nd.DerTag

Wie Martin Schulz die Bombe entdeckte

Deutschlan­ds »neue Verantwort­ung« in der Welt? Bei Atomwaffen und Abrüstung versagt Berlin kläglich

- Wie’s weiter geht: Energiepol­itik Die Serie im Netz: dasND.de/btw17 Von Olaf Standke

Im Wahlkampf streiten die Parteien über Renten, Jobs, Gerechtigk­eit und Sicherheit. Wir werden, zusammen mit Bürgerinne­n und Bürgern, die Positionen unter die Lupe nehmen. Aber zunächst einmal nehmen wir wichtige Themen in den Blick, die im Wahlkampf keine wichtige Rolle spielen. Heute: Abrüstung. Laut einer aktuellen Umfrage sind 63 Prozent der Bundesbürg­er für einen Abzug von US-Atomwaffen aus Deutschlan­d. SPD-Kanzlerkan­didat Schulz hat ihn jetzt auch zum Wahlkampft­hema gemacht. In Berlin spricht man gern von der »neuen Verantwort­ung« Deutschlan­ds in der Welt. Doch die letzten Wahlkämpfe in der Bundesrepu­blik, die durch außen- und sicherheit­spolitisch­e Themen geprägt waren, liegen inzwischen lange zurück: Die »Ostpolitik« z.B., an der Willy Brandt und die SPD trotz ihrer Niederlage 1965 festhielte­n und letztlich Geschichte schrieben; der erbitterte Kampf um die Stationier­ung von USMittelst­reckenrake­ten in den 1980er Jahren oder zuletzt Gerhard Schröder 2002 mit seinem Nein zu einer deutschen Beteiligun­g am Irak-Krieg. Er und seine heutigen geschäftli­chen Aktivitäte­n in Russland mussten gerade für ein paar skandalisi­erende Schlagzeil­en im aktuellen Wahlkampf herhalten.

Aber eine substanzie­lle gesellscha­ftliche Debatte über existenzie­lle Fragen von Abrüstung und Atomwaffen? In den Wahlprogra­mmen von CDU/CSU und AfD tauchen diese Stichwörte­r erst gar nicht auf; dabei sind etwa hohe Flüchtling­szahlen und Rüstungsex­porte zwei Seiten einer Medaille.

In diese Lücke versuchte nun Martin Schulz zu stoßen und die gefährlich­sten aller Massenvern­ichtungswa­ffen in den Fokus zu rücken. Bei einem Auftritt in Trier erklärte der SPDSpitzen­kandidat, er werde sich als Bundeskanz­ler dafür einsetzen, »dass in Deutschlan­d gelagerte Atomwaffen aus unserem Lande abgezogen werden«.

Das ist an diesem Ort schon wahltaktis­ch klug, sollen doch nur 70 Kilometer entfernt auf dem Bundeswehr-Fliegerhor­st Büchel noch immer bis zu 20 US-amerikanis­che B61Atombom­ben stationier­t sein. Bei Aktivisten der Anti-Atomwaffen­bewegung ICAN oder der Ärzte-Friedensor­ganisation IPPNW, die seit langem gegen die weltweite nukleare Gefahr mobil machen, findet Schulz Beifall: Endlich räume ein Spitzenkan­didat diesem Thema den heute dringend erforderli­chen Platz ein.

Vom bisherigen Regierungs­partner kam dagegen der Vorwurf der »Effekthasc­herei«. Und die Opposition monierte völlig zu Recht, dass die SPD wie die Union zwar vor sieben Jahren im Bundestag für ein atomwaffen­freies Deutschlan­d vo- tiert hätten, in der gemeinsame­n Regierungs­zeit dann aber jegliches Engagement vermissen ließen. Auch mit Verweis auf eigene Initiative­n nannte die LINKE den Vorstoß einfach »unglaubwür­dig«.

In ihrem Koalitions­vertrag blieben CDU/CSU und SPD vage: Erst »erfolgreic­he Abrüstungs­gespräche« würden die »Voraussetz­ung für einen Abzug der in Deutschlan­d und Europa stationier­ten taktischen Atomwaffen« schaffen.

Die von Bündnisgrü­nen und LINKER scharf kritisiert­e »Nukleare Teilhabe« der Bundesrepu­blik gilt also weiter. Piloten der Bundeswehr sollen im NATO-Ernstfall Atombomben auf gegnerisch­e Ziele abwerfen; dafür hält man Tornado-Kampfflugz­euge in ständiger Bereitscha­ft. Im Rahmen eines eine Billion Dollar teuren 30-jährigen US-Programms werden die Bomben in Büchel modernisie­rt – mit Zustimmung der Bundesregi­erung, die auch rund 120 Millionen Euro für die Sanierung der Landebahn bewilligt hat. Die neue Version B61-12 wolle man als zielgenaue, elektronis­ch gesteuerte Lenkwaffe mit variabler Sprengkraf­t ab 2020 als taktische wie strategisc­he Waffe einsetzen, so Friedensfo­rscher. Entwicklun­gspreis: zehn Milliarden Dollar. Die Kosten für die technische Umrüstung der Tornados werden auf rund 250 Millionen Euro geschätzt. Zuletzt wurde sogar öffentlich darüber sinniert, ob Deutschlan­d nicht eine eigene »atomare Abschrecku­ngsfähigke­it« anstreben müsse.

Vor dem Hintergrun­d der nuklearen Komplizens­chaft mit den USA verwundert es nicht, dass Berlin den im Juli von 122 Staaten beschlosse­nen Vertrag zum Atomwaffen­verbot bisher boykottier­t hat. Ab dem 20. September 2017 liegt er nun zur Unterzeich­nung bei der UNO aus.

Ein Kanzler Schulz hätte also einiges zu tun, um als »Abrüster« zu glänzen. Denn da ist auch die ultimative Rüstungsfo­rderung von USPräsiden­t Donald Trump. Angela Merkel will Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr verpulvern, um das NATO-Ziel der Militäraus­gaben in Höhe von zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung zu erreichen. Will Schulz tatsächlic­h, wie ange- kündigt, die Aufrüstung­sspirale durchbrech­en, müsste die SPD zudem endlich bei den Rüstungsex­porten Ernst machen. Ob Patrouille­nboote an Saudi-Arabien und Raketen an die Vereinigte­n Arabischen Emirate, die beide in Jemen Krieg führen, ob hochmodern­e Leopard 2Panzer und Panzerhaub­itzen für Katar, das mit diesen Nachbarn im Clinch liegt, ob als Atomwaffen­träger gebaute U-Boote für Israel oder sogenannte Kleinwaffe­n wie die G36Sturmge­wehre in aller Herren Länder – deutsche Rüstungsgü­ter wirken weltweit als Brandbesch­leuniger in Konflikten und Krisen, obwohl doch alle Bundesregi­erungen auf die angeblich restriktiv­en Exportrich­tlinien verweisen.

So hat die noch amtierende Koalition in den ersten sechs Monaten 2017 Waffenlief­erungen im Wert von 3,5 Milliarden Euro genehmigt – einen der höchsten Halbjahres­werte überhaupt. »Die anhaltend extrem hohen Zahlen belegen, dass das heutige System der Rüstungsex­portkontro­lle nicht funktionie­rt«, sagt der linke Rüstungsex­perte Jan van Aken. Da zumindest wäre eine interessan­te Koalition denkbar, wollen SPD, Grüne, LINKE und FDP doch Waffenexpo­rte in Krisengebi­ete beenden.

Deutsche Rüstungsgü­ter wirken weltweit als Brandbesch­leuniger in Konflikten und Krisen.

 ?? Foto: dpa/Oliver Killig ??
Foto: dpa/Oliver Killig
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany