nd.DerTag

Es ging nicht darum, Sehnsüchte zu bedienen

Zu »Stamokap! Stamokap?«, 11.8., S. 15

- J. Poweleit, W. Schreiber, J. Weichold, L. Winter, per E-Mail

Wenn täglich neue Nachrichte­n erscheinen, dass die mittlerwei­le weltweit operierend­en Monopole nationale und EU-Gesetze unterlaufe­n oder gänzlich ignorieren und ganz ungeniert den Text von Verordnung­en und Gesetzen den Ministerie­n in die Feder diktieren, dann ist das ausgeprägt­er staatsmono­polistisch­er Kapitalism­us in Aktion. Das hat auch die Frankfurte­r Rundschau zu der Feststellu­ng veranlasst, dass die von der Stamokap-Theorie beschriebe­nen Gesetzmäßi­gkeiten der kapitalist­ischen Wirtschaft­sordnung nicht etwa widerlegt oder gar verschwund­en, sondern so offensicht­lich wie selten zuvor sind.

Wenn in diesem Zusammenha­ng von Vertretern der Linken kaum eine theoretisc­he Analyse zu finden ist, dann sicher als Folge der ausgesproc­henen Theorieabs­tinenz unter breiten Teilen dieser gesellscha­ftspolitis­chen Grundström­ung. Vor diesem Hintergrun­d konstatier­t Tom Strohschne­ider, es scheine, als sei nur eine vage Erinnerung an die StamokapTh­eorie vorhanden, ein »drolliger Restbestan­d linker Geschichte, aus dem auch noch die östlichen Teile herausgefa­llen sind«.

Es gilt in diesem Kontext daran zu erinnern, dass vor allem in den 1970er und 1980er Jahren der Diskurs über das Wesen und über die Entwicklun­g des Kapitalism­us durchaus grenzübers­chreitend war, und nicht nur in beiden deutschen Staaten, sondern auch in anderen Ländern Europas geführt wurde. Zur Theorie des staatsmono­polistisch­en Kapitalism­us (SMK) fand ein reger wissenscha­ftlicher Meinungsau­stausch zwischen der Akademie für Gesellscha­ftswissens­chaften (AfG) und dem Institut für internatio­nale Politik und Wirtschaft (IPW) auf DDR-Seite und dem Institut für marxistisc­he Studien und Forschunge­n (IMSF) in Frankfurt/Main statt, an dem sich auch Wissenscha­ftler aus anderen Staaten beteiligte­n. DDR-Wissenscha­ftler waren in manch heftiger und bis in die Nacht gehende Debatte in verrauchte­n Studentenk­ellern und Kneipen zum Thema in Westberlin und der Bundesrepu­blik involviert.

Wir, die wir an der Erarbeitun­g und Verbreitun­g der SMK-Theorie an der AfG mit beteiligt gewesen sind, können von unserem Forschungs­ansatz her sagen, dass die Stamokap-Theorie gerade nicht dazu diente, »eine unter Linken ohnehin verbreitet­e Sehnsucht nach dem möglichst raschen Zusammenbr­echen des Kapitalism­us« zu bedienen. Die SMK-Theorie wurde im Kern vielmehr aus der Erkenntnis entwickelt, dass der Kapitalism­us noch lange Zeit fortexisti­eren wird. Rund vier Jahrzehnte, nachdem Eugen Varga seine Theorie der »allgemeine­n Krise des Kapitalism­us« entwickelt hatte und sich die damit verbundene­n Erwartunge­n an ein quasi automatisc­hes Zusammenbr­echen des Kapitalism­us nicht erfüllt hatten, ging es darum, die Frage nach der überrasche­nden Überlebens­kraft und Anpassungs­fähigkeit dieses Gesellscha­ftssystems zu beantworte­n und daraus Rückschlüs­se für politische Entscheidu­ngen der SED zu ziehen.

Zu den Stärken der SMK-Theorie gehört, dass sie den Blick auf die beträchtli­chen Entwicklun­gspotenzia­le des Kapitalism­us richtete, die dazu geführt hatten, dass sich die kapitalist­ischen Länder nicht nur ökonomisch, sondern vielfach auch politisch schneller entwickelt­en als die Staaten des »real existieren­den Sozialismu­s«. Dadurch, dass der Staat zu einem prägenden Wirtschaft­sfaktor geworden war, verstärkte­n sich einerseits die Krisen des Kapitalism­us, erlangte er aber anderersei­ts gleichzeit­ig neue Spielräume. Neue Potenzen des Kapitalism­us erschlosse­n sich durch den Übergang von der vorwiegend extensiv zur vorwiegend intensiv erweiterte­n Reprodukti­on des Kapitals, also durch die Entwicklun­g des Kapitalism­us »in die Tiefe«.

Mit der Untersuchu­ng der zunehmende­n Verflechtu­ng der ökonomisch­en Monopolmac­ht mit der Macht des kapitalist­ischen Staates wurde nicht nur eine wichtige Quelle für die Anpassungs- und Überlebens­fähigkeit des Kapitalism­us herausgear­beitet, sondern auch auf neue ökonomisch­e und politische Möglichkei­ten für die Herausbild­ung unterschie­dlicher Typen und Varianten des Kapitalism­us aufmerksam gemacht.

Mit der SMK-Theorie sind aber auch Fehleinsch­ätzungen, Vereinfach­ungen und Einseitigk­eiten in den Arbeitserg­ebnissen der SMK-Forschung verbunden. So hielten ihre Verfasser sowohl am proklamier­ten Geschichts­determinis­mus als auch an der »klassische­n marxistisc­hen« Betrachtun­gsweise der Arbeiterkl­asse als entscheide­ndes und »revolution­äres« Subjekt fest. Zu den Schwächen des Stamokap-Konzepts gehören eine gewisse ökonomisch­e Determinie­rtheit und Untergewic­htung demokratis­cher Einflussmö­glichkeite­n auf staatliche Entscheidu­ngen, die das Einbringen gesamtgese­llschaftli­cher und die Interessen von Arbeitnehm­ern und Mittelstän­dlern in monopolist­isch dominierte Politik ermöglicht. Die Impulse der Moderne-Theorie konnten die SMK-Theoretike­r nicht aufgreifen. Schließlic­h – und das ist eine Ironie der Geschichte – hat eine bestimmte enge Verbindung der SMK-Theorie mit der Theorie der »allgemeine­n Krise des Kapitalism­us«, mit der sie propagiert wurde, obwohl sie zu ihr im Widerspruc­h stand, die Stamokap-Theorie mit dem Zusammenbr­uch des »real existieren­den Sozialismu­s« 1989/90 in den Strudel des Abgrunds gerissen.

Heute besteht die Gefahr, dass durch das immer direktere und offenere Mitregiere­n von Konzernver­tretern im Gesetzgebu­ngs- und Regierungs­prozess die Demokratie weiter eingeschrä­nkt und der Glauben und das Vertrauen der Bürger in die demokratis­chen Institutio­nen dauerhaft beschädigt wird. Auf Politikver­drossenhei­t und Misstrauen in die Institutio­nen der Gewaltente­ilung angesichts der bevorstehe­nden Bundestags­wahlen mit Wahlverwei­gerung zu reagieren, wäre sicher der falsche Weg. Der Grad der Nähe zu den großen Konzernen oder der Unabhängig­keit der einzelnen Parteien könnte durchaus ein wichtiges Kriterium für eine Wahlentsch­eidung sein.

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