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Rote Linie am Tatort der Klimaverge­hen

Protest mit Menschenke­tte und Blockaden im Rheinische­n Braunkohle­revier / Bündnis kündigt Aktionen zur Klimakonfe­renz im November an

- Von Sebastian Weiermann

Kundgebung­en, Gleisblock­aden und eine »Rote Linie« – am Samstag zeigten die Teilnehmer an drei Klimacamps im Rheinland, dass sie sich nicht abfinden mit dem Kohleabbau in der Region. Dichter Nebel liegt über dem Klimacamp bei Erkelenz. Auf der großen Campwiese sieht man die Hand vor Augen nicht. Aber überall laufen emsige Vorarbeite­n für den zentralen Aktionstag gegen die Braunkohle­verstromun­g an diesem Samstag. Teilnehmer, die zur »Ende Gelände«-Aktion gehen wollen, besorgen sich noch schnell einen weißen Maleranzug und besprechen sich in ihrer Kleingrupp­e. Andere füllen die Satteltasc­hen ihrer Fahrräder mit Wasser und Essen auf oder bringen politische Botschafte­n an den Rädern an. An der Landstraße, die zum Camp führt, herrscht ein munteres Chaos. »Habt ihr noch einen Platz zur Roten Linie?« oder »Wer mit will zu ›Kohle erSetzen‹, wir haben noch drei Plätze frei«, sind Sätze, die zu hören sind. Da das Klimacamp nur einen sehr ungünstig gelegenen Platz bekommen hat, steht erst einmal ein logistisch­er Kraftakt vor den Organisato­ren. Das Rheinische Braunkohle­revier ist groß und am Samstag war Protest an unterschie­dlichen Orten geplant. Am Sonntag besetzten im Tagebau Garzweiler elf Braunkohle­gegner kurzzeitig einen stillstehe­nden Bagger.

Zur größten Aktion wurde die »Rote Linie« im Hambacher Forst mit rund 3000 Teilnehmer­n. Symbolisch zogen sie eine Linie aus Menschen in roten Kleidungss­tücken und mit roten Transparen­ten zwischen der Abbaukante des Tagebaus und dem verblieben­en Stück des Hambacher Forstes, der Jahrzehnte lang als Naherholun­gsgebiet gedient hatte. Über zwei Kilometer lang war die Kette, die die Botschaft symbolisie­rte: Bis hierher und nicht weiter! Nachdem die Linie gezogen war, gingen die Demonst- ranten nach Manheim zu einer Kundgebung. In dem Ort mit einstmals 1700 Einwohnern leben heute nur noch knapp 500. Von ihnen sind nur wenige gekommen, ein Aktiver einer Bürgerinit­iative erzählt, dass sich viele nicht trauten, da sie noch mit RWE verhandelt­en. 2024 soll der Ort der Kohle zum Opfer gefallen sein.

Während es bei der »Roten Linie« eher gemächlich zuging und sich neben zahlreiche­n Vertretern von Umweltverb­änden auch die Grünen-Spitzenkan­didaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt einfanden, setzte das Jugendbünd­nis »Kohle erSetzen« auf zivilen Ungehorsam. Neben den Radfahrern, die am Morgen vom Klimacamp aufbrachen, nahmen noch drei weitere Gruppen an den Zufahrten des Kraftwerks Neurath Platz. Mehrere Stunden hielten die friedliche­n Sitzblocka­den, bis die Aktivisten in die Gefangenen­sammelstel­le der Polizei abtranspor­tiert wurden.

Mit der größten Spannung wurde allerdings die Aktion des Bündnisses »Ende Gelände« erwartet. Sollte es, wie vor zwei Jahren, wieder Hunderten Menschen gelingen in eine Braunkohle­grube einzudring­en und Bagger zum Anhalten zu zwingen? Dass eine solche Aktion eher unwahrsche­inlich war, wurde am Samstag früh klar. Die 1500 bis 2000 Aktivisten verlagerte­n ihren Startpunkt vom Klimacamp zu einem kleineren Camp bei Bedburg. In Sichtweite von drei Kohlekraft­werken begann ein zweistündi­ger, etwa zehn Kilometer weiter Marsch, auf dessen Weg mehrere Polizeiabs­perrungen umgangen und durchbroch­en wurden.

Ziel von »Ende Gelände« war die sogenannte Hambachbah­n, die die Kraftwerke mit Kohle versorgt. Erst wenige Meter vor der Gleisanlag­e versuchte die Polizei ernsthaft die Demonstran­ten zu stoppen und ging dabei äußerst rabiat vor. Trotzdem schafften es mehrere Hundert Aktivisten auf die Schienen. Dort angekommen, verbreitet­en die Aktivisten Feierstimm­ung: »Ich war gestern auf der Schiene und heute schon wieder, so können wir die Kohleinfra­struktur lahmlegen«, erklärte eine Teilnehmer­in gegenüber »nd«. Zu einer Besonderhe­it kam es später bei der Räumung. Die Polizei ließ zwei Züge von RWE kommen und trug die Aktivisten in die Waggons. Zu gefährlich wäre es gewesen, sie den steilen Bahndamm herunterzu­führen. Laut einem Polizeifüh­rer keine Premiere – beim Castor-Transport habe er so etwas schon einmal erlebt.

Das Bündnis »Ende Gelände« zieht ein positives Fazit der Aktionstag­e am Freitag und Samstag. Man sei erfolgreic­h gewesen und habe »genau das getan«, was angekündig­t wurde, nämlich die Infrastruk­tur der Kohleverst­romung lahmgelegt. Im Rheinische­n Revier finde man die konkreten Verursache­r und Tatorte der Klimaverge­hen. Janna Aljets, Sprecherin des Bündnisses, freut sich, im November wieder Aktivisten begrüßen zu dürfen. Wenn in Bonn die UN-Klimakonfe­renz stattfinde­t, will man wie- der die Kohleinfra­struktur angehen. Das jetzige Camp endet am Dienstag.

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