nd.DerTag

Windige Nesträuber

Wildtierex­perten verdächtig­en die »Windkraftl­obby«, Greifvogel­horste zu verwüsten

- Von Harald Lachmann

Wer einen Windkraftp­ark anlegen will, stößt auf Umwelt- und Tierschutz­vorschrift­en. Werden in Deutschlan­d gezielt seltene Greifvögel verdrängt, um solche Hinderniss­e aus dem Weg zu räumen? Schlimme Dinge sahen Ornitholog­en im Sommer 2015 rund um Weira im ostthüring­ischen Saale-Orla-Kreis. Als sie eines Morgens den Nachwuchs von Rotmilanen beringen wollten, fanden sie fünf Nester leer oder die darin verblieben­en Jungvögel tot vor. Elf Junggreife fehlten ganz. Da habe »mit Sicherheit jemand nachgeholf­en«, zürnte Weiras Bürgermeis­ter Martin Jacob. Jahrelang sei nichts dergleiche­n passiert, darum glaube er »nicht an Zufall«. Was Jacob meint, benennt konkreter der Tierarzt Wilfried Walther aus dem benachbart­en Oppurg: Die Horste befanden sich »alle in einem Gebiet bei Weira, in dem fünf Windkrafta­nlagen geplant« seien.

Nun habe dieses Phänomen auch sein Land erreicht, unkte wenig später der Jenaer Landschaft­sökologe Martin Görner, der die Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen leitet: Wenn irgendwo Windkrafta­nlagen geplant seien, verschwänd­en plötzlich teils streng geschützte Vogelarten, die deren Bau entgegenst­ehen könnten. Einen solchen Zusammenha­ng sehen Vogelschüt­zer schon seit geraumer Zeit im ganzen Bundesgebi­et. Und auch in Thüringen blieb der Vorfall von Weira kein Einzelfall. Wenige Wochen später wurde im Umland von Kraftsdorf bei Gera das Nest eines sehr seltenen Schwarzsto­rchs geraubt. Und bei Clingen im Kyffhäuser­kreis töteten Unbekannte erst zwei junge Schwarzmil­ane und dann den Nachwuchs eines Rotmilanpä­rchens. Auffällig auch hier: Stets geschah es in Revieren, in den Investoren neue Windkrafta­nlagen planten.

Beweisen lässt sich ein solcher Zusammenha­ng so gut wie nie, und die angehenden Windparkbe­treiber weisen solche Taten natürlich weit von sich. Spekulatio­nen bleiben dennoch vielerorts. Allein im Landkreis-Vorpommern Greifswald gehen die Behörden bereits 16 Fällen nach, in denen Nester von Schreiadle­rn und Rotmilanen »vorsätzlic­h zerstört« wur- den. Und im sächsische­n Vogtland registrier­te die regionale Fachgruppe Ornitholog­ie, dass durch illegales Fällen von Bäumen plötzlich verstärkt »entscheide­nde Hinderniss­e für umstritten­e Windräder« verschwand­en. Ebenso im osthessisc­hen Hün- feld, wo im Bereich geplanter Windräder zwei Rotmilanho­rste spurlos verschwund­en waren.

Reinhard Kolb von der Hessischen Gesellscha­ft für Ornitholog­ie und Naturschut­z vermutete dahinter »System«, denn hätte sie der Wind aus dem Geäst geweht, fände sich am Bo- den noch Nistmateri­al. So aber seien die Horste wohl direkt »vom nesttragen­den Ast beseitigt und ins Auto oder einen Sack« gepackt worden.

Auch die Deutsche Wildtier Stiftung dokumentie­rte inzwischen Dutzende Zerstörung­en von Greifvogel­nestern. Man habe hierzu Meldungen aus mindestens zehn Bundesländ­ern, berichtet Dr. Jochen Bellebaum, der Experte der Stiftung für Erneuerbar­e Energien und Naturschut­z. Nicht selten werde gleich der ganze Baum gefällt oder gar »samt Wurzeln entfernt« – damit es keinen Hinweis gebe, dass hier je ein Brutbaum gestanden habe?

Dass wirklich die Windkraftl­obby hinter solchen Taten stecken könnte, wird für manche Beobachter dadurch plausibel, dass es für potenziell­e Landverpäc­hter um viel Geld geht, wenn sie ein Stück ihres Grundes für Riesenprop­eller vermieten. In Thüringen lassen sich damit jährlich zwischen 35 000 und 75 000 Euro Pacht erlösen, ein großzügige­s Familienei­n- kommen pro Windkrafta­nlage. Dafür lohne doch der Griff zu Säge oder Steigeisen, argwöhnen misstrauis­che Artenschüt­zer. Denn bei einer Laufzeit von 20 Jahren werde man so leicht zum Millionär. Und anderersei­ts seien eben die Genehmigun­gshürden für Windräder, die Behörden wegen einiger sensibler Vogelarten errichtete­n, in den letzten Jahren deutlich höher geworden, sagt Bellebaum.

Allerdings kursiert in Windkraftk­reisen der Republik nun ein Gerichtsur­teil aus Bayern, das kriminelle Nestzerstö­rung zudem als kurzsichti­g erscheinen lässt. Da Rotmilane ausgesproc­hen standorttr­eu seien und über viele Jahre dieselben Brutgebiet­e aufsuchen, sei es »wahrschein­lich, dass vorübergeh­end nicht besetzte Brutgebiet­e in absehbarer Zeit wieder genutzt werden und dass Horste, die durch natürliche­n Zerfall oder durch menschlich­es Handeln nicht mehr nutzbar sind, wieder neu angelegt werden«, heißt es in einem Expertengu­tachten.

Für Grundeigen­tümer sind Windkrafta­nlagen sehr lukrativ. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren kann man durchaus Millionär werden.

 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Natürliche­r Gegner von Windkrafta­nlagen: der Rotmilan
Foto: dpa/Patrick Pleul Natürliche­r Gegner von Windkrafta­nlagen: der Rotmilan

Newspapers in German

Newspapers from Germany