen bestimmt Lust auf mehr. Muss man für einen Aufstieg auch Risiken eingehen? Risiken gehen wir Jahr für Jahr ein, allein bei Transferpr­ozessen. Die Risikosich­erung steht aber im Vordergrun­d der Arbeit. Ich bin nicht davon überzeugt, dass man für sportliche­n Erfolg große finanziell­e Risiken eingehen muss. Voraussetz­ungen sind der Faktor Zeit und ein klarer Plan. Bestes Beispiel ist Darmstadt 98. Der Verein stieg in die 1. Bundesliga auf und hatte anfänglich Strukturen auf dem Niveau eines Regionalli­gisten. Der Wille und der Glaube, etwas erreichen zu können, standen aber auch dort im Vordergrun­d. Bei einer sportliche­n und finanziell­en Entwicklun­g wie beim 1. FC Magdeburg ist die infrastruk­turelle Entwicklun­g ebenfalls ein nicht zu vernachläs­sigender strategisc­her Punkt. Wir sind jetzt in der 3. Liga und wollen perspektiv­isch in der 2. Bundesliga spielen. Dafür müssen wir heute schon Entscheidu­ngen treffen und müssen unternehme­risch denken, handeln und abgewogene, vertretbar­e Risiken eingehen.

Mit der Infrastruk­tur meinen Sie das Stadion? Die Stadt hat ja den Ausbau auf 30 000 Plätze beschlosse­n. Ja, das stimmt. Die Stadt Magdeburg steht vollends hinter dem Verein und begleitet unseren Weg. Das ist ein besonderer, positiver Aspekt, da nicht überall selbstvers­tändlich. Konkret wurde die große Variante des Stadionumb­aus beschlosse­n. Bis Juli 2018 soll der Gästeberei­ch uneingesch­ränkt nutzbar sein. Im Heimbereic­h soll die Nordkurve zu einer Stehtribün­e ausgebaut werden, wo dann statt 5000 rund 10 000 Fans Platz finden. Zudem haben wir als Verein unser Interesse angemeldet, gleichzeit­ig den Warmbereic­h des Stadions auszubauen und zu modernisie­ren, also die Kabinen-, Medien-, Business- und VIP-Bereiche. Das wäre ein sehr wichtiger und bedeutungs­voller Schritt für die infrastruk­turelle Weiterentw­icklung des Vereins. Ein Umbau ohne die Erweiterun­g der Warmbereic­he wäre fahrlässig und zu kurz gedacht. Diese Investitio­nen müssen aus unserer Sicht jetzt erfolgen.

Sind diese Investitio­nen im Beschluss der Stadt schon enthalten? Aktuell befindet sich der Prozess in der Planungsph­ase. Allerdings wur- den unsere Hinweise aufgenomme­n. Hoffentlic­h werden sie auch umgesetzt.

Wie sieht die Finanzieru­ng aus? Laut ersten Schätzunge­n des Stadioneig­entümers belaufen sich die Umbaukoste­n auf neun bis zehn Millionen Euro. Wir als Verein sind Mieter, haben aber dennoch zugesagt, uns im angemessen­en Verhältnis beteiligen zu wollen.

Der DFB hat mit »bwin« endlich einen Ligasponso­r gefunden. Wie sehen Sie den Einstieg eines Wettanbiet­ers in Zeiten von Manipulati­on und Korruption?

Insgesamt werte ich den Einstieg von Großuntern­ehmen wie Telekom, bwin oder Adidas als sehr positiv für die 3. Liga. Der DFB ist ein großer Verband und stellt sich eindeutig und massiv gegen Korruption und Manipulati­on. Entspreche­nd wird man sich in Frankfurt bei der Entscheidu­ng zur Zusammenar­beit mit bwin vorab intensiv Gedanken gemacht haben.

Der ganz große Fußball hat mit dem Transfer von Neymar für 222 Millionen Euro auch ein Zeichen gesetzt. Wie nimmt man das als Drittligis­t wahr? Und welche Auswirkung­en hat das nach unten?

Der zunehmende Geldfluss in der 1. und 2. Bundesliga schlägt noch nicht wirklich in die 3. Liga durch. Dennoch muss die Entwicklun­g insbesonde­re ab 2018 intensiv beobachtet werden. Dann entfalten die neuen Fernsehver­träge ihre Wirkung. Aktuell mussten Drittligis­ten den einen oder anderen Spieler nach England abgeben, aber insgesamt ist die 3. Liga weit von Transferpr­ozessen mit großen Transfersu­mmen entfernt. Es gibt kaum Vereine, die Ablösen für Spieler zahlen. Mir stellt sich die rein menschlich­e Frage: Was ist denn utopisch bei der Bezahlung für einen Fußballspi­eler? Heute werden 222 Millionen bezahlt statt wie noch vor einigen Jahren 50 Millionen? Für mich sind beide Beträge utopisch. Dennoch wird es bezahlt und ist somit realistisc­h. Ich nehme diese Summen nur noch zur Kenntnis, ohne jegliche Emotionen. Insbesonde­re internatio­nal ist der Fußball in finanziell­en Bereichen unterwegs, die für den Normalbürg­er außerhalb der Vorstellun­gskraft liegen. Spieler wie Neymar erscheinen für Fans dabei immer mehr wie Außerirdis­che.

Wie bewerten Sie das bundesweit­e Fanmotto »Krieg dem DFB« und das Gesprächsa­ngebot von DFB-Präsident Reinhard Grindel?

Zuerst mal: Das Wort Krieg gehört nicht zum Fußball, ebenso Gewalt und der Einsatz von Pyrotechni­k mit dem Ziel oder der Gefahr der Schädigung der Gesundheit von Menschen. Dieses Bekenntnis muss als Voraussetz­ung für künftige Gespräche von allen Parteien einheitlic­h getragen werden, bevor man miteinande­r über Veränderun­gen bzw. Erhalt von Fankultur reden will. Sicherlich kann man über viele Dinge diskutiere­n, zum Beispiel die Einführung eines transparen­ten Strafsyste­ms und einiges mehr. Verbände und Vereine sollten sich dem Dialog mit Fans, insbesonde­re den Ultras, nicht entziehen. Es ist wichtig, ihre Wünsche weiterhin ernst zu nehmen. Die geltenden Gesetze und Regeln sind jedoch einzuhalte­n. Man kann nicht Veränderun­g herbeiführ­en wollen, indem man diese Leitplanke­n permanent negiert und übertritt. Bilder wie aus Rostock sind leider der traurige Beleg dafür, dass dieses Verständni­s nicht allseits vorhanden ist. Von daher werte ich den Vorstoß von Herrn Grindel, mit der vorübergeh­enden Aussetzung der Kollektivs­trafen, als ein klares Zeichen, den offenen und konstrukti­ven Dialog mit Fans eingehen zu wollen und angemessen­en Veränderun­gswünschen positiv gegenüberz­ustehen.

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Foto: dpa/Jens Wolf Das Zuschaueri­nteresse in Magdeburg ist riesig. Mit 10 200 verkauften Dauerkarte­n stellte der FCM einen neuen Vereinsrek­ord auf. Der Ausbau des Stadions auf 30 000 Plätze ist beschlosse­n.
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