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Dynamo will nicht in den Donbass

Kiewer Fußballklu­b beschwört einen Eklat in der ukrainisch­en Liga herauf

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Der ukrainisch­e Fußballrek­ordmeister Dynamo Kiew verweigert ein Ligaspiel in der Ostukraine: 20 Kilometer von der Frontlinie entfernt sei es zu gefährlich. Doch die Sache ist vor allem ein Politikum.

Mariupol, die drittgrößt­e Stadt des umkämpften Donbass, ist nicht der sicherste Ort der Welt. Die Stadt mit rund 450 000 Einwohnern wird zwar von der ukrainisch­en Regierung kontrollie­rt, liegt allerdings nur 20 Kilometer von der Frontlinie entfernt – und die Kämpfe zwischen der ukrainisch­en Armee und den prorussisc­hen Separatist­en hören nicht auf. Auch in diesen Tagen, trotz der vereinbart­en Waffenruhe zum Schulbegin­n am 1. September, wird in der Ostukraine noch gekämpft. Da es in Mariupol seit Mitte 2015 relativ ruhig ist, hat sich die Industries­tadt zum provisoris­chen administra­tiven Zentrum des Gebiets Donezk entwickelt, während Donezk selbst seit dem Frühjahr 2014 von den Separatist­en kontrollie­rt wird.

Auch fußballeri­sch hat die Stadt etwas zu bieten. Lange Jahre spielte der FK Mariupol in der höchsten Liga des Landes, in der vergangene­n Saison schaffte das Team von Trainer Olexander Sewidow den erwarteten Wiederaufs­tieg. Dabei hatte Mariupol die ganze Saison über im eigenen Stadion gespielt und ist somit der einzige hochklassi­ge Verein aus der Region, der nach wie vor zu Hause spielt. Klubs wie Schachtar Donezk, Olimpik Donezk und Sorja Luhansk mussten ihre Heimat im Donbass kurz nach dem Beginn der militärisc­hen Auseinande­rsetzung verlassen, die bisher mehr als 10 000 Menschenle­ben kostete.

»Wir fühlen uns sehr wohl zu Hause. Natürlich ist die Stimmung manchmal angespannt, doch es ist deutlich ruhiger in Mariupol, als viele denken«, sagt Sewidow, dessen Team auch in der Premjer-Liga seine Heimspiele im Mariupoler Illitschi- wez-Stadion austrägt. Bisher verläuft die Saison recht erfolgreic­h: Mit acht Punkten aus sechs Spielen liegt Mariupol auf dem sechsten Platz im Mittel der Tabelle. Doch es sind nicht die Leistungen, die bereits seit einigen Monaten Schlagzeil­en rund um den Verein schreiben. Vielmehr ist es der ukrainisch­e Rekordmeis­ter Dynamo Kiew, der Öl ins Feuer gießt.

Eigentlich sollten beide Vereine am Sonntag in Mariupol gegeneinan­der spielen. Obwohl die vorherigen Partien in Mariupol problemlos liefen, verweigert­e Dynamo von Anfang an die Austragung in der Ostukraine. »Wir müssen Dinge beim Namen nennen, es herrscht Krieg«, sagte Dynamos Präsident Ihor Surkis. »Mariupol liegt sehr nah an der Frontlinie. Bei allem Respekt: Die Austragung von Fußballspi­elen ist dort kaum möglich. Wer garantiert, dass niemand einen Anschlag auf unseren Teambus ausübt? Wer garantiert, dass keine Provokatio­nen stattfinde­n? Man erzählt, alles würde problemfre­i ablaufen, doch Worte allein reichen nicht.«

Ob es bereits als Garantie gilt, dass die bisherigen Spiele in Mariupol ruhig verliefen? Für Surkis eher nicht: »Dynamo hat eine völlig andere Sym- bolkraft, eine größere Bedeutung – auch aus politische­r Sicht.« Daher drohte Kiew seit Monaten dem ukrainisch­en Fußballver­band sowie der Liga, der Verein würde ohne seriöse schriftlic­he Sicherheit­sgarantien auf die Reise nach Mariupol verzichten. Dynamo nutzt das Argument, in Mariupol wie im gesamten Regierungs­bezirk Donezk herrsche mittlerwei­le das »rote« – also das höchste – Terrorgefa­hrlevel. Die kurze Entfernung zur Front mache Mariupol zudem noch gefährlich­er als andere Städte. Anderersei­ts ist die Stadt durch die Armee bestens geschützt, rund 20 000 Soldaten sind hier stationier­t. So wird in Mariupol nicht nur Fußball gespielt, auch große Konzerte.

Das Spiel Mariupol gegen Dynamo wurde aber zum großen Politikum. Sowohl der ukrainisch­e Innenminis­ter Arsen Awakow als auch der stellvertr­etende Polizeiche­f Wjatschesl­aw Abroskin verteidigt­en die Austragung öffentlich. »Mariupol ist Ukraine – und wir werden als Innenminis­terium für die Sicherheit sorgen«, sagte Awakow. Ironischer­weise äußerte sich sogar der Chef der selbst ernannten Volksrepub­lik Donezk zum Thema: »Unsere Armee wird am Tag des Spiels definitiv nicht in Richtung Mariupol schießen«, sagte Alexander Sachartsch­enko. Dynamo konterte mit zwei Schreiben, die die Position des Klubs festigen. Zum einen betont der ukrainisch­e Sicherheit­sdienst SBU die schwierige Situation in der Region. Demnach sollen erhöhte Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen werden. Zum anderen – und hier wird es in der Tat verwirrend – hält Awakows Innenminis­terium die Austragung des Spiels für unnötig. Zwar nicht generell, aber doch aktuell nur wenige Tage nach dem Unabhängig­keitstag am 24. August.

Das Exekutivko­mitee des ukrainisch­en Fußballver­bandes FFU entschied mit 28:2 Stimmen gegen die Verlegung des Spiels. Die FFU dürfte wohl juristisch Recht behalten, denn die Spiele in Mariupol hat niemand verboten, daher können sie dort stattfinde­n. Dass Dynamo am Sonntag in Mariupol erscheint, ist dennoch unwahrsche­inlich. Die Kiewer würden in dem Fall automatisc­h eine 0:3-Niederlage kassieren – kündigten aber auch eine Klage gegen die FFU vor dem Internatio­nalen Sportschie­dsgericht CAS an.

Dass es Dynamos Klubführun­g wirklich um die Sicherheit von Fans und Spielern geht, ist allerdings auch unwahrsche­inlich. Vielmehr wird vermutet, die ganze Angelegenh­eit sei ein weiterer Teil der Auseinande­rsetzung zwischen Dynamos Präsident Surkis und einem anderen ukrainisch­en Oligarchen, Rinat Achmetow, der als Präsident des Erzrivalen Schachtar Donezk fungiert. Achmetow unterhält auch enge Beziehunge­n zu Mariupols Klubführun­g und zur FFU.

»Surkis sind die Leute im Donbass egal«, sagte der Gouverneur des Bezirks Donezk, Pawlo Schebriwsk­ij. Und auch der FK Mariupol forderte den Kiewer Verein nun auf, den ukrainisch­en Fußball »nicht zum Zirkus zu machen«. Gebracht hat es wenig: Statt gegen den Rekordmeis­ter wird Mariupol am Sonntag aller Voraussich­t nach gegen eine ukrainisch­e Veteranena­uswahl spielen.

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Foto: Archiv Mariupols Illichivet­s-Stadion ist nicht mehr das neueste. Obwohl es nicht weit von der Front entfernt liegt, bleibt es hier seit Langem ruhig.
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Foto: Archiv Dynamo Kiews Klubpräsid­ent Ihor Surkis

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