nd.DerTag

Direktflug in die Gewitterfr­ont

Über Rosenheim kämpfen sogenannte Hagelflieg­er gegen Unwettersc­häden

- Von Rudolf Stumberger

Mit zwei Flugzeugen und Silberjodi­d sollen die Hagelflieg­er Ernten schützen. Ihr Einsatz ist aber nicht unumstritt­en. Der Blick von Georg Vogl richtet sich skeptisch nach oben, in den Himmel. Dort ist eigentlich alles weiß-blau, ein paar Schäfchenw­olken ziehen an der Sonne vorbei. »Das schaut heute gut aus«, sagt der Chefpilot, und ergänzt: »Das kann sich aber auch schnell ändern.« Wir stehen irgendwo in der oberbayeri­schen Pampa vor einem Flugzeugha­ngar, hinter uns eine einsame, asphaltier­te Landepiste. Noch vor ein paar Minuten hat der 59-Jährige eine zweimotori­ge Maschine mit Hilfe eines knallgelbe­n Gabelstapl­ers aus dem Hangar gezogen. Denn das hier ist der Einsatzflu­gplatz Vogtareuth der Hagelflieg­er von Rosenheim und Vogl ist der Chef eines siebenköpf­igen Teams, das mit Silberjodi­d»Raketen« Unwettersc­häden von der Landwirtsc­haft abhalten soll. Die Piloten tun dies im Auftrag des Landratsam­tes und sind damit in Bayern eine ziemlich einzigarti­ge Truppe, nur in Baden-Württember­g gibt es weitere Gewitterjä­ger.

Und natürlich verlassen sich die Flieger nicht auf den Augenschei­n allein, sondern sind über Funk mit den Vorhersage­n des Deutschen Wetterdien­stes verbunden und aktuelle Daten liefert ein meteorolog­isches Büro in München. Auch können mit Hilfe der Hochschule Rosenheim Radarbilde­r der Wetterlage direkt ins Cockpit gesendet werden. Meist kommen die Gewitterwo­lken am Nachmittag. So wie an jenem Freitag im Mai, als ein Sturm über Deutschlan­d hinwegfegt­e und schließlic­h auch im Münchner Raum Hagelkörne­r mit einem Durchmesse­r von bis zu drei Zentimeter­n fielen. Die südlichen Landkreise Rosenheim, Traunstein und Miesbach sind dabei besonders von der Hagelgefah­r betroffen, die große Schäden auf den Feldern und beim Obstanbau anrichten kann. Hier werden vierzig Prozent mehr Hagel registrier­t als in nördlicher­en Gebieten. Ursache dafür sind die großen Wassermass­en von Chiemsee, Ammersee und Starnberge­r See. Deren Wasser verdunstet und trägt so zur Wolkenbild­ung bei.

Und dagegen fliegen Vogl, Ex-Pilot der Bundeswehr, und sein Team an. Ihre Arbeitsger­äte tragen dabei den Namen »Hannelore« und »Käthi«. Das sind zwei siebensitz­ige Flugzeuge aus italienisc­her Produktion des Modells »Partenavia P68«, sie verfügen jeweils über zwei Turbolader-Motoren mit 210 PS. Eine der Maschinen hat die Kennung »D-GOGO« und in diese klettert nun Pilot Vogl hinein. Das Baujahr des Flugzeuges war 1985, der von Vogl geflogene Vogel hat also schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Drinnen ist es enger als man denkt, und es riecht nach Metall, Öl und Leder. Die Instrument­entafel der »Partenavia« verfügt natürlich über alle Instrument­e, die man braucht um zu fliegen: Höhenmesse­r, künstliche­r Horizont, die Spritanzei­ge und so fort. Doch es gibt einige ungewöhnli­che zusätzlich­e Bedienungs­hebel. »Das hier«, sagt Vogl und deutet auf einen weißen Knopf mit der Aufschrift »Ignition«, »dient zur Zündung der Rauchentwi­ckler unter den Tragflügel­n«.

Diese Geräte, die extra für den Hageleinsa­tz entworfen und gebaut wurden, sind praktisch der technische Kern der ganzen Aktion und sie sehen aus wie Raketen: Ein länglicher metallener runder Körper, vorne mit ei- ner Spitze versehen und hinten mit einer Art Auspuff. Das Ganze funktionie­rt wie ein Triebwerk: Die vorne angesaugte Luft wird in der Brennkamme­r durch das Beifügen eines Lösungsmit­tels aus Silberjodi­d-Aceton zu einem Gasgemisch, das über einen elektronis­chen Funken entzündet wird. Hinten tritt das Gemisch mit einer grüngelben Rauchfahne aus, und so gelangen durch das Silberjodi­d Billionen kleinster Partikel, sogenannte Aerosole, in die Luft. An diesen Kondensati­onskeimen fängt sich in den Wolken der Wasserdamp­f und das Wasser setzt sich an ihnen fest. Dadurch bilden sich statt einiger großer Hagelkörne­r viele kleine, die aber auf dem Weg nach unten schmelzen und so zu Regen werden. Auf diese Weise wird die Hagelbildu­ng bekämpft, und die Flugzeuge können so beeinfluss­en, wann und wo die Wolken abregnen. Sinn ergibt das aber nur, wenn sich noch keine Hagelkörne­r gebildet haben. Früher geschah die Abwehr mit sogenannte­n Hagelraket­en, mit denen das Silberjodi­d vom Boden aus in die Wolken geschossen wurden.

Beflogen wird von den Hageljäger­n ein Gebiet von rund 4800 Quadratkil­ometern, das sich etwa 40 Kilometer des nördlichen Alpenrande­s hinzieht, auch 18 Gemeinden der österreich­ischen Bezirke Kufstein und Kitzbühel werden so geschützt. Angepeilt werden von den Piloten, die meist alleine im Einsatz sind, in der Gewitterfr­ont die Zone der Aufwinde, die eine Geschwindi­gkeit von einhundert Stundenkil­ometern erreichen können. Genau hier ist der richtige Ort, um die Silberjodi­dteilchen in die Wolke einzubring­en, sie werden mit dem Wind in bis zu 15 Kilometer Höhe getragen. Die Hagelpilot­en tun also genau das, was sonst von Fliegern vermieden wird: Sie steuern direkt in die Gewitterzo­ne. Notwendig für derartige Einsätze sind neben einer Blindfluge­rlaubnis – man orientiert sich nur an den Instrument­en – und einer Lizenz für mehrmotori­ge Flugzeuge auch eine Ausbildung in der Hagelbekäm­pfung. Chefpilot Vogl ist übrigens quasi ein alter Hase, er ist seit 1980 dabei.

Dass es die Truppe der Gewitterjä­ger am südbayeris­chen Himmel gibt, ist eine politische Entscheidu­ng, denn der Kampf gegen den Hagel ist nicht unumstritt­en. Oder andersheru­m: Es gibt keine Beweise für die Wirksamkei­t, aber auch keine dagegen. So konnten in einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt keine Auswirkung­en der Hagelbekäm­pfung auf das Hagelgesch­ehen nachgewies­en werden. Gleichwohl hält der Landkreis an seinen Hagelflieg­ern fest. Neue Erkenntnis­se soll jetzt das Forschungs­projekt »Roberta« bringen, das die Hagelflieg­er gemeinsam mit der Hochschule Rosenheim durchführe­n, dabei werden über mehrere Jahre hinweg Daten gesammelt und ausgewerte­t. Die beiden Flugzeuge der Gewitterjä­ger sind übrigens nach den damaligen Ehefrauen der Landräte von Rosenheim (Hannelore Gimple) und Miesbach (Käthi Kerkel) benannt.

Die Hagelpilot­en tun also genau das, was sonst von Fliegern vermieden wird: Sie steuern direkt in die Gewitterzo­ne.

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Fotos: Rudolf Stumberger
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Sehen aus wie Raketen, versprühen allerdings nur Silberjodi­d.

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