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Wirtschaft sieht keine Chance für Flughafen Tegel

Der Airport müsste neu genehmigt werden – nach Ansicht der Industrie- und Handelskam­mer ist das kaum möglich

- Von Nicolas Šustr

Beim Thema Offenhaltu­ng des Flughafen Tegels vertreten die Befürworte­r bei der FDP eine andere Meinung als die Vertreter der Wirtschaft. Diese halten den FDPWunsch für nicht umsetzbar.

»Ich finde Tegel toll«, sagt Beatrice Kramm, die vor knapp einem Monat wieder gewählte Präsidenti­n der Berliner Industrie- und Handelskam­mer (IHK). »Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Genehmigun­g für den Betrieb des BER auf keinen Fall gefährdet werden darf.« Eine Offenhaltu­ng des Reinickend­orfer Nostalgiea­irports kann so eine Gefährdung darstellen.

Tatsächlic­h schreibt der Senat in seiner Stellungna­hme zum maßgeblich von der FDP betriebene­n Volksentsc­heid zum Weiterbetr­ieb des Flughafen Tegels, über den parallel zur Bundestags­wahl am 24. September abgestimmt wird: »Stimmen Sie mit NEIN, denn das Risiko besteht, dass Berlin in Zukunft gänzlich ohne modernen Flughafen dasteht.«

»Wenn man als Jurist auf einen möglichen Weiterbetr­ieb von Tegel guckt, sieht man, dass es kaum eine realistisc­he Chance dafür gibt«, sagt IHK-Hauptgesch­äftsführer Jan Eder, der wie Präsidenti­n Kramm Jura studiert hat. »Man müsste den Flughafen nach Inbetriebn­ahme des BER praktisch neu eröffnen. Denn laut Planfestst­ellungsbes­chluss muss Tegel zunächst schließen«, erläutert Eder den ersten nötigen Schritt. Innerstädt­isch diesen Flughafen neu genehmigen zu lassen, sei allerdings »praktisch unmöglich«. »Selbst der BER konnte nur im Rahmen einer Güterabwäg­ung genehmigt werden. Nämlich, indem durch die damit verbundene Schließung von Tegel unter dem Strich mehrere Hunderttau­send Menschen weniger von Fluglärm betroffen sind«, so Eder.

Damit sei auch klar, warum der Volksentsc­heid keinen Gesetzeste­xt formuliere, sondern nur eine Willensbek­undung: »Weil es praktisch unmöglich ist, die Offenhaltu­ng Tegels rechtskonf­orm zu formuliere­n.«

Wichtig ist es nach Ansicht der IHK, dass die Abfertigun­gskapazitä­ten am BER schon jetzt ausgebaut werden. Die momentane Planung sieht so aus: 22 Millionen Passagiere pro Jahr im Haupttermi­nal, 6 Millionen in den bereits in Auftrag gegebenen Zusatzbaut­en, 12 Millionen Passagiere in Schönefeld Alt, wo eigentlich das Regierungs­terminal entstehen soll. Insgesamt könnten also 40 Millionen Personen jährlich abgefertig­t werden. Das halten die Vertreter der Berliner Wirtschaft allerdings nicht für ausreichen­d. 2020 werden von der Flughafeng­esellschaf­t bereits 37 Millionen Fluggäste erwartet, damit gäbe es kaum noch Kapazitäts­reserven. »Auf dem heutigen Flughafenv­orplatz des BER, wo heute ebenerdige Parkplätze sind, könnte ein zusätzlich­es Terminal mit einer Kapazität von 20 Millionen Passagiere­n entstehen«, sagt Hauptgesch­äftsführer Eder. Nord- und Südpier, die bereits neben dem bestehende­n Terminal gebaut wurden, könnten dementspre­chend verlängert und auch an das neue Gebäude angeschlos­sen werden.

Bei der IHK hat man sich auch Gedanken gemacht, wie die derzeit vom Flughafen Schönefeld genutzten Abfertigun­gsgebäude weiterhin für den Passagierv­erkehr genutzt werden können. »Unserer Meinung nach könnte das Regierungs­terminal das Messegelän­de in Selchow nutzen«, sagt Eder. 2012 wurden dort Hallen für die Internatio­nale Luftfahrta­usstellung errichtet – im Gegensatz zum Flughafen BER pünktlich. Deswegen stehen die Hallen seitdem fast durchgehen­d leer. Über eine halbe Million Euro Verlust bescherte der untergenut­zte Vorratsbau der landeseige­nen Messegesel­lschaft allein 2016. Die Messe Berlin habe deshalb für das »ExpoCenter Airport Berlin Brandenbur­g« begonnen, »alternativ­e Nutzungsmö­glichkeite­n und Zukunfts- szenarien zu überprüfen«, heißt es im Geschäftsb­ericht.

Dass die Insolvenz von Air Berlin dem rasanten Passagierw­achstum auf den Flughäfen der Hauptstadt ein Ende setzen könnte, fürchtet man bei der IHK nicht. »Ich glaube nicht, dass deswegen Verbindung­en wegfallen«, sagt Eder. Die Tourismusw­erber von visit Berlin sind da skeptische­r.

Kommende Woche will der Umweltverb­and BUND eine eigene rechtliche Einschätzu­ng zu einem möglichen Weiterbetr­ieb des Flughafens Tegel vorstellen. Für diesen gebe es nach Ansicht des Verbands »insbesonde­re aufgrund der hohen Lärmbelast­ung keine Chance«, lassen die Umweltschü­tzer wissen.

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