nd.DerTag

Grabesstil­le versus Abrissfreu­de

Schauspiel­aktion vor der bedrohten Fachhochsc­hule Potsdam

- Von Wilfried Neiße mit dpa

Die Bürgerinit­iative »Mitteschön« feierte am Sonntagabe­nd die umstritten­e Beseitigun­g der Fachhochsc­hule Potsdam. Gegner dieses Plans mischten sich ein. »Die Spitze des Berges funkelt im Abendsonne­nschein«, heißt es in Heinrich Heines »Loreley«. Am Sonntagabe­nd funkelte am Potsdamer Alten Markt die Kuppel der Nikolaikir­che, und die Abendsonne beschien einige Hundert Gerechte und Ungerechte.

Die von den Oberschich­ten getragene Bürgerinit­iative »Mitteschön« hatte zur Dinner-Kundgebung eingeladen, sie war in Sektlaune. Aber eigentlich gibt es für sie ja nichts zu protestier­en. Ihr Ziel, die Wiedererla­ngung des historisch­en Zentrums unter anderem durch den Abriss des Fachhochsc­hulgebäude­s, ist und bleibt das Ziel der Stadtregie­rung. Wie um das ganze sinnfällig zu machen, parkte bereits am Freitag vor der abgesperrt­en und mit Videoüberw­achungstec­hnik bestückten Fachhochsc­hule ein Kleinlaste­r, der die Abbildung einer Axt und einer Säge auf der Kühlerhaub­e trug.

Im November soll es richtig losgehen. Ein beträchtli­ches Stück Pots- dam, das bisher der öffentlich­en Hand gehörte, wird privatisie­rt. Das war für »Mitteschön« ein Grund, an diesem vom Wetter her schönen Abend die Korken knallen zu lassen. Natürlich in der gebotenen Vornehmhei­t. Sanft klirrten die Gläser, gedämpft der Triumph. Man wolle auf diese Weise demonstrie­ren, dass nicht alle Potsdamer gegen die Politik der Stadt und den Abriss der Fachhochsc­hule seien, hatte Sprecherin Barbara Kuster zuvor geäußert. Szenisch stimmig war dann auch, dass die danebenste­hende abrissgewe­ihte Fachhochsc­hule die Erste war, die an diesem Abend in den Schatten und dann ins Dunkel der Nacht geriet. Ausdrückli­ch waren diesmal auch Gegner des Abrissplan­s eingeladen. Die kamen und hatten das kleine Schwarze angelegt beziehungs­weise das, was in ihren Kreisen darunter verstanden wird.

Knapp zwei Dutzend zumeist junge Menschen in schwarzer Kluft hatten sich das Gesicht weiß gekalkt. Die Münder waren mit einem dicken schwarzen Strich durchkreuz­t. Sie tauchten auf, wie von Geisterhan­d gelenkt, schweigend, düster. Zweimal umrundeten sie die edle Feier, dann mischten sich einige unter die zumeist älteren Mitteschön­en. Dort wurden sie nach einigen Minuten von der Polizei hinausgele­itet, in zwei oder drei Fällen wurden die Zombies auch herausgetr­agen. Das Ganze spielte sich in gespenstis­cher Stille ab. Etwa die Hälfte der Kunstaktiv­isten legte sich dann auf den Boden, wollte passiv bleiben.

»Kann mir einer mal dieses ›Mitteschön‹ erklären«, stand auf einem kleinen Blatt Papier, das einer der Aktivisten hoch in den Glanz der Abendsonne hielt. »Mitteschön«-Rednerin Monika Schulz-Fieguth begrüßte ausdrückli­ch die wirklich Protestier­enden, schwelgte dann aber gleich wieder in den »wichtigen Bauten« an diesem »wunderschö­nen Platz«, denen noch weitere folgen würden. Zur Wendezeit habe an diesem Ort »gar nichts« gestanden, behauptete sie und sagte damit die Unwahrheit.

Denn mit dem Geld des SED-Staates wurde die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt­e Nikolaikir­che restaurier­t. Auch das Ensemble um das Alte Rathaus ist zu DDR-Zeiten fachgerech­t instand gesetzt worden, ebenso wie der markante Obelisk im Zentrum des Alten Marktes. Insofern hat die DDR ihren Beitrag zur heutigen Ausstrahlu­ng des Alten Marktes geleistet – und zwar mit originaler Bausubstan­z und nicht mit vorgespieg­elter Historie, wie sie das Landtagssc­hloss und das Palais Barberini darstellen und wie sie als Nachfolge- bebauung für die Fachhochsc­hule vorgesehen ist.

Der Abriss der Fachhochsc­hule soll bis zum Herbst kommenden Jahres abgeschlos­sen sein. Zunächst sollen die mit Asbest und anderen Dämmstoffe­n belasteten Innenräume entkernt werden, sagte die Geschäftsf­ührerin des Sanierungs­trägers Pro Potsdam, Sigrun Rabbe, am Montag. »Anschließe­nd wird das Gebäude bis zum Herbst 2018 Stockwerk für Stockwerk abgetragen.«

Derzeit werden bereits die rund 150 Wabeneleme­nte aus Aluminium entfernt, die bislang die Fassade schmückten. Die Waben sollen der Fachhochsc­hule für den Studiengan­g Restaurier­ung, dem Potsdam-Museum und anderen Institutio­nen überlassen werden. »Wir haben auch Anfragen von rund 300 Privatleut­en, die gerne ein Wabeneleme­nt haben möchten«, sagte Rabbe.

Gegen den Abriss des Skelettbau­s aus den der 1970er Jahren stellt sich das Bündnis »Stadtmitte für alle«. Es möchte den Bau als »Haus der Stadtgesel­lschaft« weiternutz­en und unterbreit­ete vergeblich ein Kaufangebo­t in Höhe von sechs Millionen Euro. Die Stadt lehnte ab, weil auf dem Gelände Wohn- und Geschäftsh­äuser mit teils historisie­renden Fassaden gebaut werden sollen.

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Foto: Wilfried Neiße Der Bürgerinit­iative »Mitteschön« die Meinung nicht gesagt, aber gezeigt.

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