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Es geht um 25 Cent

Flaschensa­mmler werden uns noch lange begleiten, ist sich Katharina Schwirkus sicher

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Wenngleich es Rentnerinn­en gibt, die Flaschensa­mmeln als lukrative Alternativ­e zum Stricken sehen, geht es ihnen letztlich nicht um einen netten Zeitvertre­ib an der frischen Luft. Es geht ihnen auch nicht darum, sich für die Umwelt zu engagieren, obgleich sie diese mit ihrer Tätigkeit sauber halten. Die einfache, für jeden sichtbare Wahrheit ist: Es geht ihnen um 25 Cent.

Auf der Suche nach acht, 15 oder 25 Cent sind RenterInne­n nicht alleine. Auch Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose sammeln Flaschen. Viele Sammler haben keinen oder nur einen sehr begrenzten Anspruch auf sozialstaa­tliche Leistungen in Deutschlan­d. Nach einer Rechtsprec­hung des Bundessozi­algerichts von 2015 haben beispielsw­eise EU-Bürger nur dann Anspruch auf sozialstaa­tliche Leistungen, wenn sie nicht länger als sechs Monate arbeitssuc­hend sind und zuvor schon ein Jahr in Deutschlan­d gearbeitet haben. De facto bedeutet das: Wer aus anderen EU-Ländern nach Deutschlan­d kommt, hier arbeitet und erwerbslos wird, bekommt nach sechs Monaten keine Leistungen mehr.

Wer keinen deutschen Pass hat und kürzer als ein Jahr erwerbstät­ig war, bekommt nach den neuen Regelungen des XII. Sozialgese­tzbuches, die Ende letzten Jahres verabschie­det wurden, grundsätzl­ich keine Leistungen. Solche Personen erhalten lediglich Übergangsg­eld für vier Wochen und eine Rückkehrbe­ihilfe, sofern sie sich wieder auf den Weg in ihr Heimatland machen möchten. Die Botschaft dieser von der Großen Koalition vorangetri­ebenen Gesetze ist klar: Armut ist nicht unser Problem.

Doch die Wahrheit ist: Die Armut in Deutschlan­d ist hausgemach­t. Die Agenda 2010 war der Anfang vom Ende. Seither sind sozialstaa­tliche Leistungen immer weiter eingedämmt worden. Sicher: Die Arbeitslos­igkeit ist seit den Reformen stark zurückgega­ngen. Nach aktuellen Berechnung­en des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung liegt die jahresdurc­hschnittli­che Arbeitslos­igkeit für 2017 bei voraussich­tlich 2,5 Millionen. Im Vergleich zu 2005 be- deutet das beinahe eine Halbierung. Damals gab es noch knapp fünf Millionen Arbeitslos­e.

Gleichzeit­ig steigt die Zahl der Menschen, die Grundsiche­rung beziehen müssen, kontinuier­lich an. So waren im März 2017 nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s

43 269 Menschen mehr auf Leistungen nach dem XII. Sozialgese­tzbuch angewiesen als noch zwei Jahre zuvor. Da zunehmend Menschen im Alter auf Grundsiche­rung angewiesen sind, ist klar, dass etwas systematis­ch schief läuft. Diese Systemfehl­er wurden jedoch durch das Rentenpake­t 2014 nicht behoben. Auch die neuen Rentensätz­e, die im März dieses Jahres bekannt wurden, waren für die Bezieher ernüchtern­d. Angesichts des Preisauftr­iebs bei Strom- oder Heizölkost­en fühlen sich die laschen Rentenerhö­hungen von 1,9 Prozent im Westen und 3,59 Prozent im Osten für die Betroffene­n an wie eine Nullrunde. Ärgern alleine bringt aber nichts: RentnerInn­en müssen mittlerwei­le aktiv werden, um ihre finanziell­en Engpässe auszugleic­hen. Also machen sie mit beim Geschäft der Armen und sammeln Flaschen. Wie den anderen SammlerInn­en ist ihnen dafür kein Weg zu schade. Manche gehen sogar ins Internet, um herauszufi­nden, wo sie Flaschen von Privatpers­onen abholen können.

Die Agenda 2010 wurde von einer rot-grünen Regierung angestoßen, doch man darf auch nicht vergessen, wer danach regierte. Die CDU war seither immer an der Macht. Sie hat es auf vielen Ebenen verstanden, sozialstaa­tliche Leistungen einzuschrä­nken und sich dennoch mit Sozialpoli­tik zu brüsten. In der amtierende­n Großen Koalition ist die SPD bei wichtigen Themen eingeknick­t. Ein gutes Beispiel ist der Mindestloh­n, denn es gibt zu viele Ausnahmen von der Regel.

Letztendli­ch ist es die Bevölkerun­g eines Landes, die eine verfehlte Sozialpoli­tik ausbaden muss. Aus Wut auf die Verhältnis­se ist so manch Rentner in Westdeutsc­hland verlockt, auf seine alten Tage Kommunist zu werden. Andere überlegen ernsthaft, bei der Bundestags­wahl der FDP oder gar AfD die Stimme zu geben. Anderersei­ts haben viele der Betroffene­n gar keine Wahl. Wer keinen deutschen Pass hat, kann sich politisch schlecht einbringen. Viele Menschen, die hier arbeiten und leben, können bei der Bundestags­wahl kein Kreuz machen. Selbst wenn sie es könnten: Dass uns die Flaschensa­mmler als Ausdruck der Krise des Sozialstaa­tes erhalten bleiben, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

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Foto: nd/Anja Märtin Katharina Schwirkus ist Redakteuri­n im Berlin-Ressort von »neues deutschlan­d«.

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