Der Falschparker-Jäger
Der Kampf gegen uneinsichtige Autofahrer kann zur Mission werden
Andreas Schwiede jagt Falschparker, er lässt sie abschleppen. Autofahrer sehen ihn als Denunzianten, Radfahrer freuen sich. Schwiede wälzt derweil eine größere Frage: Wem gehört der öffentliche Raum? Eigentlich ist Andreas Schwiede ein ruhiger, unauffälliger Mann. Tagsüber arbeitet er als Touristenführer in Berlin. Doch in seiner Freizeit legt sich Schwiede auf die Lauer. Er macht Jagd auf Falschparker. An diesem sommerlichen Juniabend hat er auf dem Parkplatz vor dem Rathaus Schöneberg Stellung bezogen. Vor ihm rollt der Feierabendverkehr langsam über die sechsspurige Martin-Luther-Straße. Doch dafür hat Schwiede keinen Blick – ihn interessiert nur der ruhende Verkehr. In einer Seitenstraße hat sein geübtes Auge schnell den ersten Falschparker entdeckt: Ein grauer VWKleinwagen versperrt dort den Radstreifen kurz vor der Kreuzung. Also greift Schwiede zum Telefon und wählt die 110. Schwiede ist Experte und kennt den Jargon der Beamten: Der Polizei meldet er deshalb auch keinen Falschparker, sondern eine VBH – eine Verkehrsbehinderung, die behoben werden muss.
Viele Autofahrer sehen ihn als rechthaberischen Wutbürger und Denunzianten – Radfahrer und Fußgänger dagegen freuen sich über die Unterstützung. Schwiede selbst fühlt sich als Kämpfer gegen das zunehmende Aufkommen parkender PKW. »Autofahrer stellen sich rotzfrech auf Rad- und Gehwege oder vor Feuerwehrzufahrten und eignen sich so immer mehr öffentliche Flächen an«, sagt der Aktivist. »Das will ich verhindern.« Begonnen hat sein Kampf gegen Falschparker schon vor 15 Jahren: Bei Stadtrundfahrten, die er als Touristenführer regelmäßig begleitet, hatten die Busfahrer immer wieder Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden, weil Autofahrer die Busstellplätze zuparkten.
Viel Zeit hat Schwiede seitdem jede Woche in seine Arbeit als Aktivist investiert – und sich professionalisiert: Über seinen Twitter-Account @Poliauwei versorgen ihn viele der mehr als 1600 Follower mit aktuellen Informationen. Dass er heute lieber aus sicherer Entfernung auf das Eintreffen der Polizei wartet, hat einen einfachen Grund: »Die Ecke hier ist dauerhaft zugeparkt, und das auch immer wieder von den gleichen Leuten«, sagt Schwiede. »Da kennt man mich schon. Wenn die Polizei sehen, wird auch oft gegenseitig gewarnt.« Kopfschüttelnd schaut Schwiede vom Parkplatz vor dem Rathaus Schöneberg auf die andere Seite der Straße, wo der graue VW noch immer den Radstreifen versperrt. »Hier auf dem Platz könnte man legal und kostenlos parken«, sagt Schwiede. »Hier gibt es gerade keinen Mangel an Parkplätzen, sondern zu wenig Hürden bei den Autofahrern.«
Als auch eine Stunde nach dem ersten Anruf noch kein Streifenwagen in Sicht ist, wird Schwiede langsam un- ruhig. Also greift er wieder zum Telefonhörer und wählt die 110, doch die Polizei verweist ihn ans Ordnungsamt. Schwiede ist genervt: »Die Leitstelle der Polizei versucht so etwas ans Ordnungsamt loszuwerden«, sagt er. Doch Gegenwind ist er längst gewohnt. Beim Ordnungsamt gibt man sich überrascht: Die Kollegin sei schon da gewesen, die Situation längst geklärt. Doch damit gibt sich Schwiede nicht zufrieden. »Dann schicken sie Ihre Leute nochmal hin«, verlangt er. »Erstens haben wir sie nicht gesehen, und zweitens haben sie den Radstreifen definitiv nicht freigemacht.«
20 Minuten später ist das Ordnungsamt wieder da. Im Laufschritt eilt Schwiede nun über die Straße hin zum Tatort. Die Frau vom Ordnungsamt muss tief durchatmen, als sie aus dem Auto steigt. Auch für sie ist Schwiede kein Unbekannter. Sie hat dem Falschparker ein Bußgeld ausgestellt, 20 Euro, für sie ist der Fall damit erledigt. Doch für Schwiede ist das längst nicht genug: »Sie sind Ihrer Arbeit nicht nachgekommen, Sie wollen ihn da jetzt nicht stehenlassen, oder! Ist das Ihr Ernst?«, ruft der Aktivist. Die Frau vom Ordnungsamt hat keine Lust, weiter zu streiten. Sie steigt zurück ins Auto, zieht die Tür zu, fährt weg. Auch der Falschparker macht sich aus dem Staub. Der Strafzettel über 20 Euro scheint ihn nicht zu stören. »Daran soll’s nicht scheitern«, ruft er noch beim Wegfahren. Zurück bleibt ein aufgebrachter Andreas Schwiede. »Der Typ hat gesehen: Die schreiben nur ein Knöllchen, das hast du jetzt, also kannst du stehenbleiben«, ärgert er sich. »Sie hätten die Behinderung beseitigen müssen.«
Aber muss die Polizei tatsächlich abschleppen, wenn ein Falschparker den Radweg versperrt? Ein Anruf bei der Berliner Polizei sorgt für Klarheit: »Die Voraussetzung für die Umsetzung ist die Anzeige einer konkreten Behinderung, dann wird auch umgesetzt.«, erklärt Polizeisprecher Martin Halweg. »Ein Knöllchen reicht dann nicht aus.« Abgeschleppt werden kann durch das Ordnungsamt oder die Polizei, beide sind zuständig für den »ruhenden Verkehr« – also auch für Falschparker. Nur: Im Berliner Verkehrsalltag sieht die Abschlepppraxis eben oft genug ganz anders aus. Das weiß niemand besser als Andreas Schwiede. Auch wenn es an diesem Tag nicht geklappt hat – Schwiede ist nervig, penetrant und resolut genug, die Behörden oft zum Einlenken zu bewegen. Das macht ihn zwar nicht unbedingt zum Sympathieträger bei den Beamten, aber in seiner Arbeit extrem erfolgreich: Viele hundert Fahrzeuge hat er so mit den Jahren abschleppen lassen.
Doch auch ein Einzelkämpfer wie Andreas Schwiede sucht Unterstützung. Deshalb gibt er seine Alltagsexpertise als Falschparkerjäger auch in Seminaren weiter. An einem Montagnachmittag treffen sich zwölf Leute auf Einladung des Fachverbandes Fußverkehr Deutschland FUSS e.V. in Kreuzberg. Schwiede hat eine Powerpoint-Präsentation seiner Arbeit mitgebracht, mit einem silbernen Laserpointer erklärt er die Verkehrsbilder: Falschparker auf dem Radweg, Falschparker auf dem Gehweg, Falschparker vor der Feuerwehrzufahrt. Viele der Teilnehmer haben damit schon ihre eigenen Erfahrungen gemacht: »Oft komme ich vom Bürgersteig nicht auf die Straße runter und muss weite Umwege nehmen, weil der abgesenkte Durchgang zugeparkt ist«, sagt FUSS-Bundesvorstand Karl-Heinz Ludewig, der im Rollstuhl sitzt. Auch eine sehbehinderte Frau erzählt, dass sie wegen falsch geparkter Autos häufig nicht die Straße alleine überqueren könne.
Also erklärt Schwiede, wie man einen Notruf an die Polizei richtig absetzt, eine Verkehrsbehinderung meldet und sich gegenüber der Polizei verhält – Argumentationstraining um Umgang mit den Beamten. »Es ist eine Ermutigung, den Ärger an die richtige Stelle zu bringen und dort für Abhilfe zu sorgen«, sagt Karl-Heinz Ludewig nach dem Workshop, auch wenn er nicht glaubt, dass Schwiedes Arbeit als Dauerlösung tauge.
Das sieht der Aktivist selbst genauso: »Mein Ziel ist, dass ich es irgendwann nicht mehr machen muss«, sagt Schwiede. Aber er findet auch: »Es ist wichtig, jetzt aktiv zu werden und nicht zu warten, bis es noch schlimmer wird, weil die Autofahrer sich immer mehr Flächen aneignen.« Selbst wenn er schon 15 Jahre dabei ist – der Kampf um den öffentlichen Raum hat für Andreas Schwiede gerade erst begonnen.
Geparkte Autos versperren Radfahrern und Fußgängern oft den Weg. Andreas Schwiede spürt in seiner Freizeit Falschparker auf und meldet sie der Polizei. Der Fahrradverband ADFC unterstützt den Aktivisten und kritisiert, dass die Polizei die Realität von Radfahrern zu wenig kennt. »Oft komme ich vom Bürgersteig nicht auf die Straße runter und muss weite Umwege nehmen, weil der abgesenkte Durchgang zugeparkt ist.« Karl-Heinz Ludewig, Rollstuhlfahrer, Bundesvorstand von FUSS