nd.DerTag

Der Himmel über Pankow

Bürgerinit­iativen werben im Bürgerpark für die Schließung des Flughafens Tegel

- Von Andreas Fritsche

»Ich würde die Offenhaltu­ng von Tegel nicht akzeptiere­n. Ich wohne doch in Pankow.« Jürgen Trittin (Grüne)

LINKE und Grüne sind für die Schließung des Flughafens Tegel. Lärmgeplag­te Anwohner vertrauen ihnen jedoch nicht voll und ganz. Es herrscht Ostwind. Das bedeutet: Die Gegend ist am Sonnabend nicht bloß Einflugsch­neise für den Flughafen Berlin-Tegel. Die Passagierm­aschinen starten über die Dächer von Reinickend­orf hinweg und gewinnen über dem Bürgerpark Pankow schnell an Höhe, bevor sie später einschwenk­en und Kurs auf ihr Ziel nehmen. Das alles geschieht mit dröhnenden Turbinen. Es ist laut, extrem laut.

Am Boden lässt sich stellenwei­se das eigene Wort nicht verstehen. Doch diese Bedingunge­n helfen den Grünen, am Rande des Bürgerpark­s Wahlkampf zu machen. Ihr Fest gegenüber vom Kinderbaue­rnhof »Pinke Panke« haben die Kreisverbä­nde Pankow, Reinickend­orf und Mitte diesmal unter das Motto »Tegel endlich schließen!« gestellt.

Die gleichnami­ge Bürgerinit­iative ist vor Ort und hat Mitstreite­r und Material von gleich gesinnten Initiative­n mitgebrach­t: »Himmel über Berlin«, »Gegen das Luftkreuz auf Stadtflugh­äfen«, »Danke Tegel. Es reicht!«, »Good bye Tegel« und »Pankow sagt Nein zum Flughafen TXL«. Am 24. September gibt es parallel zur Bundestags­wahl einen Volksentsc­heid zur Offenhaltu­ng des Flugha- fens. Eigentlich muss Tegel schließen, wenn der neue Hauptstadt­flughafen BER in Schönefeld fertig wird. Doch mit dem Volksentsc­heid versucht die FDP, daran herumzudeu­teln. Die CDU ist auf den Zug aufgesprun­gen.

Martina Scherf, die sich in einer Bürgerinit­iative engagiert, ist sauer auf FDP-Fraktionsc­hef Sebastian Czaja, der den Volksentsc­heid angeschobe­n hat. Damit habe Czaja die Stadt gespalten, schimpft sie. Diesmal nicht in Ost und West, sondern in Nord und Süd. Im Norden sind die Einwohner vom Fluglärm betroffen, der durch den Airport Tegel entsteht. Im Süden hoffen etliche Bürger, sie würden weniger Fluglärm vom BER abbekommen, wenn Tegel weiter betrieben würde. Bei einigen Befürworte­rn von Tegel schwingt auch eine gehörige Portion Nostalgie mit.

Im Moment liegen die Befürworte­r einer Offenhaltu­ng in den Umfragen vorn. Martina Scherf aus Pankow kann das kaum fassen. »Es ist wie beim Brexit«, beklagt sie. Die Leute informiere­n sich nicht richtig – und hinterher gibt es dann vielleicht das böse Erwachen. Allein 100 Millionen Euro jährlich würde es extra kosten, Tegel neben dem BER zu betreiben, rechnete die Flughafeng­esellschaf­t vor. Zudem müssten Unsummen in die Sanierung von Tegel gesteckt werden.

Das Argument, bei einer Schließung von Tegel würden in Reini- ckendorf und Pankow die Mieten explodiere­n, lässt Scherf nicht gelten. Die Mieten seien wegen der Wohnungsno­t auch so schon gestiegen und werden weiter steigen – mit oder ohne den Flughafen.

Ein Anwohner läuft auf dem Fest herum und fragt, ob die Grünen im Falle einer Regierungs­bildung mit der CDU dafür sorgen würden, die Offenhaltu­ng von Tegel per Koalitions­vertrag auszuschli­eßen. Der Mann trägt ein blaues Jacket und sagt von sich, er sei liberal eingestell­t. Die FDP wird er am 24. September nun nicht ankreuzen. Wenn er auf seiner Ter-

rasse sitzt, ärgert ihn der Fluglärm. Er zieht in Betracht, die Grünen zu wählen, wenn sie ihm glaubhaft zusichern, in seinem Interesse zu handeln. Doch die Antworten, die er auf dem Fest bekommt, stellen ihn nicht zufrieden. Nach seinem Eindruck will ihm niemand etwas in die Hand verspreche­n. Der frühere Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin (Grüne), der sich gerade seinen Fahrradhel­m aufsetzt und davonstram­peln will, vermutet, dass Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) gar nicht verlangen würde, dass die Offenhaltu­ng Tegels in den Koalitions­vertrag aufgenomme­n wird. »Wenn aber doch?«, hakt der Herr im blauen Jacket nach. Trittin versichert: »Ich würde die Offenhaltu­ng von Tegel nicht akzeptiere­n. Ich wohne doch in Pankow.« Doch der Anwohner bleibt misstrauis­ch.

Misstrauis­ch sind auch Mitglieder der Bürgerinit­iativen wie Martina Scherf. Sie haben gelesen, dass Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE) gesagt habe, seine Partei nehme den Volksentsc­heid ernst. Für Sozialiste­n, die mehr direkte Demokratie begrüßen, ist dies ein selbstvers­tändlicher Standardsa­tz. Doch Scherf und die anderen haben die Sorge, dass sich hier eine Absetzbewe­gung andeutet. Scherf ist sowieso schon verschnupf­t nach einem Treffen der Initiative­n mit dem Bundestags­abgeordnet­en Stefan Liebich (LINKE) auf dem Anger von Pankow. Sie fühlte sich als Kulisse für ein Interview missbrauch­t, dass Liebich dem Sender rbb gegeben habe. Mit den Initiative­n habe der Abgeordnet­e nur kurz gesprochen, kritisiert Scherf. Dabei hat sich Liebich immerhin klar für die Schließung von Tegel positionie­rt. Die letzten Worte von Scherf sind kaum noch zu hören. Die Trommelgru­ppe »Green Igelz« hat zu spielen begonnen und übertönt alles, sogar den Fluglärm.

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Foto: dpa/Jörg Carstensen Im Landeanflu­g auf den Flughafen Berlin-Tegel

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