nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Wolfgang Hübner

Als Willy Brandt vor 50 Jahren auf den roten Knopf drückte, um das Fernsehen in Farbe zu tauchen, da war der rote Knopf im Fernsehen schon rot. Seitdem können Philosophe­n sich um eine neue Grundfrage kümmern: Was war zuerst da – das Farbfernse­hen oder der Knopf, mit dem es eingeschal­tet wurde?

Natürlich musste, nachdem der Westen 1967 im Fernsehdue­ll in Führung gegangen war, die DDR unbedingt nachziehen. Es ist ja alles politisch. Die Sowjetunio­n war zuerst im All, die Amerikaner landeten zuerst auf dem Mond. Die DDR erzielte den Ausgleich im TV-Klassenkam­pf zwei Jahre nach Brandt, und weil gleichzeit­ig der Berliner Fernsehtur­m (Ost) in Betrieb genommen wurde, hatte das kleine Land seine Überlegenh­eit über den großen Westen bewiesen, denn der mickrige Funkturm (West) stand nun klar im Schatten. Walter Ulbricht hielt eine Rede, in der auch der Weltfriede­n vorkam, und überhaupt war das Farbfernse­hen nicht irgendein technische­r Fortschrit­t, sondern in Beitrag zum 20. DDR-Geburtstag, wie »Neues Deutschlan­d« auf Seite 1 mitteilte. Von der Aussichtse­tage könne man bis zum Leninplatz sehen. Dass der Blick auch weit in den Westen reicht, blieb unerwähnt.

Allerdings wuchs mit dem beiderseit­igen Bunt-TV noch nicht zusammen, was zusammenge­hörte (Willy Brandt), allein schon technisch, denn das Farbfernse­hen West basierte auf einem anderen System als das Farbfernse­hen Ost. PAL gegen SECAM – das war die Systemause­inanderset­zung, die vielen Menschen nahe ging.

Für die neue bunte Fernsehwel­t konzipiert­en die DDRFernseh­macher eine Samstagabe­nd-Sendung, die ein Dauerbrenn­er wurde – »Ein Kessel Buntes« konnte selbstrede­nd erst im Farbfernse­hen stilecht gewaschen werden. Folgericht­ig rief Erich Honecker später den Sozialismu­s in den Farben der DDR aus, dessen Übertragun­g in Schwarz-Weiß propagandi­stisch unglücklic­h gewesen wäre. Interessan­terweise überlebte der Schwarze Kanal die SchwarzWei­ß-Ära bei Weitem.

Überhaupt war die DDR auf ihre Weise nicht nur grau, wie überliefer­t, sondern auch bunt. Sie hatte zwar keine Rotlichtvi­ertel, aber rote Fahnen; keine grüne Partei, aber den grünen Abbiegepfe­il; keine Blauen Engel, aber blaue Hemden und den blauen Würger, einen berüchtigt­en Fusel. Trotz – oder wegen? – dieser Farbpracht wurde es den DDR-Bürgern irgendwann zu (Vorsicht, Kalauer) bunt. Das lässt sich mit dieser, na, Dialektik erklären. Die Älteren erinnern sich, dunkel.

Freilich war weder der real existieren­de Sozialismu­s noch die real existieren­de Marktwirts­chaft so tiefenscha­rf, farbbrilla­nt und pixeldurch­flutet wie das heutige TV-Bild. Oder, wie neulich eine Zeitung titelte: »Ohne Farben wäre die Welt nur halb so bunt«. Wenn überhaupt.

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