Sieben Tage, sieben Nächte
Als Willy Brandt vor 50 Jahren auf den roten Knopf drückte, um das Fernsehen in Farbe zu tauchen, da war der rote Knopf im Fernsehen schon rot. Seitdem können Philosophen sich um eine neue Grundfrage kümmern: Was war zuerst da – das Farbfernsehen oder der Knopf, mit dem es eingeschaltet wurde?
Natürlich musste, nachdem der Westen 1967 im Fernsehduell in Führung gegangen war, die DDR unbedingt nachziehen. Es ist ja alles politisch. Die Sowjetunion war zuerst im All, die Amerikaner landeten zuerst auf dem Mond. Die DDR erzielte den Ausgleich im TV-Klassenkampf zwei Jahre nach Brandt, und weil gleichzeitig der Berliner Fernsehturm (Ost) in Betrieb genommen wurde, hatte das kleine Land seine Überlegenheit über den großen Westen bewiesen, denn der mickrige Funkturm (West) stand nun klar im Schatten. Walter Ulbricht hielt eine Rede, in der auch der Weltfrieden vorkam, und überhaupt war das Farbfernsehen nicht irgendein technischer Fortschritt, sondern in Beitrag zum 20. DDR-Geburtstag, wie »Neues Deutschland« auf Seite 1 mitteilte. Von der Aussichtsetage könne man bis zum Leninplatz sehen. Dass der Blick auch weit in den Westen reicht, blieb unerwähnt.
Allerdings wuchs mit dem beiderseitigen Bunt-TV noch nicht zusammen, was zusammengehörte (Willy Brandt), allein schon technisch, denn das Farbfernsehen West basierte auf einem anderen System als das Farbfernsehen Ost. PAL gegen SECAM – das war die Systemauseinandersetzung, die vielen Menschen nahe ging.
Für die neue bunte Fernsehwelt konzipierten die DDRFernsehmacher eine Samstagabend-Sendung, die ein Dauerbrenner wurde – »Ein Kessel Buntes« konnte selbstredend erst im Farbfernsehen stilecht gewaschen werden. Folgerichtig rief Erich Honecker später den Sozialismus in den Farben der DDR aus, dessen Übertragung in Schwarz-Weiß propagandistisch unglücklich gewesen wäre. Interessanterweise überlebte der Schwarze Kanal die SchwarzWeiß-Ära bei Weitem.
Überhaupt war die DDR auf ihre Weise nicht nur grau, wie überliefert, sondern auch bunt. Sie hatte zwar keine Rotlichtviertel, aber rote Fahnen; keine grüne Partei, aber den grünen Abbiegepfeil; keine Blauen Engel, aber blaue Hemden und den blauen Würger, einen berüchtigten Fusel. Trotz – oder wegen? – dieser Farbpracht wurde es den DDR-Bürgern irgendwann zu (Vorsicht, Kalauer) bunt. Das lässt sich mit dieser, na, Dialektik erklären. Die Älteren erinnern sich, dunkel.
Freilich war weder der real existierende Sozialismus noch die real existierende Marktwirtschaft so tiefenscharf, farbbrillant und pixeldurchflutet wie das heutige TV-Bild. Oder, wie neulich eine Zeitung titelte: »Ohne Farben wäre die Welt nur halb so bunt«. Wenn überhaupt.