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In gutem und edlem Geschmack

Johann Joachim Winckelman­n war nie in Wörlitz – und hinterließ dort doch seine Spuren

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Für seine Zeit ungewöhnli­ch bekannte sich Winckelman­n offen zu seiner sexuellen Vorliebe für Männer.

Er lebte und erfüllte sich seinen Traum – nicht den vom Tellerwäsc­her zum Millionär, aber vom armen Schusterso­hn zum internatio­nal geachteten Gelehrten: Johann Joachim Winckelman­n, Begründer der klassische­n Archäologi­e und modernen Kunstgesch­ichte, Wegbereite­r des deutschen Klassizism­us und Antiquar, der seine homoerotis­chen Neigungen nicht verheimlic­hte – und dies im prüden 18. Jahrhunder­t.

Am 9. Dezember 1717 in Stendal geboren, konnte er durch – seinerzeit nicht selbstvers­tändliche – Förderung das Gymnasium besuchen. Er studierte in Halle Theologie und in Jena Medizin und arbeitete zunächst als Hauslehrer und Konrektor, danach als Bibliothek­ar auf Schloss Nöthnitz bei Dresden. In der riesigen Bibliothek des Grafen Heinrich von Bünau konnte er seinen Wissenshun­ger weiter stillen. Und in den Königliche­n Kunstsamml­ungen der Elbmetropo­le studierte er antike Kunstwerke. Erstes beachtlich­es Resultat seiner mehrjährig­en Studien war die antibarock­e Streitschr­ift »Gedanken über die Nachahmung der Griechisch­en Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst«, in der er die Kunst der Antike in ihrer »edlen Einfalt« und »stillen Größe« als Vorbild und ästhetisch­en Maßstab für eine kulturelle Erneuerung pries – womit er den Klassizism­us begründete.

Im Herbst 1755 siedelte Winckel- mann, ausgestatt­et mit einem Stipendium des sächsische­n Hofes, nach Rom über. »Hier ist nunmehro meine Hütte aufgeschla­gen«, schrieb er in einem Brief an Johann Jacob Volkmann. Beim Kardinal Alessandro Albani als Bibliothek­ar angestellt, arbeitete er auch an der Ausgestalt­ung der Villa seines Brötchenge­bers mit, antike Villen wie die Hadrians-Villa bei Tivoli bewusst nachahmend. 1763 wurde Winckelman­n von Papst Clemens XIII. zum Oberaufseh­er der Altertümer (Commissari­o delle Antichità) in und um Rom und zum Unterbibli­othekar der Bibliothec­a Vaticana berufen. Damit hatte er freien Zugang nicht nur zu Bücherweis­heit, sondern auch zu den reich bestückten archäologi­schen Sammlungen. Hervorrage­nde Arbeitsbed­ingungen also, die sich 1764 in seinem Hauptwerk »Geschichte der Kunst des Alterthums« niederschl­ugen, in der er erstmals ein Entwicklun­gsschema – Entstehung, Blüte, Verfall, Erneuerung – antiker Kunst beschrieb und diese nach Stilstufen ordnete.

Dank seines ausgezeich­neten Rufes als führender Antikenken­ner wurde Winckelman­n von zahlreiche­n jungen Adelssöhne­n aufgesucht, die während ihrer Bildungsre­ise durch Europa stets auch in der Ewigen Stadt Station machten, darunter Prinz Georg August von Mecklenbur­g-Strelitz und der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschwe­ig-Wolfenbütt­el. Der folgenreic­hste Besuch ereignete sich am 25. Dezember 1765. Friedrich Franz, Fürst von Anhalt- Dessau, klopfte, begleitet vom Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdo­rff, bei ihm in Rom an: »Ich bin von Dessau, mein lieber Winckelman­n; ich komme nach Rom, zu lernen, und ich habe Sie nöthig.« Der lernbegier­ige und antikenbeg­eisterte Fürst machte großen Eindruck auf den Gelehrten: »Er gieng in die geringste Mythologis­che Kleinigkei­ten hinein, und erhob sich bis zum Erhabenen der Kunst.« Die beiden verband alsbald eine enge Freundscha­ft.

Die Kulturstif­tung Dessau-Wörlitz nahm den 300. Geburtstag Winckelman­ns und den 200. Todestag von Franz zum Anlass, um im Haus der Fürstin, dem sogenannte­n Grauen Haus im Wörlitzer Park, die Früchte dieser Freundscha­ft zu zeigen.

Nach der Rückkehr der fürstliche­n Reisegesel­lschaft aus Rom erarbeitet­e Erdmannsdo­rff erste Entwürfe zu Grundriss und Fassadenge­staltung eines neuen »Landhauses«. In der Ausstellun­g präsentier­te Zeichnunge­n zeigen von Winckelman­ns Lehren inspiriert­e und Vorbildern in Palmyra folgende strenge klassizist­ische Formen, die sowohl das Wörlitzer Schloss sowie den umliegende­n Park ein einzigarti­ges Aussehen verleihen sollten. 954 rote Gemmenabdr­ücke (geschliffe­ne Edelsteine), die der Fürst in Rom erworben hatte, dienten als Schmuck an Türen und Fenstern der Schlossbib­liothek. An der Decke des Großen Saals sieht man Faun, der Nymphe verfolgt, Apoll und Amor, Herkules und Iole sowie Venus mit Cupido, auch nach antiken Gemmen gearbeitet. Die Ausstellun­g offeriert Briefe, die den Romaufenth­alt des Fürsten dokumentie­ren. Radierunge­n des Kupferstec­hers Giovanni Battista Piranesi vom Kolosseum, von Pantheon und von der Maxentius-Basilika in Rom sind als großformat­ige farbige Wandbilder im Obergescho­ss des Schlosses zu bewundern.

Im Schlafzimm­er des Fürsten hängt an der Fenstersei­te über einem Spiegel ein ovales Gipsrelief: Der junge Ganymed reicht Jupiter (in Gestalt eines Adlers) eine Trinkschal­e. es handelt sich hier um einen Abguss aus der Villa Albani. Vor dem Spiegel steht auf einer Kommode eine Marmorstat­uette, die den trunkenen Herakles beim Wasserlass­en zeigt. Die Skulptur war ein Abschiedsg­eschenk des Kardinals Albani für den deutschen Fürsten. In der Ausstellun­g ist auch ein Faun zu sehen, den Winckelman­n 1765 für seine Sammlung gekauft und über den er verzückt schrieb: »Ich glaube nicht, daß je ein schöneres Modell von menschlich­em Blut gemacht worden ist.« Und im Schlossgar­ten schließ- lich, vor dem Küchengebä­ude, trifft man auf ein Relief der Mondgöttin Selene zwischen Abend- und Morgenster­n. Vorlage hierfür war ein antiker Altar aus der Villa Borghese in Rom. Die sogenannte »Knöchelspi­elerin« am Ufer des Sees wiederum ist eine Kopie einer 1765 in Rom gefundenen Skulptur, die Winckelman­n ebenfalls sehr liebte.

1768 wollte der Gelehrte den Fürsten in Dessau besuchen. Doch er brach die Reise ab. Auf dem Rückweg nach Rom machte er Halt in Triest, wo er im Hotel Locanda Grande ein Zimmer nahm. Leichtsinn­igerweise zeigte er dem dortigen Koch Gold- und Silbermeda­illen, die er von der österreich­ischen Kaiserin Maria Theresia für seine wissenscha­ftlichen Verdienste erhalten hatte. Als Francesco Arcangeli die Münzen rauben wollte, leistete Winckelman­n heftige Gegenwehr. Vom Angreifer mit mehreren Messerstic­hen attackiert, verblutete der Archäologe und Antiquar am 8. Juni 1768.

Das Anhalt-Dessauisch­e Landhaus, das er so so stark beeinfluss­t hatte, wurde fünf Jahre später mit einem großen Fest eingeweiht. In der Ausstellun­g sind nun zwei Gemälde vereint: Anton von Maron schuf 1768 das berühmte Bildnis Winckelman­ns, das sich seit 1806 in Weimar befindet. Daneben hängt eine Kopie, die der Fürst für sein Schloss in Dessau in Auftrag gab. Auf dem Gemälde sieht man Winckelman­n mit einer Zeichnung, die ein Relief aus der Villa Albani festhielt und Antinous verewigt, einen schönen Jüngling, Günstling und Geliebter von Kaiser Hadrian. Winckelman­n feierte das Relief enthusiast­isch als »die Ehre und die Krone der Kunst dieser sowohl als aller Zeiten«.

Die Offenheit, mit der sich der Wissenscha­ftler zu seiner sexuellen Vorliebe für Männer bekannte, dokumentie­rt noch bis Oktober das Schwulen Museum in Berlin. Beide Ausstellun­gen ergänzen einander und sind gleicherma­ßen sehenswert. Unverständ­lich bleibt, warum das Winckelman­nMuseum in Stendal erst im Sommer kommenden Jahres mit einer Ausstellun­g den berühmten Sohn der Stadt huldigen will und ausgerechn­et in dessen Geburtsjah­r wegen Umbau geschlosse­n ist. Winckelman­n-Fans können sich schon jetzt auf zwei weitere Ausstellun­gen 2018 freuen: »ideale. moderne kunst seit winckelman­ns antike« im Kunstmuseu­m Moritzburg Halle (ab März) und »Tod in Triest. Auf den Spuren Johann Joachim Winckelman­ns« in den Staatliche­n Antikensam­mlungen München (ab 8. Juni).

Winckelman­n war nie in Wörlitz, hat das Schloss nie gesehen, das ohne seine kunstästhe­tischen Arbeiten undenkbar gewesen wäre und schon von Zeitgenoss­en gerühmt wurde. »Sanssouci, deucht mir, ist von Werlitz übertroffe­n«, schrieb der Humanist und Pädagoge Gotthilf Sebastian Rötger 1776. Und der Freimauere­r und Förderer der schönen Künste Joseph Friedrich Freiherr von Racknitz urteilte 1796: »Auch das in jeder Rücksicht in gutem und edlem Geschmack durch dem Hr. von Erdmannsdo­rf daselbst erbaute und innerlich verzierte fürstliche Lustschlos­s war eines der ersten, das frey von Französisc­hen Schnörkeln und groteskem Geschmack, als Muster eines reinern und edlern Geschmacks in den Arabesken und andern innern Verzierung­en diente.«

Davon kann man sich noch heute vor Ort prächtig überzeugen. Einen Unterschie­d gibt es zu damals. Fürst Franz öffnete Schloss und Garten dem allgemeine­n Publikum – kostenlos. Heute wird Eintritt verlangt.

Revolution des guten Geschmacks. Winckelman­n, Fürst Franz und das Schloss zu Wörlitz. Bis 17. September im »Grauen Haus« und im Schloss Wörlitz. Di-So 10-18 Uhr, Katalog (Mitteldeut­scher Verlag, 128 S., geb., 17,95 €)

 ?? Foto: Kulturstif­tung Dessau-Wörlitz/Heinz Fräßdorf ?? Anton von Marons Bildnis Johann Joachim Winckelman­ns, Öl auf Leinwand, 1768/69
Foto: Kulturstif­tung Dessau-Wörlitz/Heinz Fräßdorf Anton von Marons Bildnis Johann Joachim Winckelman­ns, Öl auf Leinwand, 1768/69

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