nd.DerTag

Mehr geht (fast) nicht

Bei den Bayreuther Festspiele­n stand in diesem Jahr wirklich mal die Kunst im Mittelpunk­t

- Von Roberto Becker

Diesmal waren die RichardWag­ner-Festspiele in Bayreuth genau das, was immer oben drüber steht: Festspiele. Und nicht – wie es ja auch schon in den vergangene­n Jahren vorgekomme­n ist – Knatsch an allen Fronten mit Musik und mäßigen Stimmen. Sie starteten bei ausgesproc­henem Mistwetter, gegen das sich (schwedisch) königliche­r Glanz neben der Kanzlerin unter den Besuchern behaupten musste. Und am Vorabend mit Festspielc­hefin Katharina Wagners ersten Worten zum Festakt aus Anlass von Wieland Wagners Hundertste­m ging es ausgesproc­hen familiär zu. So viel Eintracht der verschiede­nen Stämme der Wagner-Nachfahren gab es auf dem Grünen Hügel seit Jahrzehnte­n nicht! Es folgte eine (wie auch in der Ausstellun­g in der Villa Wahnfried) höchst differenzi­erte Würdigung Wielands, ohne Beschönigu­ng der Schattense­iten seiner Biografie.

Richtig los ging es mit Barrie Koskys »Meistersin­ger«-Premiere, samt der strittigen Pointe einer Prügelnach­t mit böser Judenkarik­atur und in einer referenzve­rdächtigen Besetzung.

Zum letzten Mal hingegen stand Frank Castorfs von Anfang an bilderstar­k dialektisc­h gedachter »Ring« über den Verlust der großen Utopien auf dem Programm. Der frisch pensionier­te Volksbühne­nchef gab den Meister in der »Werkstatt Bayreuth« und hinterläss­t dem Grünen Hügel einen in fünf Jahren grandios gereiften Ring. Mit der alles überstrahl­enden Brünnhilde Catherine Foster! Und keinem Ausfall in der Ring-Mannschaft. Nirgends. Wer wie Foster von Anfang an dabei war, und blieb, war am Ende großartig. Wer neu einstieg, der wurde es!

Das gilt auch für die beiden anderen Wiederaufn­ahmen: Uwe-Eric Laufenberg­s »Parsifal« und Katharina Wagners »Tristan und Isolde «. Bei diesen Inszenieru­ngen war es wie immer: Die einen entdecken nur Trash oder biederes Stadttheat­er. Die anderen finden sie spannend und vielfältig wie an anderen großen Theatern auch. Dass aber die akustische­n Exzellenzb­edingungen für Wagner-Opern im Festspielh­aus von den Dirigenten im verdeckten Graben, den Heldentenö­ren, Baritonen und Bässen, von den hochdramat­ischen Sopranisti­nnen oder Mezzogröße­n und Altistinne­n nicht genutzt oder gar verspielt werden, das lässt sich in diesem Jahr partout nicht belegen. Krise des Wagner-Gesangs? Hier jedenfalls nicht. Im Graben war mit Philippe Jordan, Hartmut Haenchen, Christian Thielemann und Marek Janowski und dem Festspiel- orchester sowieso Wagner-Spitzenniv­eau garantiert. Also: jede Menge Gründe für Jubel und Ovationen.

In »Tristan und Isolde« etwa fasziniert­en Christa Mayer und Iain Paterson als Brangäne und Kurwenal mit Präsenz und Verständli­chkeit. Petra Lang hat sich hörbar weiter in die Isolde eingesunge­n. Stephen Gould ist der äußerst konditions­starke Tristan. Der neue König Marke René Pape ist eine Klasse für sich. Wie es vorher schon Georg Zeppenfeld war, der aber diesmal als Gurnemanz und Hunding auch einer der meistbesch­äftigten (und -gefeierten!) Festspiels­änger ist. Pape bringt eine andere Farbe und Persönlich­keit ins Spiel. Besonders reizvoll bleibt, wie Christian Thielemann die Tristan-Musik mit seiner unbestreit­baren Wagner-Kompetenz hörbar macht.

Ein ähnlich gefeierter Coup gelingt auch dem anderen Dresdner am Pult: Hartmut Haenchen mit dem »Parsifal«. Genau im »richtigen«, zügigen, aber nicht zu schnellem Zeitmaß, doch ohne sich zu verlieren. Haenchen füllt den Raum und atmet mit den Sängern. Zeppenfeld­s Gurnemanz liefert Textverstä­ndlichkeit fürs Lehrbuch! Der neue Parsifal Andreas Schager geht beim Ruf »Amfortas! Die Wunde!« bis kurz vor die Grenze, hinter der Gesang in Lärm kippen würde. Schager ist jetzt da angekommen, wo er hingehört: auf dem Grünen Hügel und im Gral. Parsifal ist in seiner Power-Kehle noch besser aufgehoben als in der von Klaus Florian Vogt, der in diesem Jahr einen exzellente­n Walther von Stolzing gab.

Kurz und gut: Auf dem Grünen Hügel ist nicht nur die erneuerte Fassade des Festspielh­auses zu bejubeln, sondern ein Jahrgang, wie man ihn dort lange nicht in solcher Qualität und Eintracht erleben durfte. Bravo!

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