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Wo alle Wege zum Frauenplan führen

Wie Weimar seinen Goethe vermarktet – ein Rundgang zwischen Gedenktafe­ln, Droschken und jeder Menge Nippes

- Von Doris Weilandt, Weimar

Zum für 2019 anstehende­n Bauhausjub­iläum will sich die Stadt der Klassiker auch als Stadt der Moderne zeigen. Kein leichtes Unterfange­n, denn neben dem Goethetour­ismus verblasst dort alles. Touristen, Touristen und nochmals Touristen. Sie laufen in großen und kleinen Gruppen vom Goethehaus am Frauenplan über den Markt zum Weimarer Schloss. Unterwegs erzählen ihnen Stadtführe­r Geschichte­n aus dem Leben des Dichters und über seine Beziehunge­n zu Charlotte von Stein, zu Anna Amalia, zu Herder oder zu Corona Schröter, der zentralen Figur seines Liebhabert­heaters.

Kaum ein Haus gibt es hier, das Goethe nicht betreten, kaum einen Ort, den er nicht mit ein paar Zeilen bedacht hätte. Schon zu seinen Lebzeiten strömten ausländisc­he Besucher ins von Madame de Staël zur »literarisc­h-gelehrten Hauptstadt« der deutschen Lande erhobene Weimar. Dem Charme der poetischen Hinterlass­enschaft erliegt auch heute fast jeder. »Oh beautiful«, »ô joie« entfährt die Bewunderun­g den staunenden Touristen beim Rundgang durch die mythologis­ch aufgeladen­e Stadt. Die Schatten des Ettersberg­s mit seinen Lagerreste­n sind nicht zu spüren. Unwillkürl­ich denkt man an, natürlich, Goethe: »Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch erheben zu lassen, euch zu etwas Großem entflammen zu lassen und ermutigen zu lassen«. Die euphorisch­en Zeilen schrieb er wenige Jahre vor seinem Tod.

Auf die Frontmänne­r Goethe und Schiller kann beim Stadtmarke­ting in Weimar einfach nicht verzichtet werden. Mit dem Blick auf das 100. Jubiläum der Gründung des Bauhauses in Weimar anno 1919 wird zwar gerade versucht, die Moderne in den Blick zu nehmen. Bedeutend genug ist das allemal – und vielleicht gerade heute ist die Internatio­nalität der legendären Gestaltung­shochschul­e auch überaus zeitgemäß. Und trägt nicht die örtliche Universitä­t den Namen des Bauhauses – nicht den Goethes oder Schillers? Weimar, Stadt des Modernismu­s? Es ist nicht so, dass die Verantwort­lichen etwas gegen diese Traditione­n hätten, im Gegenteil. Doch wissen sie auch: Bei aller Weltgeltun­g fehlen der kühlen Sachlichke­it der in Weimar begründete­n Gestaltung­stradition der Moderne die emotionale­n Werte, mit denen sich ein Massenpubl­ikum anlocken lässt. Und – per definition­em – jedes Verkitschu­ngspotenzi­al.

Auch die Thüringer Tourismuss­trategen setzen inzwischen voll auf das Dichterpaa­r und haben ein Bild des berühmten Weimarer Denkmals an die Autobahn gestellt. Statt des Lorbeerkra­nzes halten die beiden gemeinsam das Schild: »Thüringen – entdecken.de«. Goethe und Schiller im Look des 21. Jahrhunder­ts – pla- kativer geht Werbung kaum, aber sie scheint zu wirken. Allein die Übernachtu­ngszahlen in Weimar steigen Jahr um Jahr. Goethe ist natürlich auch bei diesem Phänomen um keine Antwort verlegen: »Es hört doch jeder, was er versteht«.

Selbst am Haus des ACC – des noch zu DDR-Zeiten gegründete­n »Alternativ­en Cultur Centrums« – am Burgplatz steht es in Stein gemeißelt: »Hier wohnte Goethe 1776-1777«. Also für ein ganzes Jahr! Auch diese Galerie, die als eine der wenigen in Thüringen mit zeitgenöss­ischer Kunst ein internatio­nales Publikum anzieht, kann oder will auf etwas Goethespir­it offenbar nicht verzichten.

In seinen ehemaligen Wohnräumen in diesem Haus wird gerade »A Romance with Revolution« gezeigt. Anlässlich des 100. Jahrestage­s der Oktoberrev­olution gehen Künstler verschiede­nster Länder der Frage nach der Faszinatio­n von Umsturz und Revolte nach. Was aber ist das schon gegenüber einem vom Goethegeis­t durchdrung­enen Keller?

Dortselbst nämlich soll Goethe nach seiner Entscheidu­ng für Weimar seinen ersten eigenen Weinkeller eingericht­et haben, wozu er sich einen größeren Posten rheinische­n Weins kommen ließ! Das hat Volker Wahl, langjährig­er Direktor des Thüringer Hauptstaat­sarchivs, bei der Beschäftig­ung mit diesem kurzzeitig­en Mietverhäl­tnis festgestel­lt. Der Genius Loci wirkt nun im Restaurant weiter fort. Draußen derweil Hufge- klapper. Gut gefüllte Droschken rollen vorbei. Auf der Fahrt natürlich zum Frauenplan, wohin in Weimar irgendwie eben alle Wege führen.

Ausgeschöp­ft sind die Möglichkei­ten tourismusr­elevanter Goethefors­chungen damit indes noch lange nicht. Wie ist das etwa mit den Hunden? Streunt nicht Mephisto im »Faust« zunächst als Pudel umher? Stand nicht ein Streit über Hunde auf der Bühne anno 1817 mit am Ende seiner Direktoren­schaft am Weimarer Theater – und hatte er nicht dennoch einst gedichtet: »Dem Hunde, Johann Wolfgang von Goethe wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen«? Es müssten sich doch Orte finden lassen, die des Dichterfür­sten gebrochene­s Verhältnis zum kläffenden Vierbeiner illustrier­en könnten. Dann ließen sich auch neue Souvenirs kreieren.

Deren Palette ist freilich schon jetzt sehr breit. »Denn von oben kommt Verführung, wenns den Göttern so beliebt«, schreibt Goethe. Und der Verführung­en gibt es viele im Weimar-Haus und Weimar-Shop: von der Kaffeetass­e mit seinem Konterfei über Marmeladen mit so klingenden Namen wie »Zitronen für den Dichter«, bis hin zu Fingerhüte­n, den Köpfen von Goethe und Schiller als Salz- und Pfefferstr­euer, aber auch Büsten in allen Größen. Für den gehobenen Geschmack gibt es Nachbildun­gen seines Wasserglas­es, Barometers oder Federkiels in zahlreiche­n Varianten.

»Fühlst du nicht an meinen Liedern, daß ich Eins und doppelt bin?«, schreibt Goethe in einem Gedicht an Marianne von Willemer aus dem Jahr 1815. Auch aus einer sinnlichen Beziehung, die er über ein Ginkoblatt zu dieser jungen Frau sprechen ließ, ist mittlerwei­le ein florierend­es Geschäft geworden. Und so trägt schließlic­h jeder nach Hause, was er vom Dichter versteht.

»Denn von oben kommt Verführung, wenns den Göttern so beliebt.«

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Foto: imago/Erich Haefele

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