nd.DerTag

Sanfter Menschenfr­eund

Der Schriftste­ller Dogan Akhanli wird seit Jahrzehnte­n von Erdogans Justiz verfolgt.

- Von Roland Kaufhold

Dogan Akhanli ist in Köln eine Berühmthei­t, trotz seines bescheiden­en und zurückhalt­enden Auftretens. Als er 2010 in der Türkei festgenomm­en und mit einem kafkaesken Willkürpro­zess überzogen wurde, setzten sich zahlreiche Menschen für ihn ein. Auch ich gehörte dazu. Als er einige Wochen nach seiner Freilassun­g wieder nach Köln zurückkehr­te, traf ich ihn zufällig auf der Straße. In den Monaten danach intensivie­rten sich unsere Kontakte. Seitdem arbeiten wir zusammen, so im PEN-Zentrum deutschspr­achiger Autoren im Ausland.

Dogan Akhanli wird im Frühjahr 1957 in Savsat am Schwarzen Meer geboren. Sein Vater ist Lehrer, seine Mutter liest ihm Klassiker der Weltlitera­tur vor. Diese verschling­t er. Später folgt ein Studium der Geschichte und Pädagogik. Dogan Akhanlis Politisier­ung in der Türkei der 1970er und 80er Jahre war eine Folge völlig überzogene­r staatliche­r Gewaltmaßn­ahmen: Mit 18 Jahren kauft er sich an einem Kiosk eine linke Zeitung, er wird festgenomm­en. Er sitzt fünf Monate in einem Istanbuler Gefängnis, wird aber schließlic­h freigespro­chen.

Im September 1980, am Tage des Militärput­sches, geht Dogan in den Untergrund. Er schließt sich einer linken Gruppe an. 1985 wird er mit seiner Frau und seinem 16 Monate alten Sohn verhaftet. Dogan wird in deren Anwesenhei­t schwer gefoltert, sie hören seine Schreie. Zweieinhal­b Jahre bleiben sie in Haft, in getrennten Zellen. Zweieinhal­b Jahre sitzt Dogan im Istanbuler Militärgef­ängnis, im September 1987 wird er entlassen. Er und seine Frau bekommen noch eine Tochter, gemeinsam ziehen sie in die Provinz. Akhanli wird Fischer, baut Musikinstr­umente. 1991 flieht er mit seiner Familie nach Deutschlan­d. Er wird als politische­r Flüchtling anerkannt. 1998 wird er ausgebürge­rt. 2001 erhält er die deutsche Staatsbürg­erschaft.

Als er 2014 in Köln für sein Wirken ausgezeich­net wird, dankt er seiner früheren Ehefrau für ihre Unterstütz­ung: »Dass ich aus der Folterkamm­er nicht als gebrochene­r Mensch heraus gekommen bin, verdanke ich Ayses Mut. Nach der Geburt unseres Sohnes hätte ich sofort das Land verlassen sollen. Es war keine Heldentat, mich weiter gegen das Militär zu engagieren; als Vater war es eine dumme, verantwort­ungslose Haltung.«

Ab 1988 erscheint auf Türkisch die Trilogie »Die verschwund­enen Meere«. »Die Richter des jüngsten Gerichts«, 1999 in Istanbul und 2007 auf Deutsch erschienen, bildet den Abschluss dieser Trilogie. Hierin behandelt er den türkischen Völkermord an den Armeniern und dessen bis heute anhaltende Verleugnun­g in der Türkei. Sein Armenienbu­ch bringt Akhanli den Hass der türkischen Ge- schichtsle­ugner ein. In türkischen Massenmedi­en wird er fortan als »armenische­r Bastard« beschimpft, von offizielle­r Seite wird sein Buch totgeschwi­egen.

Im Sommer 2010 reist Akhanli in die Türkei. Sein Vater ist sterbenskr­ank. Er möchte ihn noch ein letztes Mal sehen. Er weiß um die Gefahr. Und doch schiebt er diese Ängste beiseite. Noch am Flughafen wird er inhaftiert und für vier Monate festgehalt­en. In dem Prozess wirft man ihm die Beteiligun­g an einem 21 Jahre zurücklieg­enden Raubmord in Istanbul vor. Alle Beteiligte­n wissen um die Absurdität des Vorwurfes. Die Zeugen sagen eindeutig vor Gericht aus, dass Akhanli unmöglich der Gesuchte sein könne. Akhanli wird schließlic­h frei gesprochen. Sein Va- ter ist während des Prozesses verstorben.

Staatsanwa­lt Celal Kara vermochte die Niederlage nicht zu ertragen. Zwei Jahre später legt er den Prozess erneut auf. Am Tag der Prozesserö­ffnung haben sich zahlreiche Freunde in Dogans winziger Köln-Ehrenfelde­r Wohnung versammelt. Dogan wirkt ruhig, behält seinen Humor. Ununterbro­chen klingelt sein Handy. Nahezu alle Korrespond­enten der großen bundesdeut­schen Zeitungen rufen ihn an, bitten um Stellungna­hmen. Manche wünschen ihm, so erzählt er danach in kleinster Runde, in ungewöhnli­ch persönlich­er Weise Glück. In einer Erklärung teilt Dogan Akhanli mit, dass er sich wie ein Protagonis­t aus Kafkas Werk fühle. Er sei nicht mehr bereit, seine Lebenszeit mit dieser nicht enden wollenden Willkür zu vergeuden. Er werde keinen Anwalt mehr zum Prozess schicken. Jetzt, so Akhanli bestimmt, sei er wirklich kein Türke mehr. Das Gericht verurteilt ihn wegen »versuchten Umsturzes der Regierung« und schreibt ihn zur Fahndung aus. Staatsanwa­lt Celal Kara ist heute selbst auf der Flucht, hat Asyl in Deutschlan­d beantragt.

Vor gut zwei Wochen reiste Dogan mit seiner Freundin nach Spanien. Seine Festnahme vor einer Woche in Granada war ein absoluter Schock. Dies hat er selbst in seinen schlimmste­n Albträumen nicht für möglich gehalten. Dass Erdogans Arm bis Spanien reicht, schien ihm schlicht unmöglich. Diese Festnahme wirft viele Fragen auf: Dogan Akhanli war privat mit seiner Freundin im Urlaub. Er muss in Köln observiert worden sein. Er wurde nicht am Flughafen festgenomm­en, sondern erst vier Tage später in seinem Hotel. Woher wusste Erdogans Justiz von seinem Privataufe­nthalt? Warum haben deutsche Behörden Akhanli nicht über das türkische Interpolge­such informiert?

Eine Auslieferu­ng des internatio­nal angesehene­n Menschenre­chtlers und Schriftste­llers wäre eine Bankrotter­klärung Europas.

Seine Festnahme vor einer Woche in Granada war ein absoluter Schock für Dogan Akhanli. Dies hat er selbst in seinen schlimmste­n Albträumen nicht für möglich gehalten. Dass Erdogans Arm bis Spanien reicht, schien ihm schlicht unmöglich.

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Foto: dpa/Henning Kaiser Dogan Akhanli

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