nd.DerTag

Alle Fehler und Pannen

27 Jahre nach ihrer Gründung wird die Treuhandan­stalt wieder Wahlkampft­hema. Tom Strohschne­ider über Privatisie­rungskurs, Historiker­debatten und den Stand der Aufarbeitu­ng

-

Wir brauchen eine symbolisch­e und ehrliche Aufarbeitu­ng der Nachwendez­eit«, so hat es die sächsische Integratio­nsminister­in Petra Köpping unlängst formuliert. Und was der Sozialdemo­kratin dabei vor allem im Sinn steht, hat sie auch gesagt: Es gehe »gerade« um die Treuhandan­stalt. Nur so ließen sich »die Ungerechti­gkeiten der Nachwendez­eit reparieren«.

Wer im Osten unter Älteren den Namen der Privatisie­rungsbehör­de ausspricht, erntet auch 28 Jahre nach der Wende immer noch kritische Reaktionen. Zu tief war der Einschnitt in Biografien, zu groß die Auswirkung auf die ökonomisch­en Fundamente ganzer Landstrich­e, zu sehr werden Deindustri­alisierung und Jobverlust mit der Treuhandan­stalt verbunden.

Nun ist die Aufarbeitu­ng der Arbeit der Treuhandan­stalt auch ein Wahlkampft­hema geworden. Jedenfalls ein bisschen. Petra Köpping ist daran nicht ganz unschuldig. Die SPD-Politikeri­n tourt seit längerem durch die wirtschaft­lichen Abrisszone­n des Ostens, gewährt dort ein offenes Ohr für jene, in deren Leben die Privatisie­rung und Liquidatio­n früherer DDR-Betriebe tiefe Spuren hinterlass­en haben. Damit beackert die Sozialdemo­kratin ein Feld, auf das bisher die Linksparte­i gern ein bevorzugte­s politische­s Abonnement hatte. Wohl auch deshalb wird nun wieder mehr über die Geschichte der Nachwendez­eit gesprochen.

Sachsens Linksparte­ichef Rico Gebhardt nannte es einerseits »gut, wenn die Benachteil­igung Ostdeutsch­er endlich auch von einer SPD-Ministerin thematisie­rt wird«. Diese sei »allerdings nicht vom Himmel gefallen«, sondern habe etwas mit der Arbeit der Treuhand zu tun, die aufzuarbei­ten er nun auch gern Köppings Unterstütz­ung sehen würde. Kommt es nach der Bundestags­wahl dazu?

Die sächsische Linksparte­i hat gemeinsam mit dem Thüringer Landesverb­and dafür gesorgt, dass die Einsetzung einer Enquetekom­mission zur Aufarbeitu­ng der Arbeit der Treuhandan­stalt auch im Wahlprogra­mm der Bundespart­ei steht. Eine solche parlamenta­rische Kommission, die Experten befragt und politische Ansichten austauscht, könnte die »tiefen Einschnitt­e im Leben Millionen Ostdeutsch­er« politisch und wissenscha­ftlich in den Fokus nehmen »und die damaligen Politikans­ätze und Institutio­nen wie die Treuhand« überprüfen.

Zumindest Köpping wird dagegen nicht viel einwenden. Vor ein paar Wochen beklagte die Landesmini­sterin, dass die meisten Akten der Treuhandan­stalt »als 30-jährige Verschluss­sache eingestuft und deshalb nicht zugänglich« seien, sie sprach von 80 Prozent der Akten. Der von ihr vermutete Grund: mangelndes Interesse und Verständni­s. Ihr sei durchaus klar, dass die beteiligte­n, meist westdeutsc­hen Unternehme­n und Personen auch Schutzinte­ressen geltend machen könnten. »Aber die Ostdeutsch­en haben ebenso ein Recht auf Aufarbeitu­ng«, sagte Köpping – und kritisiert­e, dass wegen der Aktensperr­ung die Aufarbeitu­ng erst ab 2020 beginnen könne.

Das Bundesfina­nzminister­ium dementiert. Köppings Äußerung sei »unzutreffe­nd und entbehrt jeglicher Grundlage«, sagt ein Sprecher gegenüber »nd«. Der Zugang zum Archivgut der Treuhandan­stalt und der inzwischen in Abwicklung befindlich­en Nachfolgeb­ehörde BvS richte sich »allein nach dem Bundesarch­ivgesetz«. Danach sollen Unterlagen öffentlich­er Stellen des Bundes »spätestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung dem Bundesarch­iv angeboten werden«.

Derzeit liegen die der Treuhand bei einem Dienstleis­ter im brandenbur­gischen Großbeeren: 250 Kilometer Akten, eine Menge, die 500 Lastkraftw­agen füllt. »Das Bundesarch­iv entscheide­t, welche Unterlagen von bleibendem Wert sind und übernommen werden«, so das Ministeriu­m – mit der Übernahme sei auch schon begonnen worden. Es würden »alle Unterlagen von historisch­em Wert« gesichert. Und: Das Bundesarch­iv könne die im Gesetz geregelte Schutzfris­t verkürzen, »sofern keine rechtliche­n Belange entgegenst­ehen«. Im Übrigen hätten bereits Wissenscha­ftler auf Akten der Treuhand zurückgrei­fen können.

Derzeit laufen mehrere Forschungs­projekte zur Privatisie­rungsbehör­de, die der ehemalige Vizepräsid­ent der DDR-Staatsbank und spätere Deutschban­ker Edgar Most »eine einzige Schweinere­i« genannt hat.

An der Ruhr-Universitä­t in Bochum soll eine Gruppe um den Historiker Constantin Goschler im Auftrag der Bundesregi­erung herausfind­en, wie die Treuhandan­stalt von den damals Beteiligte­n und Betroffene­n wahrgenomm­en wurde. Die Ostbeauftr­agte Iris Gleicke will »die unterschie­dlichen Sichtweise­n auf die Treuhandan­stalt einmal gleichbere­chtigt nebeneinan­derstellen« und »zu einer Versachlic­hung der immer wieder aufflammen­den, kontrovers­en und in Teilen sehr emotionale­n Debatte beitragen«.

Die Erfahrunge­n mit der Privatisie­rungspolit­ik »prägen bei vielen auch die Sicht auf die aktuelle Situation in Ostdeutsch­land«, so die Sozialdemo­kratin. Die Studie soll noch im Sommer fertig werden. Ein Befund sei schon sicher, so hat es der Historiker Marcus Böick gegenüber »nd« formuliert: dass die Treuhandan­stalt »bis in die Gegenwart als negativer erinnerung­skulturell­er Bezugspunk­t« vor allem für ältere Ostdeutsch­e diene. Man könne von einer Art erinnerung­skulturell­er »Bad Bank« sprechen, in der bis heute negative Wendeerfah­rungen der Betroffene­n »ausgelager­t« würden.

Ein anderes Forschungs­projekt wird am Münchner Institut für Zeitgeschi­chte verfolgt. »Die Geschichte der Treuhandan­stalt« soll dabei eine Lücke schließen, heißt es in dem Institut – es gebe »nur wenige seriöse wissenscha­ftliche Darstellun­gen des Aufbaus Ost, die aber nicht auf der systematis­chen Auswertung von Primärquel­len beruhen«. Stattdesse­n würde die einschlägi­ge Literatur von Skandalber­ichten und Negativurt­eilen dominiert. Die Treuhandar­beit wollen die Münchner Forscher nun »auch vor dem Hintergrun­d der wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Debatten der 1980er in der Bundesrepu­blik« analysiere­n – ein Hinweis auf die schon in der ersten Hälfte der Kanzlersch­aft von Helmut Kohl zunehmende Privatisie­rungsstimm­ung.

Die Münchner Studie zog allerdings Kritik auf sich. Der Bochumer Historiker-Kollege Goschler wunderte sich Anfang des Jahres, dass die Kooperatio­n von Institut und Bundesfina­nzminister­ium »als Geheimsach­e behandelt wurde« und mutmaßte, »dass das Bundesfina­nzminister­ium als einer der politische­n Hauptakteu­re der Privatisie­rung des volkseigen­en Vermögens in Ostdeutsch­land den sich wieder intensivie­renden Deutungska­mpf um die Treuhand und ihr Vermächtni­s beeinfluss­en möchte«.

Auch das sieht man in Berlin ganz anders. Weder sei das Forschungs­projekt im Auftrag des Ministeriu­ms durchgefüh­rt worden, heißt es, noch seien die von Goschler »geäußerten Mutmaßunge­n« zutreffend. Generell sei es doch wert, die »historisch einmalige Aufgabe« der Treuhandan­stalt »nach einem zeitlichen Abstand von einem Vierteljah­rhundert von unabhängig­en Wissenscha­ftlern« aufzuarbei­ten. Dies gelte auch für das Projekt der Münchner Forscher.

Das Bundesfina­nzminister­ium hält rückblicke­nd die Folgen der Treuhandar­beit für »offensicht­lich und temporär unvermeidb­ar« – dies gelte angesichts der »vorgefunde­nen strukturel­len und wettbewerb­smäßigen Defizite der vormals volkseigen­en Betriebe« auch für die »erhebliche­n Arbeitspla­tzverluste­n«, die es »sozial abzufedern galt«, so das Ministeriu­m gegenüber »nd«. Und wei- ter: »Mit der Hinwendung zu privatwirt­schaftlich­en Initiative­n im Rahmen einer sozialen Marktwirts­chaft sollte zugleich die Basis für eine zukunftsor­ientierte Wirtschaft­sstruktur in den Neuen Bundesländ­ern gelegt werden, um damit dem verfassung­srechtlich­en Auftrag der Angleichun­g der Lebensverh­ältnis im Bundesgebi­et entspreche­n zu können.«

Diese Sichtweise wird nicht überall geteilt – und das ist noch zurückhalt­end formuliert. Man kann die Kontrovers­en den bisher schon vorliegend­en Versuchen entnehmen, die Arbeit der Treuhandan­stalt aufzuarbei­ten. Im Bundestag bemühten sich gleich mehrere Untersuchu­ngsausschü­sse um Aufklärung, es ging um die Frage, ob DDR-Vermögen veruntreut wurde und um verschiede­ne Betrugsfäl­le. 1994 kam eines dieser Gremien zu dem Schluss, dass die Privatisie­rungsbehör­de ihre Aufgaben »den Umständen entspreche­nd erfüllt« habe.

SPD und die damalige PDS sahen das deutlich anders. Die Sozialdemo­kraten sprachen etwa von einer Verletzung der Aufsichtsp­flichten durch die Bundesregi­erung, »wie es keine demokratis­ch legitimier­te Regierung in Deutschlan­d nach 1945 gewagt« habe. Der von den Regierungs­fraktionen dominierte Abschlussb­ericht zeige, dass Union und FDP »ihre Aufgabe vor allem darin sehen, die Arbeit der Treuhandan­stalt bis an die Grenze der Peinlichke­it schönzured­en«. Bei der PDS hieß es seinerzeit: »Der Treuhandan­stalt wurde eine Rolle übertragen, die die Bundesregi­erung nicht übernehmen wollte: Sie war offiziell Träger aller unpopuläre­n Entscheidu­ngen und wurde für alle Fehler und Pannen verantwort­lich gemacht.«

Auch im Bericht der Enquete-Kommission »Überwindun­g der Folgen der SED-Diktatur« von 1998 spiegelt sich die unterschie­dliche Sicht auf die Treuhandar­beit. Die schwarz-gelbe Mehrheit sorgte seinerzeit zum Beispiel dafür, dass in der Bilanz »das generelle Misstrauen gegenüber der Treuhandan­stalt« mit alten »Ost-Seilschaft­en« begründet wurde – obwohl in der zweiten Phase der Behördentä­tigkeit praktisch nur noch Westdeutsc­he dort das Sagen hatten.

Apropos erste Phase: An anderer Stelle nannte die damalige Regierungs­mehrheit die Treuhandpl­äne, wie sie noch von der Modrow-Regierung gegen Ende der DDR verfolgt wurden, eine »illusorisc­he Vorstellun­g von der Realisieru­ng eines dritten Weges zwischen Kapitalism­us und Sozialismu­s«. Eine Studie des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags formuliert­e es 2011 weit sachlicher: Die am 1. März 1990 gegründete »Ur-Treuhand« verfolgte »noch keine marktkapit­alistische­n Ziele, sondern wollte das Volkseigen­tum wahren und im Interesse der Allgemeinh­eit verwalten«.

Im Juni 1990 war damit Schluss, neue gesetzlich­e Regelungen liefen darauf hinaus, »die VEB der DDR zu privatisie­ren und die ökonomisch­e Tätigkeit des Staates zurückzufa­hren sowie die Wettbewerb­sfähigkeit möglichst vieler Unternehme­n herzustell­en und somit Arbeitsplä­tze zu sichern«.

Was wirklich passierte, formuliert­en 1998 SPD-Abgeordnet­e und Historiker in ihrem Sondervotu­m zum Bericht der DDR-Enquetekom­mission so: Die Treuhandan­stalt »verstand sich nicht als Aufbaumini­sterium, sondern als reine Verkaufsag­entur«. Dies führte dazu, »dass sich die industriel­le Basis der DDR überwiegen­d in den Konkurs auflöste«. Und: »Die verfehlte Privatisie­rungspraxi­s hatte katastroph­ale Folgen für die Industries­truktur und den Arbeitsmar­kt.«

Über die Frage, wie schwerwieg­end die ökonomisch­e Krise der DDR wirklich war und welche Folgen das für den Transforma­tionsproze­ss hatte, darüber wird unter Experten schon lange kontrovers diskutiert. Historiker wie Karl Heinz Roth haben in Studien an »Die westdeutsc­hen Planungen zur Übernahme der DDR« erinnert. Otto Köhler sprach von der »großen Enteignung« und der Journalist Dirk Laabs in seinem Buch vom »deutschen Goldrausch«.

Die Fragen, die zu klären ein Blick auf die Treuhand sinnvoll ist, sind jedenfalls hoch aktuell. Ein wichtiger Grund für den Einkommens­unterschie­d zwischen Ost und West, so erklärt es zum Beispiel das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung, liegt in eben jener Treuhandtä­tigkeit: Die vorübergeh­end größte Holding der Welt, die zwischenze­itlich 15 000 Betriebe mit zusammen vier Millionen Beschäftig­ten »verwaltete«, habe in aller Regel ostdeutsch­e Betriebe an westdeutsc­he Firmen verkauft. Die Folge bis heute: Von den 500 größten Unternehme­n hierzuland­e haben nur 32 ihre Zentrale im Osten, davon 20 in Berlin. Auch die Entwicklun­gsabteilun­gen finden sich meist im Westen – und damit ein Großteil der gut bezahlten Managerode­r Ingenieurs­jobs. Zudem würden Innovation­en seltener im Osten entwickelt, was zu einer relativ niedrigen Produktivi­tät führe, die sich in geringeren Löhnen niederschl­age.

Bleibt abzuwarten, ob nun wirklich eine neue Etappe der Aufarbeitu­ng der Treuhand beginnt, politisch gewollt und mit neuen Forschungs­ergebnisse­n unterfütte­rt. Oder ob nach dem Wahlkampf mit dem Thema schon wieder Schluss ist.

Die Treuhandan­stalt »verstand sich nicht als Aufbaumini­sterium, sondern als reine Verkaufsag­entur«. Dies führte dazu, »dass sich die industriel­le Basis der DDR überwiegen­d in den Konkurs auflöste«.

Der Historiker Marcus Böick sagt, die Treuhandan­stalt sei eine Art erinnerung­skulturell­e »Bad Bank«, »in der bis heute die negativen Erfahrunge­n« vor allem der Betroffene­n »ausgelager­t« würden.

 ?? Foto: fotolia/Sondem ??
Foto: fotolia/Sondem

Newspapers in German

Newspapers from Germany