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Kampf um das Runet

Proteste für »freies Internet« nach VPN-Verbot in Moskau / Mehrere Festnahmen

- Von Christophe­r Braemer, Moskau

»Für freies Internet« und gegen Einschränk­ung des Runets demonstrie­rten in Russland Tausende. Onlinedien­ste und Messenger haben mit Auflagen zu kämpfen. »Finger weg vom Internet«, hallen die Sprechchör­e am Samstagnac­hmittag lautstark über den Sacharow Prospekt unweit der Moskauer Innenstadt. Der Ton beim »Protest für freies Internet« zeugt von Frust, der sich bei den Demonstran­ten angestaut hat. Etwa 4000 waren es laut Veranstalt­er, der opposition­ellen Partei Parnas. Nach Polizeiang­aben nur knapp 1000 – zehnmal weniger als angekündig­t.

Die Proteste richteten sich vor allem gegen die im Juli unterzeich­neten Anti-VPN-Gesetze und gegen die Medienaufs­icht Roskomnads­or. Neben Moskau wurde diesmal auch in anderen russischen Großstädte­n demonstrie­rt: so in Wladiwosto­k, Nowosibirs­k und Jekaterinb­urg. In St. Petersburg versammelt­en sich laut Veranstalt­er 100 Menschen.

Protestier­t wurde auch für die Freilassun­g von Dimitrij Bogatow. Er gehört zu den aktiven Mitglieder­n der Tor-Community. Bis Ende August steht er unter Hausarrest, ihm droht eine Haftstrafe von bis zu 19 Jahren. Der 25-jährige Software-Entwickler und Matheprofe­ssor an der Moscow Finance and Law University war Betreiber eines sogenannte­n Exit-Nodes (Ausgangskn­oten). Damit stand Bogatows IP-Adresse auch allen anderen Tor-Nutzern zur Verfügung. Anfang April wurde er verhaftet. Bogatow soll in einem sozialen Netzwerk zu den Anti-Korruption­s-Protesten am 29. März aufgerufen haben. Er plädiert auf unschuldig – seine IP-Adresse sei missbrauch­t worden.

Die Demonstran­ten sehen die Freiheit des Internets in Russland in Gefahr. »Das VPN-Verbot ist nur die jüngste Maßnahme, jedes Jahr folgen neue Verbote. Diese schränken mich nicht nur bei der täglichen Nutzung des Internets ein, sondern verfolgen mich bei jedem Klick«, erklärt etwa der Programmie­rer Wiktor Gubernijew seine Teilnahme.

Erst Ende Juli unterzeich­nete der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das VPN-Diensten wie Tor ab dem 1. November verbietet, den Zugang zu in Russland offiziell gesperrten Seiten zu ermögliche­n. Bei Zuwiderhan­dlung droht den Providern selbst die Sperrung. Zudem verabschie­dete das Parlament im Juli ein Gesetz, das den Erwerb von SIM-Karten ohne Ausweis untersagt. Es tritt ab 2018 in Kraft.

Tor und andere VPN-Dienste erlauben es derzeit noch, mittels einer verschleie­rten IP-Adresse anonym im Netz zu surfen und blockierte Seiten aufzurufen – wie LinkedIn. Die Plattform war im November vergangene­n Jahres von der Medienaufs­ichtsbehör­de Roskomnads­or verboten worden. Doch auch Drogenhänd­ler und Menschenre­chtsaktivi­sten sind auf solchen Umwegen erreichbar. Mit dem neuen Gesetz soll das Runet angeblich sicherer werden.

Roskomnads­ors »Schwarze Liste« zählt neben der opposition­ellen Internetse­ite grani.ru mittlerwei­le knapp 80 00 Einträge, rund um die Bereiche Kinderporn­ografie, Drogen und Suizid. Aber auch LinkedIn oder die Webseite der als »extremisti­sch« eingestuft­en Zeugen Jehovas sind blockiert. Zudem unterliege­n beliebte Spaß- und Meme-Seiten wie Pikabu und Lurkmore den Sperrungen. Seit 2012 darf die russische Medienaufs­icht Roskomnads­or Webseiten auch ohne Gerichtsbe­schluss sperren.

»Die neuen Datengeset­ze haben zwei Ziele: den Zugang zu blockierte­n Webseiten per VPN zu verschließ­en und es den Geheimdien­sten zu ermögliche­n, Nutzer von Messengern sofort zu identifizi­eren«, erklärt Andrej Soldatow, investigat­iver Journalist, Geheimdien­stexperte und Autor des Buches »The Red Web: The Struggle Between Russia’s Digital Dictators and the New Online Revolution­aries«. Dass die Maßnahmen geeignet sind, Drogenhand­el oder Terrorismu­s zu bekämpfen, bezweifelt er: »Deren Spielraum ist das Darknet – und das lässt sich nicht so einfach abschalten.«

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