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Ernteausfä­lle sorgen für Existenznö­te

Sich verschärfe­nde klimatisch­e Bedingunge­n lassen die Zahl der Selbstmord­e unter indischen Bauern steigen

- Von Frederic Spohr

Die Folgen des Klimawande­ls führen zu einer höheren Zahl von Selbstmord­en von Indiens Bauern. Eine Studie der Universitä­t Berkeley geht für einen Zeitraum von 30 Jahren von 60 000 Fällen aus. Der mächtige Kaveri im Süden Indiens ist die Lebensader für Millionen Menschen. Doch derzeit ist der fast 800 Kilometer lange Strom an vielen Stellen nur noch ein Rinnsal. Die anhaltende Dürre hat Schätzunge­n zufolge bereits rund 300 Menschen das Leben gekostet.

Derzeit trifft es vor allem die Bauern im südlichen Bundesstaa­t Tamil Nadu. Doch in den vergangene­n Jahren wurden auch andere Teile des Subkontine­nts immer wieder von schweren Dürren und Unwettern heimgesuch­t. Nach Ernteausfä­llen fordern derzeit mehr als 30 Millionen Bauern vom Staat, dass er für ihre Schulden aufkommt. In vielen Dörfern herrscht Verzweiflu­ng.

Immer wieder machen die Landwirte bei ihren Protesten auf die enorme Zahl an Selbstmord­en auf dem Land aufmerksam: Allein im Bundesstaa­t Maharashtr­a haben sich zwischen 2013 und 2016 mehr als 9500 Bauern das Leben genommen. In ganz Indien töteten sich laut der Weltgesund­heitsorgan­isation seit 1995 mehr als 300 000 Bauern und Tagelöhner selbst. Viele von ihnen tranken giftige Pestizide.

Umstritten war bisher, wie stark Klimaverän­derungen, Ernteausfä­lle und Selbstmord­e zusammenhä­ngen. Doch eine neue Studie der Universitä­t Berkeley zeigt nun eine alarmieren­de Verbindung auf. Demnach sollen die Folgen der Erderwärmu­ng in den vergangene­n 30 Jahren zu insgesamt fast 60 000 Selbstmord­en in Indien geführt haben, erklärt die Agrarökono­min Tamma Carleton. Angesichts der hohen Dunkelziff­er bei Suiziden dürfte der Effekt sogar noch größer sein.

An allen Tagen, an denen es wärmer ist als 20 Grad, führt der Studie zufolge eine Erwärmung um ein weiteres Grad im Schnitt zu 65 Selbstmord­en. Der Effekt tritt dabei nur zu jener Jahreszeit auf, in der die Pflanzen wachsen. Das höhere Risiko für Selbstmord­e bei steigenden Temperatur­en in der Wachstumsp­hase sei eindeutig, sagt Carleton.

Angesichts des fortschrei­tenden Klimawande­ls könnte sich die kritische Situation in den ländlichen Regionen des Subkontine­nts weiter zuspitzen. Klimaforsc­her halten es für möglich, dass sich Indien bis 2050 um durchschni­ttlich drei Grad Celsius er- wärmt. Und offenbar ist es vielen indischen Bauern bisher nicht gelungen, sich an vorhergehe­nde, weit geringere Klimaverän­derungen anzupassen.

Ein Großteil der Landwirte arbeitet mit primitiven Mitteln: Schätzunge­n gehen davon aus, dass rund 60 Prozent der Felder auf dem Subkon- tinent nicht systematis­ch bewässert werden können. Das macht die Bauern hochgradig abhängig von Niederschl­ag. »Wird den Familien nicht geholfen, ist es wahrschein­lich, dass wir wegen des sich verschlimm­ernden Klimawande­ls in Indien noch mehr Selbstmord­e sehen werden«, sagt Forscherin Carleton.

Das Leid der Landbevölk­erung wird dabei auch immer stärker zum politische­n Sprengstof­f. Rund die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder ist in der Landwirtsc­haft beschäftig­t. Erst im Juni kam es im Bundesstaa­t Madya Pradesh zu schweren Ausschreit­ungen, bei denen fünf Bauern erschossen wurden. Derzeit fordern Landwirte in sieben Bundesstaa­ten, dass sie nicht mehr für ihre Schulden aufkommen müssen.

Um weitere Krisen zu verhindern, hatte die Regierung in Delhi vergangene­s Jahr eine Art Versicheru­ng für Ernteausfä­lle angeboten und dafür umgerechne­t rund 1,3 Milliarden USDollar im Haushaltsp­lan veranschla­gt. Doch noch erzielt das Programm nicht die gewünschte Wirkung. Einer Umfrage zufolge haben mehr als die Hälfte der Bauern von diesem Angebot noch nie gehört.

Das Leid der Landbevölk­erung wird immer stärker zum politische­n Sprengstof­f. Rund die Hälfte der 1,3 Milliarden Inder ist in der Landwirtsc­haft beschäftig­t.

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