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Es bröckelt

Mehr Felsrisse und Steinschla­g stören die Wanderlust

- Von Christiane Oelrich, Zürich

Wird das Bergwander­n gefährlich­er? Nach dem gewaltigen Bergsturz in der Schweiz machen sich Bergsportf­reunde Sorgen. Wandern im Hochgebirg­e – für die Permafrost­forscherin Marcia Phillips vom Schweizer Schnee- und Lawinenfor­schungsins­titut (SLF) in Davos ist das Beruf und Leidenscha­ft zugleich. »Ich gehe jedes Wochenende«, sagt sie. »In gewissen Gegenden im Hochgebirg­e wird es einem aber schon manchmal mulmig.« Warum? »Man entdeckt Risse in den Felsen oberhalb von 3500 Metern, die vorher nicht da waren, das sieht man nun sehr häufig.«

Risse können höchst gefährlich werden, sagt die Expertin. Solange das Gestein gefroren ist, sind solche Risse mit Eis gefüllt. Wenn aber die Temperatur­en steigen, wird die Verbindung Fels-Eis schwächer. Schmilzt das Eis, kann Wasser in die Spalten dringen. »Da kann sich enormer Druck aufbauen, weil das Wasser nicht abfließen kann«, sagt Phillips. »Und wenn das Wasser gefriert, entsteht besondere Sprengkraf­t.«

Die Erwärmung infolge des Klimawande­ls beschleuni­gt das. »Ein Bergsturz wie im Bondasca-Tal ist extrem selten«, sagt Phillips. »Kann gut sein, dass wir das in unserem Leben nicht noch einmal sehen.« Stabile Felsen brauchen aber Permafrost, also gefrorene Felswände, die deutlich unter Null Grad bleiben. Nach ihren Messungen erwärmt sich der Permafrost jedoch, in Höhen von 2500 bis 3000 Metern teils schon auf nahe Null Grad. »Kleinere Steinschlä­ge gibt es deshalb öfter, vor allem, wenn große Niederschl­äge auf Hitzesomme­r folgen«, erklärt die Forscherin.

Das Österreich­ische Kuratorium für alpine Sicherheit will die wachsende Gefahr diesen Herbst mit Geologen in Augenschei­n nehmen. »Keine Frage, die Steinschla­ggefahr hat sich durch die Erwärmung erhöht«, sagte Präsident Karl Gabl. »Die Frage ist: Wie kann man das Risiko reduzieren? Wir können ja nicht die ganzen Alpen sperren.« Zum einen mit Aufklärung: Steinschla­ggefährdet­e Rinnen müssten schnell durchquert werden. Aber Alpinverei­ne müssten auch überlegen, in bestimmten Regionen die ausgezeich­neten Wanderwege zu verlegen. »Wir müssen Lösungen finden, wie man mit möglichst geringem Risiko unterwegs sein kann«, sagt Gabl.

Der Deutsche Alpenverei­n (DAV) mit mehr als einer Million Mitglieder führt Unfallstat­istiken. Danach liegt die absolute Zahl der Unfälle und Notfälle, überwiegen­d in den Alpen, seit einigen Jahren knapp unter 900. Da aber jedes Jahr mehr Menschen unterwegs sind, nehme die Unfallrate tatsächlic­h ab, sagt Sicherheit­sforscheri­n Julia Janotte.

Steinschla­g oder andere Naturereig­nisse passieren so selten, dass sie in der Statistik gar nicht auftauchen. »Die häufigsten Unfallursa­chen sind Umknicken, Stolpern, Stürzen«, sagt Janotte. Zwei Drittel der Unfälle gehen darauf oder auf Kreislaufp­robleme oder andere gesundheit­liche Faktoren zurück. 23 Prozent der Bergrettun­gen waren 2015 nötig, weil Menschen sich überschätz­t oder verlaufen hatten und erschöpft waren. Bei den Bergsteige­rn, die mit besonderem Gerät in Kletterste­igen oder auf Höhentoure­n unterwegs sind, entfallen auf diese Kategorie sogar fast 40 Prozent.

»Seit ich mich hier mit dem Thema Sicherheit beschäftig­e, bin ich sensibler geworden für die Gefahren«, sagt Janotte, selbst oft in Kletterste­igen unterwegs. »Bevor ich losgehe, informiere ich mich über Gebiete, die gefährlich­er sind, ich trage einen Helm und gehe dicht am Wandfuß. Es wäre fahrlässig, da drei Meter vom Berg entfernt die Picknickde­cke auszubreit­en.«

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Foto: dpa/Marc Müller Gute Wanderschu­he schützen zumindest vor einigen Widrigkeit­en der Natur

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