nd.DerTag

Enträtselt­e AfD

Meinungsfo­rscher Nico Siegel über die Aussagekra­ft von Wahlumfrag­en und den Einfluss von Fake-News

-

Wie Demoskopen auf Rechtswähl­er und Fake News reagieren.

»Glaube nur einer Statistik, die du selbst gefälscht hast«, lautet ein geflügelte­s Wort. Welchen Statistike­n glauben Sie, Herr Siegel?

Ich glaube allen Statistike­n, die auf Grundlage einer wissenscha­ftlich abgesicher­ten Methode erhoben wurden. Dazu muss ich wissen: Wer wurde wie befragt, bei welcher Stichprobe­ngröße und wie kommen die Ergebnisse zustande? Wenn die Methode wissenscha­ftlich abgesicher­t ist, sollte man in demokratis­chen Gesellscha­ften einer Statistik Glauben schenken, denn ohne sie könnten Menschen sich nicht verdichtet informiere­n und Wissenscha­ftler könnten einige Fragen inner- und außerhalb der Politik nicht beantworte­n.

Haben Sie bei Ihren Methoden, im Vergleich zur vergangene­n Bundestags­wahl, bestimmte Schrauben neu justiert?

Wir arbeiten kontinuier­lich an unseren Methoden, denn Politik und Kommunikat­ion unterliegt einem Wandel. Den sollte man nicht zu sehr dramatisie­ren, aber auch nicht unterschät­zen. Wir justieren unsere Methoden natürlich immer wieder nach. Wir haben 2017 zum Beispiel mehr Online-Erhebungen und wir haben bei der AfD mehr Erfahrungs­werte sammeln können. Das ist ein kontinuier­licher Prozess.

Umfrageins­titute werden von Anhängern der neuen rechten Bewegungen mitunter als Teil ihrer politische­n Gegnerscha­ft gesehen, viele Bürger verweigern die Teilnahme an Umfragen. Werden Ihre Ergebnisse zur AfD dadurch ungenau?

Die These, dass Menschen, die eher eine rechte Einstellun­g haben, sich weniger häufig an politische­n Umfragen beteiligen, ist nicht falsch. Wenn wir jedoch das Phänomen kennen und die Größenordn­ung abschätzen können, haben wir verschiede­ne Möglichkei­ten, es zu korrigiere­n. Wir können zum Beispiel mit unterschie­dlichen Erhebungsm­ethoden arbeiten oder mit verschiede­nen Gewichtung­sfaktoren. Der Abstand zwischen den Werten der AfD bei Vorwahlerh­ebungen und beim Wahlergebn­is ist deshalb schon geringer geworden. In den USA gab es den »Shy-Trump«Effekt: Etliche Trump-Wähler waren in Vorwahlumf­ragen zu »schüchtern« (»shy«), um sich als Trump-Untersützt­er zu offenbaren. Rechnen Sie hierzuland­e mit einem »Shy-AfD«-Effekt?

Um sagen zu können, ob es einen solchen Effekt gibt, müssten wir das Wahlergebn­is kennen. In Bezug auf Trump muss man das allerdings auch relativier­en: Die nationalen Umfragen in den USA hatten im Durchschni­tt die Anteile, die Donald Trump dann bei den Präsidents­chaftswahl­en erhielt, um drei Prozentpun­kte unterschät­zt – also nicht um 20 oder 30 Prozent. Wir wenden im Blick auf die Wahl Gewichtung­sfaktoren an, die dafür sorgen sollen, dass die Wähler der AfD gut abgebildet werden. Wir gehen auch davon aus, dass wir in den letzten drei Jahren genügend Erfahrungs­werte gesammelt haben, um mit methodisch­en Mitteln ein vernünftig­es Stimmungsb­ild zur Anhängersc­haft der AfD abgeben zu können. Vorwahlerh­ebungen sind ja keine Prognosen, sondern messen Stimmungst­rends.

Nicht nur die Medien gelten bei Teilen der Bevölkerun­g als »Lügenpress­e«, auch Umfrageins­titute müssen sich vorwerfen lassen, dass sie zum Meinungska­rtell gehören. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Sie manipulier­ten Umfrageerg­ebnisse? Dass es einen Anteil in der Bevölkerun­g gibt, der sehr kritisch gegenüber der politische­n Elite, dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk und damit vielleicht auch gegenüber uns als Umfrageins­titut ist, können wir nicht ausschließ­en. Aber wir können unseren Beitrag leisten, zu zeigen, dass es dafür keinerlei stichhalti­ge Beweise gibt. Zum Beispiel in dem wir unsere methodisch­en Standards bei jeder Untersuchu­ng entspreche­nd offenlegen. Wir nehmen bei Infratest dimap auch keine Beratungsa­ufträge für Parteien an.

Aber ihre Berechnung­sschlüssel hüten Meinungsfo­rschungsin­stitute doch wie Keksherste­ller ihr Teigrezept.

Das stimmt nur teilweise. Wir haben in wissenscha­ftlichen Publikatio­nen erläutert, wie das funktionie­rt: Es sind im Wesentlich­en zwei Gewichtung­s- schritte. Zuerst gewichten wir unsere Stichprobe­n nach sozialstru­kturellen Merkmalen, weil wir zum Beispiel wissen, dass Menschen mit formal niedrigen Bildungsab­schlüssen etwas weniger häufig in den Stichprobe­n vertreten sind. Im zweiten Schritt nehmen wir auf Basis von Erfahrungs­werten eine politische Gewichtung vor. Natürlich haben wir als privates Erhebungsi­nstitut kein Interesse, dieses über viele Jahre kumulierte Wissen mit Wettbewerb­ern zu teilen.

Die USA werfen Russland Wahlmanipu­lation vor, hierzuland­e wird vor Fake-News und Social Bots gewarnt. Spielen diese möglichen Einflüsse für Ihre Umfragen eine Rolle?

Wir stellen ja Fragen wie: »Wählen Sie überhaupt« und »Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestags­wahl wäre?« oder »Heißen Sie eher die Rentenpoli­tik der einen oder der anderen Partei für gut?« Insofern ist es bei unserer Arbeit schwierig zu sagen, wo Fake-News Einfluss auf die Meinungsbi­ldung der Befragten haben. Menschen sind schon immer Informatio­nsselektiv­itäten ausgesetzt gewesen, ob als Kind im Elternhaus oder in der Jugend über Peer-Groups. In einem links-intellektu­ell geprägten Haushalt gab es vielleicht bestimmte Meinungen dazu, ob Unternehme­n nur kurzfristi­g nach Profit streben und sich nicht um das Wohl der Mitarbeite­r kümmern. Dagegen hat jemand in einem Unternehme­rhaushalt vermutlich oft gehört, Gewerkscha­ften würden die Unternehme­nsfreiheit behindern. Was ist rich- tig, was falsch? Für unsere Umfragen sind am Ende nur die Meinungen der Befragten relevant; worauf diese basieren, ist für uns nicht überprüfba­r.

Vorhersage-Softwares und Big-Data-Prognosen sind auf dem Vormarsch. Sind Umfragen noch ein zeitgemäße­s Mittel, um Wahlergebn­isse vorherzusa­gen?

Ich bin relativ optimistis­ch, dass auf Umfragen basierte Erkenntnis­gewinnung auch in zehn Jahren noch einen hohen Stellenwer­t haben wird. Nur auf dieser Basis kann man absolut sicherstel­len, dass man es mit einem einzigen Menschen zu tun hat, der mit einem klar umrissenen Fragebogen zu einem bestimmten Zeitpunkt Auskunft gibt. Dass innovative Verfahren wie »Big-data inspired prediction« an Boden gewinnen, ist wahrschein­lich. Aber es kommt immer darauf an, für welchen Zweck man dies verwendet. Für die Prognosen am Wahlsonnta­g, die mit der Schließung der Wahllokale um 18 Uhr veröffentl­icht werden und bei denen wir für Bundestags­wahlen über 100 000 Menschen und bei Landtagswa­hlen über 20 000 Menschen in den Wahllokale­n befragen, sehe ich derzeit kein Verfahren, das diese Prognosen ablösen könnte.

Wie viel ist an dem Vorwurf dran, Medien verkauften die Umfrageerg­ebnisse mit höherer Wertigkeit, als ihnen tatsächlic­h beizumesse­n ist?

Von solchen pauschalen Vorwürfen halte ich nichts. In der These stecken zwei Behauptung­en. Einerseits, dass die Relevanz von Umfragen über- schätzt wird und anderersei­ts, dass die Medien wesentlich dafür verantwort­lich seien.

Vor einer Wahl wird die Rolle der Demoskopie stets betont ...

... und danach fragt man sich, ob sie überhaupt so wichtig ist. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Medienvert­reter gehen unterschie­dlich mit Umfragen um, einige sind methodisch sehr gut ausgebilde­t, andere nicht. Ich warne auch vor der Schlussfol­gerung, dass Umfragen einen viel größeren Wert in der Politik haben als vor 20 oder 30 Jahren. Bereits in den 1960er Jahren wurden auf Grundlage von Umfragen und Zufriedenh­eitswerten von Politikern wichtige Entscheidu­ngen getroffen. Die Anzahl der Umfragen hat in letzter Zeit deutlich zugenommen, eine Inflation des Vorkommens ist aber nicht mit einem Bedeutungs­zuwachs gleichzuse­tzen.

Spätentsch­eider gehören zu den größten Herausford­erungen für Demoskopen – und ihr Anteil wächst. Wird das für Sie zum Problem?

Der Anteil der Spätentsch­eider hat gegenüber der 1970er, 80er und 90er Jahre zugenommen. Es ist aber nicht so, dass es sich um ein ungebremst­es Wachstum handelt. Es sind je nach Wahl und wie man Spätentsch­eider wirklich genau definiert zwischen 20 und 30 Prozent. Dem versuchen wir Rechnung zu tragen, indem wir für unsere Vorwahlerh­ebungen betonen, dass immer noch ein erhebliche­r Anteil nicht entschiede­n ist. Gleichwohl ist es immer noch wichtig zu sagen, dass sich die Mehrheit der Wählerinne­n und Wähler nicht erst in den letzten Tagen entscheide­t; insbesonde­re unter den älteren Wählern gibt es noch viele mit hoher Parteibind­ung. Im Vergleich zu den 1980er Jahren sind die letzten zwei Wochen im Wahlkampf heute wichtiger geworden. Für viele Parteien besteht trotzdem die erste Hauptherau­sforderung darin, ihre Stammwähle­r zu mobilisier­en. Für die Parteien sind Spätentsch­eider sicher eine Herausford­erung, aber nicht für die Demoskopen, da wir Stimmungsm­essungen durchführe­n und keine Prognosen über das Wahlverhal­ten in zehn Tagen abgeben.

 ?? Foto: imago/Westend61 ?? Rund vier Wochen vor der Bundestags­wahl liegt die Union in Umfragen deutlich vor der SPD. Knapp die Hälfte der Deutschen wissen allerdings noch nicht, für welche Partei sie am 24. September stimmen werden. Für die Meinungsfo­rscher sind Prognosen daher...
Foto: imago/Westend61 Rund vier Wochen vor der Bundestags­wahl liegt die Union in Umfragen deutlich vor der SPD. Knapp die Hälfte der Deutschen wissen allerdings noch nicht, für welche Partei sie am 24. September stimmen werden. Für die Meinungsfo­rscher sind Prognosen daher...

Newspapers in German

Newspapers from Germany