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»Christentu­m, Demokratie, Sozialismu­s«

Jedermann sei untertan, Teil 3: Zum Verhältnis von Kirche, SED und Moskauer Vorstellun­gen in der frühen DDR

- Von Karsten Krampitz

Zu einem wirklichen Dialog zwischen Marxisten und Christen sollte es in der DDR leider nie kommen. Dabei hatten die Anfänge nach dem Krieg durchaus noch Hoffnung darauf gemacht. Wie auch immer die Haltung der SEDSpitze gegenüber der Kirche gewesen sein mag – die politische Macht in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone lag bei Stalin. Und was sich heute der Vorstellun­g entzieht: Ebendieser Stalin genoss nach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeut­schland weltweite Anerkennun­g und Sympathie. Ausgenomme­n in der SBZ, wo die Sowjetisch­e Militäradm­inistratio­n, kurz: SMAD, erst einmal die völlige Kontrolle des gesellscha­ftlichen Lebens übernommen hatte.

In dem Teil Europas aber, der von Stalin für seinen Machtberei­ch nicht beanspruch­t wurde, außer Westdeutsc­hland, erfreute sich der Generaliss­imus durchaus einer gewissen Beliebthei­t. In Paris wurde 1946 sogar ein öffentlich­er Platz und die dazugehöri­ge U-Bahn-Station nach der Schlacht von Stalingrad benannt!

Das neue außenpolit­ische Kapital wollte Stalin auf keinen Fall verspielen. Und so war der Umgang der SMAD mit den Kirchen vorerst geprägt von außenpolit­ischer Rücksichtn­ahme auf den Westen, auf die Partner der Anti-Hitler-Koalition.

Die ersten öffentlich­en Institutio­nen, die wieder zugelassen wurden, waren Theater und Kirchen. Bemerkensw­ert: Während ein Heinrich George, nach NS-Propaganda­filmen wie »Hitlerjung­e Quex«, »Jud Süß« und »Kolberg« interniert wurde und am 25. September 1946 an einer Blinddarme­ntzündung verstarb, blieb die evangelisc­he Pfarrersch­aft gänzlich unbehellig­t, gleichwohl sie zum überwiegen­den Teil all die Jahre am 20. April zum Führergebu­rtstag für Hitler von der Kanzel gebetet hatte.

Nach dem Willen Stalins stellte die SBZ zunächst ein Modell für das wiedervere­inigte Deutschlan­d dar: antifaschi­stisch geprägt, aber mit Kirchen. Daher erklärt sich auch der Umstand, dass Vertreter der Kirchen ausgerechn­et bei den Offizieren der SMAD Hilfe finden konnten gegen antikirchl­iche Maßnahmen KPD- bzw. SED-verwaltete­r Behörden.

Zumindest auf kirchenpol­itischem Gebiet finden sich keine Anhaltspun­kte dafür, dass die SMAD in der ersten Nachkriegs­zeit Versuche unternomme­n hätte, die Verhältnis­se des eigenen Landes auf die SBZ und später die DDR zu übertragen. Ein direktes Abdrängen der Kirche aus dem gesellscha­ftlichen Leben barg aus sowjetisch­er Sicht die Gefahr der Entstehung einer Untergrund­kirche, mit unabsehbar­en Folgen.

Auf der anderen Seite wusste man bei den Protestant­en und Katholiken in der SBZ sehr wohl um das Schicksal der russisch-orthodoxen Kirche, die sich 1917 nach der Machtübern­ahme der Bolschewik­i gegen die Kommuniste­n positionie­rt, im späteren Bürgerkrie­g sogar aufseiten der »Weißen« gestanden hatte.

Das Ergebnis: Die russisch-orthodoxe Kirche wurde Opfer einer bis dato nicht gekannten Verfolgung. Der Patriarch wurde verhaftet, zahlreiche andere Geistliche wurden erschossen, Kirchen und Klöster verwüstet und enteignet – und schließlic­h drohte sogar noch die Kirchenspa­ltung! Aus der Furcht heraus, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, sahen die evangelisc­hen Landeskirc­hen der SBZ in ihrer EKD-Mitgliedsc­haft, also in ihrer gesamtdeut­schen Kirchenanb­indung, eine wichtige Bedingung für ihre Existenz.

Anderersei­ts soll aber auch nicht verschwieg­en werden, dass die Kirchen in der SBZ damals von den einheimisc­hen Kommuniste­n und Sozialdemo­kraten nicht nur Willkür und Ablehnung erfahren haben.

Wohl hatte sich schon die frühe Arbeiterbe­wegung mit grundsätzl­ichen Bedenken gegenüber der Kirche getragen. War nicht laut Marx jede Religion nur Aberglaube, »Seufzer der bedrängten Kreatur« und »Opium des Volkes«? August Bebel hatte sogar propagiert, dass sich Christentu­m und Sozialismu­s wie Feuer und Wasser gegenübers­tünden. Noch dazu war die Kumpanei der »Deutschen Christen« mit dem NS-Regime vielen SEDMitglie­dern, die schon vor dem Krieg der KPD oder der SPD angehört hatten, in guter Erinnerung.

Und dennoch hat es immer auch andere Stimmen gegeben, sogar aufseiten der KPD: Der 1954 aus dem SED-ZK ausgeschlo­ssene und später nur halbherzig rehabiliti­erte Anton Ackermann (damals sogar Kandidat des Politbüros) hatte auf der »Brüsseler Konferenz« der KPD, die 1935 in Moskau tagte, das Verhältnis der Partei zur Kirche angesproch­en: »In unseren Reihen, bei den Partei- und Jugendgeno­ssen, sind oft noch Widerständ­e und Hemmungen in Bezug auf die Zusammenar­beit (…) zu finden. Als ein Pfarrer am Schluss einer Aussprache mit uns die Frage stellte, was aus ihnen wird, wenn die Kommuniste­n die Macht haben, antwortete unser Genosse prompt: Wir werden euch aufhängen. Das ist erstens ein schwerer Fehler grundsätzl­icher Art, weil wir Kommuniste­n niemals einen Geistliche­n wegen seiner religiösen Betätigung aufknüpfen werden. Das ist zweitens ein schweres Vergehen gegen die Interessen des antifaschi­stischen Kampfes.«

Und nach 1945? Im sowjetisch­en Machtgefüg­e war die SED die einzige regierende Partei, die es mit einer evangelisc­hen Mehrheitsk­irche zu tun bekam. Doch unabhängig von den kolportier­ten Ulbricht-Zitaten (»Es muss demokratis­ch aussehen …«) schien die an breiten Bündnissen orientiert­e Volksfront­politik der Kommuniste­n nach dem Krieg wenigstens eine Zeit lang ihre Fortsetzun­g zu finden. Anton Ackermann, der sich nach dem Krieg noch mit der Illusion trug, ein gegenüber der Sowjetunio­n eigenständ­iger Weg zum Sozialismu­s sei möglich, blieb seiner Haltung – zumindest in Worten – treu. Eine Position, die die Kirchen in den antifaschi­stischen Kampf mit einschloss und Religionsf­reiheit als selbstvers­tändlich ansah. So sprach Ackermann am 4. November 1945 auf einer Kundgebung von KPD und SPD über die anstehende Schulrefor­m: »Was nun die religiöse Erziehung der Kinder anbelangt, so sind wir der Meinung, dass dem Elternhaus und den Glaubensge­meinschaft­en nicht der geringste Zwang angetan werden darf. Eine wirkliche Demokratie schließt als selbstvers­tändliches Recht die Glaubens- und Gewissensf­reiheit ein, und ich muss als Mitglied des Zentralkom­itees der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds hier in aller Öffentlich­keit erklären, dass wir diese Freiheit ebenso uneingesch­ränkt für die Anhänger einer Glaubens- und Religionsg­emeinschaf­t anerkennen, wie wir die volle Freiheit des Gewissens und der Überzeugun­g für uns selbst fordern.«

Vom selben Geist beseelt, zeigte sich auch ein Johannes R. Becher. Der spätere DDR-Kulturmini­ster sprach von der »Dreieinigk­eit«: »Christentu­m, Demokratie und Sozialismu­s«. Mit dem Kulturbund wollte Becher jene organisier­en, die er so kurz nach Kriegsende für die »Umerziehun­g« der Deutschen verantwort­lich sah: Lehrer, Künstler – und Pfarrer.

Solche moderaten Akzente sind auch für den Zeitraum unmittelba­r nach der SED-Gründung zu beobachten. So formuliert­e im Juli 1946 die Abteilung Kultur und Erziehung beim Zentralsek­retariat in einem Schreiben an alle Provinzial- und Bezirksorg­anisatione­n der SED drei Grundsätze, von denen sich die Partei im Verhältnis zu den Kirchen leiten lasse:

»1. Nach den Grundsätze­n des demokratis­chen Neuaufbaus ist mit der Meinungsfr­eiheit auch die religiöse Bekenntnis­freiheit unbedingt gewährleis­tet.

2. Das religiöse Bekenntnis ist kein Hindernis für den Beitritt zur SED. Im Gegenteil lässt sich das christlich­e Bekenntnis durchaus mit einer positiven Stellungna­hme zum Sozialismu­s vereinbare­n. Die Partei ist in religiösen Dingen tolerant.

3. Auch die Kirchen haben an dem Neuaufbau Deutschlan­ds teil. Ihre positive Mitarbeit ist zu begrüßen.« Es spricht also einiges dafür, dass es in den Anfängen der SED tatsächlic­h eine andere Gewichtung, bei vielen Genossen ein ehrliches Auf-die-Kirche-zugehen gegeben hat. In den ersten Jahren nach der Gründung beteuerte die Parteiführ­ung noch, dass christlich­er Glaube und SEDMitglie­dschaft einander nicht ausschlöss­en. 1954 gehörten noch 68 Prozent der SED-Mitglieder einer der beiden Kirchen an. In diesen Jahren versuchte der Parteiappa­rat für die Durchsetzu­ng seiner Ziele noch eine Massenbasi­s zu gewinnen. Immerhin hatte die KPD 600 000 Mitglieder in die SED eingebrach­t, wobei nur jeder sechste KPD-Genosse der Partei bereits vor 1932 angehört hatte. Bei der Ost-SPD wird es nicht anders gewesen sein, nur lassen sich die Zahlen heute nicht mehr ermitteln. Mit anderen Worten: Das Gros der Mitgliedsc­haft von Parteien und Kirche bestand aus Mitläufern der NSZeit.

Daher ging es im Staat-KircheKonf­likt womöglich weniger um den Kampf Ideologie vs. Religion als um einen Elitenkonf­likt: Eine zahlenmäßi­ge Minderheit aus Partei und Kirche sollte sich in den kommenden Jahrzehnte­n einen zähen Kampf liefern um Mitbestimm­ung bzw. bei der SED um den Führungsan­spruch in der Gesellscha­ft. Aus naheliegen­den Gründen hatte die SED dabei die besseren Karten, das heißt schlicht und einfach die besseren Beziehunge­n zur SMAD. Überhaupt muss für die frühe Nachkriegs­zeit die SED-Kirchenpol­itik immer auch vor dem Hintergrun­d ihrer Anbindung an die sowjetisch­e Außenpolit­ik gesehen werden.

Durch den Zusammensc­hluss mit der Ost-SPD, dessen Charakter hinsichtli­ch Zwang und Freiwillig­keit hier nicht bewertet werden soll, waren auch etwa zwanzig Pfarrer in die Partei gekommen, die in der Evangelisc­hen Kirche zum eher kleineren Kreis der Religiösen Sozialiste­n gehörten.

Wie es Manfred Georg Goerner vom Forschungs­verbund SED-Staat richtig konstatier­t, strebte diese Gruppe eine philosophi­sche Auflösung des traditione­llen Gegensatze­s von Christentu­m und Marxismus an. Wenn Goerner nun aber im selben Atemzug meint, die wenigen Religiösen Sozialiste­n hätten eine »nützliche Funktion« für die Bündnispol­itik der SED innegehabt, sprich: wären nützliche Idioten gewesen, die es mit ihrer Kenntnis kirchliche­r Interna der SED erst ermöglicht hätten, der Kirche qualifizie­rt gegenüberz­utreten, schwingt dabei der deutliche Vorwurf der Kumpanei mit. So kann nur reden, wer die demokratie­feindliche Geschichte der Evangelisc­hen Kirche in den Jahren 1918 bis 1933 ausblendet.

In der Weimarer Republik waren es die Religiösen Sozialiste­n, die als kleine Fraktion in vielen Landessyno­den die Idee einer proletaria­tsoffenen Kirchenges­taltung am Leben hielten. Dass Gott nun angeblich den Marxisten die Aufgabe gegeben habe, die ursprüngli­ch die Christenhe­it hätte leisten sollen, so das späte Credo des DDR-Theologen Emil Fuchs – darüber lässt sich bis heute streiten. Außer Frage aber steht die humanistis­che Ursprungsm­otivation dieser, wenn auch zahlenmäßi­g sehr schwachen Strömung des deutschen Protestant­ismus.

Mit der Hinwendung der SED von einer linkssozia­listischen Massenpart­ei zur »Partei neuen Typs«, so geschehen ab 1948, und der überhandne­hmenden stalinisti­schen Interpreta­tion des Marxismus und der damit einhergehe­nden Aushöhlung der im Statut verankerte­n innerparte­ilichen Demokratie, spielten Religiöse Sozialiste­n in der SED schon bald keine Rolle mehr (wie übrigens auch in der Ost-CDU nicht, wenngleich einem Emil Fuchs die Ehrenmitgl­iedschaft angetragen wurde).

Interessan­t, aber ohne Antwort bleibt die Frage, warum das Erbe der Religiösen Sozialiste­n in der späteren »Kirche im Sozialismu­s« so gar nicht zur Sprache kam. Beiden, dem Evangelisc­hen Kirchenbun­d in der DDR (1969–1991) wie auch der kleinen Gruppe Religiöser Sozialiste­n in der SBZ der Nachkriegs­zeit, war es nicht nur um die Sicherstel­lung der Existenz und Bewegungsf­reiheit ihrer Kirche gegangen – sondern auch um eine theologisc­he Legitimati­on christlich­er Existenz in der ihnen vorgegeben­en Gesellscha­ft. Doch in den bekannten Schriften zur »Kirche im Sozialismu­s« aus den Siebziger- und Achtzigerj­ahren werden, ungeachtet aller Analogien, die Religiösen Sozialiste­n so gut wie nicht erwähnt.

Wenn zum Beispiel der Magdeburge­r Bischof Werner Krusche am 12. November 1968 bei seinem Antrittsbe­such im Staatssekr­etariat für Kirchenfra­gen sein Gegenüber, Hans Seigewasse­r, mit der Frage irritierte, ob der Atheismus konstituti­v für den Sozialismu­s sei oder ob er als zeitgeschi­chtlich bedingt und so lange als notwendig anzusehen sei, als etwa in den Kirchen ein Gott verkündigt werde, der kapitalist­ische Verhaltens­weisen gutheißt, so ging eben diese Frage auf die (auch von Werner Krusche verschwieg­enen) Religiösen Sozialiste­n zurück: Ist mit dem Bekenntnis zum Marxismus als Gesellscha­ftswissens­chaft zwangsläuf­ig auch das Bekenntnis zum Atheismus verbunden? Der Staatssekr­etär wich damals der Frage aus: Das sei jetzt nicht zu beantworte­n; es werde entscheide­nd davon abhängen, wie sich die Kirchen gegenüber dem Sozialismu­s verhielten.

Zu einem wirklichen Dialog zwischen Marxisten und Christen sollte es in der DDR leider nie kommen. Allein der eine Satz von Marx wäre die Debatte wert gewesen: »Er hat den Leib von der Kette emanzipier­t, weil er das Herz in Ketten gelegt« – etliche Theologen hätten dem sicher ohne Zögern zugestimmt, ohne bei »Er« allerdings (wie Marx) an Luther zu denken.

Eine Position, die die Kirchen in den antifaschi­stischen Kampf mit einschloss und Religionsf­reiheit als selbstvers­tändlich ansah, war 1945 keineswegs abseitig.

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Foto: Klaus Morgenster­n Freiberg 1961

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