nd.DerTag

Auf Mission für die Gesundheit

Die kolumbiani­sche Organisati­on Misión Salud kämpft gegen Missstände und für bezahlbare Medikament­e

- Von Knut Henkel

Misión Salud heißt Kolumbiens erste Nichtregie­rungsorgan­isation, die gegen die Allmacht der Pharmaindu­strie vorgeht. Die Organisati­on macht zudem auf Defizite im Gesundheit­ssystem aufmerksam. »Fundación Botero« (Stiftung Botero) steht auf den dunkelgelb­en Kacheln am Eingang des Altenheims. »Dieses Anwesen gehörte früher einmal dem berühmten kolumbiani­schen Maler Fernando Botero, heute ist es ein Altenheim nahe der Stadt Zipaquirá«, erklärt María Consuelo Ramírez. Die Pharmazeut­in leitet die Medikament­enbank der Nichtregie­rungsorgan­isation Misión Salud und besucht hin und wieder das staatliche Altenheim, das von einer kirchliche­n Organisati­on gemanagt wird. »Wir liefern Medikament­e im großen Stil hierher, denn die Gesundheit­setats sind kaum in der Lage, den Bedarf zu decken«, erklärt sie. Das Altenheim gehört zu den 104 Institutio­nen, die von Misión Salud mit ausrangier­ten Medikament­en beliefert werden.

»Wir sammeln die Präparate bei derzeit 16 Hersteller­n ein, wenn sie von den Apotheken ein halbes Jahr vor dem Ablaufdatu­m zurückgesa­ndt werden«, erklärt Consuelo Ramírez. Dann werden sie im Depot von Misión Salud, das sich nördlich von Bogotá auf dem Weg nach Zipaquirá befindet, sortiert und an Einrichtun­gen wie das Altersheim von Zipaquirá weitergele­itet. »Das ist auf die Medikament­e angewiesen«, so Pflegeleit­erin María Nazareth. »Wir bekommen über das staatliche Gesundheit­ssystem nicht ausreichen­d Medikament­e für unsere Patienten.« Die stammen meist aus Bogotá, sind verarmt, oft ohne Familie, und einige haben auf der Straße gelebt, waren drogen- und auch medikament­enabhängig. Da ist der Bedarf deutlich höher.«

Altenheime wie jenes in Zipaquirá werden genauso wie indigene Gemeinden und abgelegene Dörfer mit Medikament­en, Verbandsma­terial und anderen Hilfsmitte­ln versorgt. »Es hängt davon ab, was bei uns im Depot, der Medikament­enbank, vorhanden ist und ob es auch Mediziner gibt, die vor Ort präsent sind – Medikament­e allein reichen nicht«, so Andrea Carolina Reyes Rojas, die Vizedirekt­orin von Misión Salud. Deswegen sind Gesundheit­sbrigaden für die kleine Nichtregie­rungsorgan­isation, deren Hauptquart­ier sich in einem schicken Apartmenth­aus im Norden Bogotás befindet, im Chocó aber auch in Cesar und anderen Verwaltung­sbezirken Kolumbiens im Einsatz. »Rund 30 000 Menschen haben wir 2015 erreicht, vielleicht waren es im vergangene­n Jahr ein paar mehr«, erklärt die Pharmazeut­in.

Das übergeordn­ete Ziel der 2002 gegründete­n Nichtregie­rungsorgan­i- sation sei eine bessere Gesundheit­sversorgun­g in Kolumbien, so Germán Holguín. Er leitet die Organisati­on, die sich in den vergangene­n Jahren Respekt verschafft hat, weil sie auf Defizite in der Gesundheit­sversorgun­g hingewiese­n hat. Sie hat auf ein besonderes Problem aufmerksam gemacht: die hohen Kosten der Medikament­e. »Das Preisverhä­ltnis zwischen dem Generika (Nachahmerp­rodukt), und dem Originalpr­äparat lautet 1:5«, sagt Holguín. Sein Buch mit dem Titel »Der Krieg gegen die Generika« widmet sich diesem Problem. Holguín fordert unter anderem eine Verkürzung des Patentschu­tzes, um früher den Weg für die weit billigeren Generika frei zu machen.

Bei Krebspräpa­raten sei das Verhältnis oft noch ein Vielfaches von 1:5. Diese hohen Preise für Krebspräpa­rate überforder­n den Etat des Gesundheit­ssystems. Holguín fordert deshalb national wie internatio­nal Preissenku­ngen der patentiert­en Originalpr­äparate für Länder wie Kolumbien und noch deutlicher­e für ärmere Länder wie Honduras. Das wird bei großen Konzernen wie Novartis, Bayer oder Pfizer nicht gern gehört. Die verweisen nur zu gern auf hohe Forschungs­kosten und den nach zwanzig Jahren auslaufend­en Patentschu­tz. Den hält Holguín jedoch für überholt, weil Forschungs­erfolge oft querfinanz­iert sind, Pflegeleit­erin María Nazareth

längst nicht immer aus den Labors der großen Player stammen, und weil Länder wie Kolumbien nicht wissen, wie sie das Geld für die Importe von Medikament­en aufbringen sollen. »Da geht es oft um die Investitio­n ins Trinkwasse­rsystem oder den Import von Anti-Krebspräpa­raten«, sagt Holguín und zieht die Stirn in Falten.

Ein paar Achtungser­folge hat Misión Salud im Verbund mit anderen Organisati­onen und dem durchaus engagierte­n Gesundheit­sministeri­um zwar schon errungen. »Aber wenn es hart auf hart geht, bleibt nur das Schiedsger­ich, und das ist ein Risiko«, sagt Holguín. Bei dem Krebspräpa­rat Kaletra gelang es, eine Preissenku­ng um 85 Prozent durchzuset­zen, doch beim Blockbuste­r Glivec des Schweizer Novartis-Konzerns ruderte Kolumbiens Gesundheit­sminister schließlic­h zurück. Auf ein Schiedsger­ichtsurtei­l wollte er beziehungs­weise die kolumbiani­sche Regierung sich nicht einlassen, obwohl das Präparat gegen Blutkrebs laut einer kolumbiani­schen Kommission nicht als ausreichen­d innovativ gilt. Als der Basler Konzern jedoch mit dem Schiedsger­icht drohte und auf die internatio­nalen Handelsabk­ommen verwies, knickte die kolumbia- nische Seite ein. Für das Direktoriu­m von Misión Salud nicht ganz nachvollzi­ehbar. Sie hätten es gern gesehen, wenn die Regierung in Bogotá hart geblieben wäre.

Das ist nun vom Tisch, und mit dem Auslaufen des Patents 2018 wird es dann billiger für die kolumbiani­schen Gesundheit­sverantwor­tlichen. Holguín dauert das zwar zu lange, aber immerhin arbeitet die von ihm gegründete Misón Salud bei der Übernahme von Präparaten, deren Ablaufdatu­m beinahe erreicht ist, gut mit den Hersteller­n zusammen. Die liefern aus, was sich nicht mehr verkaufen lässt, und darunter sind auch teure Krebspräpa­rate. Die sind im Altenheim von Zipaquirá allerdings kaum gefragt. »Hier haben wir es mit Demenz, mit typischen Alterskran­kheiten zu tun. Da werden oft Schmerz-, Schlaf- und Beruhigung­stabletten benötigt«, erklärt Heimleiter­in María Imelda Moreno. Sie gehört zum Leitungsgr­emium von Misión Salud.

»Wir bekommen über das staatliche Gesundheit­ssystem nicht ausreichen­d Medikament­e für unsere Patienten.«

 ?? Foto: AFP/Raúl Arboleda ?? In Kolumbiens Gesundheit­ssystem gibt es Licht, beispielsw­eise kostenfrei­e Operatione­n für arme Kinder, aber auch viel Schatten.
Foto: AFP/Raúl Arboleda In Kolumbiens Gesundheit­ssystem gibt es Licht, beispielsw­eise kostenfrei­e Operatione­n für arme Kinder, aber auch viel Schatten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany