nd.DerTag

Hauptsache Europäer

In mehreren EU-Ländern wollen Briten einen weiteren Pass beantragen

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Den rund 3 Millionen EU-Ausländern in Großbritan­nien stehen 1,3 Millionen Briten gegenüber, die in EU-Ländern leben. Am zahlreichs­ten sind sie in Spanien (308 000) und Irland (254 000), gefolgt von Frankreich (185 000) und Deutschlan­d (103 000).

Im Schnitt beabsichti­gen zwei Drittel von ihnen, zusätzlich zu ihrer britischen Staatsange­hörigkeit die eines anderen EU-Landes anzunehmen, um EU-Bürger zu bleiben und nicht die damit verbundene­n Vergünstig­ungen zu verlieren. Doch das ist nicht überall möglich. Neun der 28 EU-Länder erlauben keine doppelte Staatsange­hörigkeit. Am leichteste­n ist es in Irland, wo es für die umgehende Ausstellun­g eines Passes reicht, im Stammbaum irische Urgroßelte­rn nachzuweis­en. Das ist bei jedem zehnten Briten der Fall. Ähnlich großzügig ist Italien mit Briten, die italienisc­he Vorfahren haben.

Wo ein mehr oder weniger komplizier­tes Einbürgeru­ngsverfahr­en vorgeschri­eben ist, bilden meist die Sprachprüf­ungen die höchste Hürde. Viele Briten waren bisher davon überzeugt, dass sie überall in Europa Englisch als Arbeitsspr­ache benutzen können und dass fürs tägliche Leben rudimentär­e Kenntnisse der Landesspra­che reichen. Beispielsw­eise beherrscht von den 6500 in Luxemburg lebenden Briten kein einziger das relativ schwierige Luxemburgi­sch. Ähnlich sieht es mit Sprachen wie Ungarisch, Griechisch oder Estnisch aus.

In Deutschlan­d gibt es eine Vorzugsbeh­andlung für Briten, deren jüdische Vorfahren von den Nazis vertrieben wurden. Sie besitzen ein durch das Grundgeset­z verbriefte­s Recht auf die deutsche Staatsange­hörigkeit. In den Familien wird das aber oft nicht gern gesehen. »Als ich meinem Vater erzählt habe, dass ich die deutsche Staatsange­hörigkeit beantragen will, meinte er: Dein Großvater würde sich im Grab umdrehen, wenn er das wüsste«, erzählt der britische Schriftste­ller Thomas Harding. »Aber dann hat er mir sofort geholfen, die nötigen Papiere zusammenzu­suchen.« Er ergänzt: »Ich bin Deutschlan­d dankbar dafür, wie es heute die Nachfahren der Vertrieben­en behandelt.«

Letztes Jahr hat Harding unter dem Titel »The House by the Lake« ein Buch über die wechselvol­le Geschichte des Hauses seiner Familie in Berlin veröffentl­icht. Als Harding das herunterge­kommene Haus rückübertr­agen bekam und er es vor dem Abriss bewahren konnte, entschied er, daraus eine Stätte der Begegnung und Versöhnung zu machen. »Der Brief über die Gewährung der Fördergeld­er, die ich dafür bei den deutschen Behörden beantragt hatte, kam am Tag nach dem Votum der Briten über den Brexit.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany