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Die Kraft des leeren Raumes

Vor 150 Jahren starb der britische Physiker und Naturphilo­soph Michael Faraday.

- Von Martin Koch

Dass wir heute fast überall drahtlos im Internet surfen können, verdanken wir letztlich einem Mann, der nie eine Universitä­t besuchte und sein ganzes Wissen autodidakt­isch erwarb: Michael Faraday. Der ehemalige Buchbinder­lehrling legte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­t den Grundstein für die Entdeckung der elektromag­netischen Wellen. Außerdem fand er heraus, dass ein Raum, der von leitfähige­m Material (Draht, Blech etc.) umschlosse­n ist, frei von elektrisch­en Feldern bleibt. Solche Faradaysch­en Käfige bilden zum Beispiel Autos und Flugzeuge, deren Insassen somit bei einem Gewitter vor Blitzeinsc­hlägen geschützt sind.

Faraday wurde am 22. September 1791 in Newington in der englischen Grafschaft Surrey als Sohn eines Hufschmied­s geboren. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr besuchte er die Tagesschul­e, wo er Lesen, Schreiben und Rechnen lernte. Danach arbeitete er als Laufbursch­e bei einem hugenottis­chen Auswandere­r, der in London einen Buchladen betrieb und den aufgeweckt­en Jungen als Buchbinder­lehrling übernahm. Sieben Jahre dauerte die Ausbildung, in der Faraday viele Bücher nicht nur sorgfältig mit einem Einband versah, sondern sie auch studierte. Unter anderem die »Gespräche über Chemie« von Jane Marcet, nach deren Lektüre er festhielt: »Einer Tatsache konnte ich vertrauen; einer Behauptung musste ich immer Einwände entgegenst­ellen. So prüfte ich Mrs. Marcets Buch durch kleine Versuche, zu deren Ausführung ich die Mittel hatte.«

Im Frühjahr 1812 hörte Faraday an der Royal Institutio­n vier Vorlesunge­n des Chemikers Humphrey Davy, der als Entdecker der Elemente Kalium, Natrium und Calcium in der Fachwelt hohes Ansehen genoss. Auch Faraday war beeindruck­t und bewarb sich bei Davy. Doch erst als dessen Laborgehil­fe 1813 wegen eines Streits entlassen wurde, konnte er die frei gewordene Stelle antreten. Noch im selben Jahr begleitete er Davy auf einer ausgedehnt­en Reise durch Europa und lernte dabei so bedeutende Gelehrte wie Alessandro Volta, André-Marie Ampère und Joseph Gay-Lussac kennen.

Nach London zurückgeke­hrt, durfte Faraday weiter an der Royal Institutio­n arbeiten. 1816 unterstütz­te er Davy bei der Konstrukti­on einer neuartigen Grubenlamp­e, in der die Flamme von einem engmaschig­en Drahtzylin­der umschlosse­n wird. Dieser nimmt die bei der Verbren- nung entstehend­e Wärme auf und verhindert dadurch, dass sich das gefürchtet­e Grubengas Methan entzündet und explodiert. Dringt Methan durch das Drahtgitte­r, so verbrennt es dort mit einer bläulichen Aureole, die eine Abschätzun­g des Methanante­ils erlaubt. Ein Nachteil der Lampe: Infolge des Drahtgitte­rs ist die Leuchtkraf­t vermindert.

Ab 1821 führte Faraday ein kleines Notizbuch, in dem er unter anderem Probleme formuliert­e, die ihm für eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng geeignet erschienen: die Natur der Kräfte und deren Umwandlung, die Verflüssig­ung von Gasen, das Wesen von Licht und Wärme. So- gar das Thema seiner letzten Versuche wird dort erwähnt: die Verwandlun­g von Schwerkraf­t in Elektrizit­ät.

Zunächst jedoch machte Faraday durch chemische Entdeckung­en von sich reden. Als er 1823 Chlorgas unter Druck erhitzte, verflüssig­te sich dieses. Damit hatte er den Beweis erbracht, dass Gase mehr als einen Aggregatzu­stand annehmen können und dass sich die Zustände fest, flüssig und gasförmig unter bestimmten Bedingunge­n ineinander überführen lassen. 1825 gewann er aus Brennöl eine farblose Flüssigkei­t, die er »Bicarburet of Hydrogen« nannte. Sie erhielt später die Bezeichnun­g Benzol und spielte eine herausrage­nde Rolle bei der Entwicklun­g der organische­n Chemie.

Am meisten fasziniert war Faraday von der Entdeckung der magnetisch­en Wirkung des elektrisch­en Stroms. Bereits 1820 hatte der dänische Physiker Hans Christian Oersted beobachtet, dass eine Kompassnad­el von einem stromdurch­flossenen Leiter abgelenkt wird. Faraday wiederholt­e das Experiment und konnte als Erster zeigen, dass ein stromdurch­flossener Draht um einen fixierten Magneten ebenso rotiert wie ein bewegliche­r Magnet um einen festen Leiter. Auf diesem Prinzip basiert der Elektromot­or.

Anschließe­nd wollte Faraday auch das Umgekehrte nachweisen, nämlich die elektrisch­e Wirkung eines Magneten. »Verwandle Magnetismu­s in Elektrizit­ät«, notierte er 1822. Doch es dauerte fast zehn Jahre, bis ihm dies gelang. In der Zwischenze­it war er – gegen den Widerstand­s Davys – in die Royal Society aufgenomme­n und zum Labordirek­tor der Royal Institutio­n ernannt worden. Ab 1827 hielt er sogenannte Weihnachts­vorlesunge­n für jugendlich­e Zuhörer, die bisweilen auch von Mitglieder­n des britischen Königshaus­es besucht wurden. Seine bekanntest­e Vorlesung war der »Naturgesch­ichte einer Kerze« gewidmet. Sie erschien 1861 als Buch und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Am 29. August 1831 führte Faraday schließlic­h jenes Experiment durch, das den Lauf der Geschichte nachhaltig verändern sollte. Zunächst wickelte er zwei getrennte Spulen aus Kupferdrah­t auf einen Eisenring. Dann verband er eine Spule mit einer Batterie und die andere mit einem Galvanomet­er. Jedes Mal, wenn er den Strom ein- oder ausschalte­te, schlug das Galvanomet­er aus. Faraday hatte die elektromag­netische Induktion und damit das Grundprinz­ip der Dynamomasc­hine entdeckt, die einige Jahrzehnte später den Weg zur Elektrifiz­ierung der Welt ebnete.

Um seine Ideen zu veranschau­lichen, bediente sich der mathematis­ch wenig beschlagen­e Faraday sogenannte­r Kraftlinie­n, wie sie etwa ein Magnet auf einer mit Feilspänen bestreuten Platte erzeugt. Anfangs sah er in diesen Linien nur fiktive Gebilde. Erst als er entdeckt hatte, dass ein Magnetfeld die Polarisati­onsebene des Lichts zu drehen vermag, schrieb er den Kraftlinie­n physikalis­che Realität zu. Entlang dieser Linien breite sich die elektromag­netische Kraft nicht augenblick­lich aus, postuliert­e Faraday, sondern von Raumelemen­t zu Raumelemen­t. Damit begründete er die Theorie des elektromag­netischen Feldes, die mathematis­ch auszuarbei­ten dem Schotten James Clerk Maxwell vorbehalte­n blieb.

Als Anhänger der romantisch­en Naturphilo­sophie war Faraday überzeugt, dass sich sämtliche Kräfte ineinander überführen lassen. Dabei bezog er auch die Gravitatio­n ein. Doch all seine Versuche, diese in Elektrizit­ät umzuwandel­n, scheiterte­n. Gleichwohl hegte er keinen Zweifel, »dass eine Beziehung zwischen Schwerkraf­t und Elektrizit­ät vorhanden ist«. Einer, der Faradays Ideen hier weiter verfolgte, war Albert Einstein. Aber auch er fand keinen Weg, Gravitatio­n und Elektromag­netismus in einer Theorie zu vereinen.

Weltweit hoch geachtet, starb Faraday am 25. August 1867 in Hampton Court, Middlesex. Doch anders als sein großer Landsmann Isaac Newton wurde er nicht in der Westminste­r Abbey beigesetzt – und zwar auf eigenen Wunsch. Denn Faraday gehörte zeitlebens den Sandemania­nern an, einer christlich­en Sekte, deren Mitglieder jegliche irdische Vergötteru­ng ablehnten.

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Repro: akg Faraday in seinem Laboratori­um in der Royal Institutio­n zu London (kolorierte­r Holzstich)

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