nd.DerTag

Helfer im Fadenkreuz

Mitarbeite­r von humanitäre­n Organisati­onen werden zunehmend Opfer von Gewalt

- Von Marc Engelhardt, Genf

Wer hilft, lebt gefährlich: 288 Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen wurden im vergangene­n Jahr Opfer von Angriffen oder Anschlägen. 101 von ihnen starben. In der internatio­nalen Datenbank über die Sicherheit von Krisenhelf­ern kommt beinahe jeden zweiten Tag ein neuer Übergriff hinzu. In diesem Jahr waren es bereits 136.

Auch Einsätze in Gebieten, in denen kein Krieg herrscht, können lebensgefä­hrlich sein. So wie derzeit im Mittelmeer. Aktivisten, die mit ihren Schiffen Flüchtling­e vor dem Ertrinken retten wollten, wurden Anfang August von der libyschen Küstenwach­e beschossen. Angeblich Warnschüss­e, doch die Kapitänin Pia Klemp sagt über die Schützen: »Es handelt sich um eine völlig wahnsinnig­e Truppe, die wie im Wilden Westen auftritt – niemand kann sicher sein, ob er nicht von ihnen beschossen wird.« Dabei garantiert das humani- täre Völkerrech­t den Schutz von Helfern selbst im Krieg. Doch nicht nur vor Libyen ist diese Garantie immer weniger wert.

»Helfer haben es immer weniger mit regulären Armeen zu tun«, bilanziert Stefan Bihl, der das Landesbüro der Johanniter-Unfall-Hilfe im Kongo leitet. »Es sind Rebellen, Milizen, bewaffnete Banden, die keiner wirklichen Kommandost­ruktur gehorchen.« Das mache die Lage unsicherer. Rebellen und Milizen lassen sich zudem nicht wegen Völkerrech­tsverstöße­n verfolgen.

Und doch: »Auch sie sind auf die Bevölkerun­g in den Regionen angewiesen, in denen sie operieren – deshalb ist es für uns entscheide­nd, dass die Bevölkerun­g auf unserer Seite ist.« Dann nämlich warnen Bewohner die Helfer, beispielsw­eise wenn eine Offensive bevorsteht. Auf diese Weise wird etwa vermieden, dass Ärzte zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

Oft genug jedoch sind die Helfer selbst das Ziel von Angriffen. Im Juli überfielen bewaffnete Gruppen eine Klinik von »Ärzte ohne Grenzen« im Südsudan, verletzten zwei Mitarbeite­r und plünderten. Es war das zweite Mal, das die Klinik in Pibor überfallen wurde. In dem bitterarme­n Land, wo seit drei Jahren gekämpft wird, werden Helfer auch deshalb Opfer von Gewalt, weil sie über begehrte Ressourcen verfügen.

Noch dramatisch­er ist die Lage, wenn etwa saudische Kampfjets Krankenhäu­ser im Jemen bombardier­en oder die syrische Armee gezielt Kliniken in Opposition­shochburge­n beschießt. Wenn solche Angriffe das Ziel haben, den Gegner durch Zerstörung der humanitäre­n Infrastruk­tur zu schwächen, gelten sie als Kriegsverb­rechen: Vermutlich ein Grund, warum sowohl die saudische Führung sowie auch Syriens Machthaber Baschar al-Assad entspreche­nde Vorwürfe von Menschenre­chtlern weit von sich weisen.

Tatsächlic­h seien die Gründe für Gewalt vielschich­tig, betont Alexander Breitegger vom Internatio­nalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Zahl und Komplexitä­t der Konflikte hätten zugenommen. »Dass Gewalt gegen medizinisc­hes Personal absichtlic­h als Strategie eingesetzt wird, mag in manchen Konfliktge­bieten der Fall sein«, so Breitegger. »Aber auch schlechte Vorsichtsm­aßnahmen oder ein ungenügend­es Verständni­s der Rolle, die humanitäre Hilfe hat, können der Hintergrun­d sein.«

Die zunehmende Gewalt gegen Helfer hängt sicherlich auch mit ihrer wachsenden Zahl zusammen. Diese hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdreifac­ht. Hilfsorgan­i- sationen sind heute in Gegenden präsent, die früher als unerreichb­ar galten. Neben etablierte­n Organisati­onen wie dem IKRK, »Ärzte ohne Grenzen« oder der Johanniter-Unfall-Hilfe sind viele neue Organisati­onen unterwegs. Gefährlich werde es immer dann, wenn sich humanitäre und politische Motive vermischte­n, warnt Breitegger. »Für strikt humanitäre Organisati­onen ist es dann schwierig, das Vertrauen wiederherz­ustellen.«

Eine Studie des Osloer Peace Research Institutes konstatier­t eine wachsende Gewalt gegen Helfer in den Ländern, die große UN-Friedensmi­ssionen beherberge­n – womöglich deshalb, weil Ausländer dort als Teil des Konflikts betrachtet werden. Allerdings: Neun von zehn Gewaltfäll­en richten sich gegen lokales Personal, betont Breitegger. Um Helfer zu schützen, reiche es also nicht aus, sich nur um die internatio­nal entsandten Kräfte zu kümmern. Gefragt seien langfristi­ge Strategien zur Stärkung der Hilfsinfra­struktur.

»Gefährlich wird es immer dann, wenn sich humanitäre und politische Motive vermischen.« Alexander Breitegger

Newspapers in German

Newspapers from Germany