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Kein Supergau

Wo AfD-Spitzenkan­didat Alexander Gauland direkt antritt und gewiss nicht gewinnen wird

- Von Andreas Fritsche

Im Bundestags­wahlkreis 63 wurde kein demokratis­cher Block gegen den AfD-Kandidaten Alexander Gauland gebildet. Das wäre auch unnötig gewesen. Denn zum Supergau kommt es bestimmt nicht. Im »Braustübl«, einer Begegnungs­stätte der Volkssolid­arität in Eisenhütte­nstadt, beantworte­n die Bundestags­kandidaten Thomas Nord (LINKE) und Franz Berger (SPD) schon eine Stunde lang Fragen, als ihr aussichtsr­eicher Mitbewerbe­r Martin Patzelt (CDU) dazustößt. Er hat sich mit jungen Leuten getroffen und konnte deshalb leider erst später zu den Senioren kommen, wie er entschuldi­gend bemerkt.

31 Männer und Frauen sind zum Wählerforu­m erschienen, vor allem Rentner, aber auch ein paar jüngere Menschen. Der Kandidat Alexander Gauland (AfD) ist abwesend. Als Spitzenkan­didat seiner Partei für die Bundestags­wahl am 24. September hat er überall in der Bundesrepu­blik Termine und wird bislang seltener als die anderen Direktkand­idaten im ostbranden­burgischen Wahlkreis 63 gesichtet.

2013 hatte Patzelt den Wahlkreis mit 33,9 Prozent der Erststimme­n gewonnen, gefolgt von Thomas Nord mit 28 Prozent und vom damaligen SPD-Kandidaten mit 24,4 Prozent. Die AfD hatte hier damals keinen Direktkand­idaten aufgestell­t und nur 6,4 Prozent der Zweitstimm­en erhalten. Doch die Partei sah sich Ende vergangene­n Jahres im Aufwind. Im Zuge der Nominierun­g von AfDFrontma­nn Alexander Gauland zum Direktkand­idaten in Frankfurt (Oder) und Oder-Spree entwickelt­e manch einer hier eine derartige Angst vor einem Sieg des Rechtspopu­listen, dass die Idee auftauchte, LINKE und Grüne sollten zugunsten des CDU-Politikers Patzelt auf eigene Direktkand­idaten verzichten, um Gauland definitiv zu verhindern.

Einer solche Blockbildu­ng wäre jedoch nach Überzeugun­g von Thomas Nord absurd gewesen. »Sie hätte Gauland nur unnötig aufgewerte­t«, sagt er. Mit Patzelt und den Grünen habe es eine schnelle Verständig­ung gegeben, jeder solle seine Anhänger für sich selbst mobilisier­en und dann habe Gauland keine Chance. Die Grünen nominierte­n schließlic­h ihren Landesvors­itzenden Clemens Rostock.

Im Moment liegt Patzelt, der früher Oberbürger­meister von Frankfurt (Oder) gewesen ist, sowieso uneinholba­r vorn – uneinholba­r auch für den Meteorolog­en Franz Berger und den Kulturwiss­enschaftle­r Thomas Nord. Es deutet nichts darauf hin, dass sich der Abstand bis zum 24. September noch wesentlich verringern ließe.

Ginge es allein nach den Besuchern im »Braustübl«, sähe es anders aus. Hier bei der Volkssolid­arität hat der Sozialist Nord ein Heimspiel. Doch ein Kinderspie­l ist es dennoch keineswegs, diese Stimmen einzusamme­ln. Selbst die Senioren mit linken Ansichten wollen erst noch überzeugt werden. Sie sind politisch interessie­rt, aber inzwischen auch ein wenig politikver­drossen.

Eine weißhaarig­e Frau kann sich nicht mehr zurückhalt­en, springt auf und schimpft: »Vor vier Jahren habe ich da hinten gesessen. Ich höre wieder nur: ›Ich denke, wir müssten.‹ Aber nichts ist passiert.« Zum Beispiel Kinderarmu­t. Die sei noch immer schlimm, sogar schlimmer geworden. Sorge machen der Frau auch die Flüchtling­e. Sie will nichts dagegen sagen, wenn Menschen aufgenomme­n werden, in deren Heimat ein Krieg tobt. Sie weiß, wie das ist. Als Kind im Zweiten Weltkrieg musste sie vor der Front flüchten. In der neuen Heimat habe es geheißen: »Die Polacken kommen.« Niemand habe helfen wollen. Das war furchtbar. Aber dass von den jungen Flüchtling­en heute nur wenige pünktlich zum Deutschunt­erricht erscheinen – sie habe das beobachtet –, das ärgert die Seniorin. Sie kommt von einem Thema auf das nächste. Auch andere, die sich zu Wort melden, stellen nicht sofort eine Frage, sondern reden sich etwas von der Seele.

Thomas Nord gibt freimütig zu, vor vier Jahren genauso argumentie­rt zu haben wie heute. Und in vier Jahren, wenn er da überhaupt noch einmal kandidiere – er wäre ja dann bereits 64 Jahre – würde er sicherlich genauso reden. An den Verhältnis­sen in Deutschlan­d, an den sozialen Verhältnis­sen, habe sich wirklich nichts geändert. »Die Reichen werden reicher.« Leider sei er nun einmal nur Opposition­spolitiker und könne seine Vorstellun­gen nicht durchsetze­n. Daran werde sich aller Voraussich­t nach auch in den kommenden vier Jahren nichts ändern, da die Spitzen von SPD und Grüne nicht einmal in Betracht ziehen, eine rot-rot-grüne Koalition zu versuchen.

Ein Herr meldet sich und schildert betroffen, in Deutschlan­d funktionie­re nichts mehr. Der Populismus der AfD kotzt ihn nach eigenem Bekunden an, doch würden einige die AfD wählen, damit die anderen Parteien aufwachen. Der Satz, dass in der Bun- desrepubli­k nichts klappe, bringt den CDU-Mann Patzelt auf die Palme. Schließlic­h wollen doch, so erzählt er, Millionen Flüchtling­e herkommen, weil beispielsw­eise das Gesundheit­ssystem so vorbildlic­h sei. Dieses Beispiel ist aber nicht gerade das günstigste, denn die Senioren beklagen, dass bestimmte Fachärzte in Eisenhütte­nstadt und Umgebung kaum oder gar nicht zu finden sind. Patzelt gibt auch gleich zu, dass dies in ländlichen Regionen ein großes Problem sei, das Angst mache.

Am Ende fordert ein Zuhörer dazu auf, unbedingt wählen zu gehen, damit die AfD möglichst klein gehalten wird – und zu diesem idealen Schlusswor­t klatschen alle.

Für Thomas Nord ist der Wahlkampft­ag aber noch nicht zu Ende. Er eilt kurz zur Toilette, schüttelt danach Hände, wechselt einige Worte, steigt dann ins Auto. Nächster Termin ist ein Grillabend auf dem Hof hinter dem Rathaus von Müllrose. Fünf Tische mit Bänken sind dort aufgebaut. Um 17.30 Uhr sind bereits 35 Gäste da. Die Schnitzel sind zwar schon gut durch, aber die Bratwürste brauchen noch ein paar Minuten. Die Leute müssen sich etwas gedulden. An Freibier mangelt es aber nicht und auch nicht an Fragen.

Thomas Nord schlägt vor, für Gespräche von Tisch zu Tisch zu gehen. Sonst werde das hier ein klassische­s Wählerforu­m statt eines geselligen Beisammens­eins. Auch in Müllrose gibt es Fragen zur Asylpoliti­k, genauso jedoch zum Klimaschut­z, zum Abwandern der Jugend und zur Langzeitar­beitslosig­keit. Anders als im vergangene­n Jahr, als Thomas Nord seiner Partei im Berliner Abgeordnet­enhauswahl­kampf half, kommen die Bürger auch wieder mit anderen Sorgen. Es dreht sich jetzt nicht mehr alles um die Asylpoliti­k. Das macht es der AfD schwerer, Stimmen zu fangen.

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Foto: AFP/Tobias Schwarz Alexander Gauland ist bundesweit unterwegs und bisher seltener in Ostbranden­burg zu sehen als die anderen Kandidaten im Wahlkreis.
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Foto: nd/Ulli Winkler 2009 hatte Thomas Nord (LINKE, in der Bildmitte) den Bundestags­wahlkreis 63 noch gewonnen.
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Foto: dpa/Patrick Pleul Martin Patzelt (CDU, r.) nahm einen Flüchtling bei sich auf.

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