Ein Talent als Versicherung
Der 19-jährige Basketballer Isaiah Hartenstein fährt überraschend mit zur EM
Isaiah Hartenstein gilt als größte Hoffnung des deutschen Basketballs. Die NBA hat schon die Fühler ausgestreckt. Zunächst aber steht die EM-Premiere an. Früher als einst bei Dirk Nowitzki. Bundestrainer Chris Fleming liebt seinen Job. Fast immer: »An 99 Prozent aller Tage bin ich gern Basketballtrainer.« Das restliche eine Prozent kam am Sonntagabend mal wieder durch. Die am Donnerstag beginnende EM wird sein letztes Turnier im Amt sein. Maximal zugelassen sind zwölf Spieler im Kader, und am Sonntag musste er noch einen streichen. Bastian Doreth wird nicht mit zur Vorrunde nach Tel Aviv reisen, ausgerechnet jener Spieler, der anscheinend sein Liebling ist: »Der Verband hat mir zum Abschied das Trikot eines Spielers für meine Wand zu Hause versprochen, und ich habe mir schon vor Monaten das von Basti Doreth gewünscht«, hatte Fleming in Berlin erzählt, kurz bevor er seine Entscheidung bekanntgab.
Doreths Platz nimmt nun einer ein, mit dem Fleming vor dem Sommer kaum geplant hatte: Isaiah Hartenstein. In den vergangenen Jahren wurden viele Talente als »der neue Nowitzki« angepriesen, Hartenstein ist der erste, dessen Voraussetzungen wirklich mit denen des größten Basketballstars des Landes vergleichbar sind: beide 2,13 Meter groß, dabei aber viel beweglicher und aus der Distanz treffsicherer als die üblichen massigen Centerspieler, die von ihren Trainern meist direkt unter dem Korb geparkt werden. Mit 19 wird Hartenstein nun seine erste EM spielen – ein Jahr früher als einst Nowitzki.
»Ich bin sehr positiv von Hartenstein überrascht worden. Er sollte anfangs gar keine große Rolle spielen. Er hat bewiesen, dass er schon dazu gehört«, sagte Fleming. In der Tat zeigte Hartenstein bei jedem Kurzeinsatz in den Vorbereitungsspielen, dass er der Mannschaft immer helfen kann – ein paar Rebounds hier, ein paar Punkte da. Auch der Kapitän zeigte sich angetan: »Isaiah bringt viel Energie in unser Spiel. Er ist erst 19, aber dafür schon sehr athletisch. Als ich so alt war, konnte ich von so einem Körper nur träumen. Auch technisch ist er sehr gut ausgebildet«, sagte Robin Benzing. »Isaiah entwickelt sich von Tag zu Tag immer schneller. Er ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Bei ihm habe ich absolut keine Bedenken, dass er es in die NBA schaffen wird.«
Die beste Profiliga der Welt hat Hartenstein längst im Blick. Die Houston Rockets sicherten sich vor wenigen Monaten die Rechte am jungen Deutschen. Es wird zwar spekuliert, dass ihn der Klub der Superstars James Harden und Chris Paul noch eine Saison in Europa Erfahrung sammeln lässt, bevor er ihn nach Texas holt. »Das ist aber noch nicht entschieden«, sagte Hartenstein jüngst dem »nd«.
Geboren in der US-Stadt Eugene, kam Hartenstein mit elf nach Gießen und später nach Quakenbrück: Dort spielten erst sein Vater, dann er selbst für die Artland Dragons. Nach deren Insolvenz wechselte er nach Litauen. Für Außenstehende ungewöhnlich, wissen Basketballkenner jedoch, dass Zalgiris Kaunas schon Spieler wie Arvydas Sabonis und Šarūnas Jasikevičius zu großen Stars formte.
Hartenstein ist noch längst nicht auf deren Niveau. Er wird bei der EM auch kaum eine große Rolle hinter den erfahreneren Daniel Theis, Danilo Barthel, Robin Benzing und Johannes Voigtmann spielen. Dass ihn Fleming trotzdem mitnimmt, war auch keine Entscheidung dafür, das größte deutsche Talent zu fördern. Hartenstein ist vielmehr eine Versicherungspolice, denn Theis ist kaum
Robin Benzing, Kapitän der deutschen Basketballer, über Mitspieler Isaiah Hartenstein
integriert, weil er das Trainingslager wegen verschiedener Pflichten bei seinem neuen NBA-Klub in Boston verpasste. Benzings Knieverletzung ist zudem noch nicht auskuriert und Voigtmann konnte angeschlagen auch nur ein Vorbereitungsspiel mitmachen, das am Sonntag mit 79:85 gegen Frankreich verloren wurde. »Nach dieser Vorbereitung brauche ich fünf große Spieler«, begründete Fleming seine Entscheidung pro Hartenstein. Doreth misst nur 1,82 Meter. Und das deutsche Aufbauspiel wird ohnehin Dennis Schröder von den Atlanta Hawks leiten.
Nach Kaunas wird Hartenstein nach der EM nicht zurückkehren. Der litauische Meister scheint ihm nach einem Jahr schon wieder zu klein zu sein. »Ich habe da immer besser gespielt. Dass ich von einem NBA-Klub genommen wurde, war dann keine Überraschung mehr«, sagte der 19Jährige selbstbewusst. Schon vor zwei Jahren hatte der FC Barcelona Interesse gezeigt. Gerechtfertigt, wie Hartenstein findet, schließlich arbeite er sehr hart. Auch beim Nationalteam ist er der Letzte beim Wurftraining in der Halle. »Ich wollte hier unbedingt besser werden und jede Gelegenheit nutzen, wenn ich im Training gegen NBA-Leute ran darf.«
Vor dem Sonntagsspiel hatte der DBB ein Video einspielen lassen, das erst Chris Welp beim EM-Gold 1993 zeigte, danach Nowitzki beim Gewinn der Silbermedaille 2005 – und dann den neuen Star Schröder. Es ist eine neue erfolgversprechende Generation am Start, sollte das heißen. Vielleicht gelingen die Erfolge in ein paar Jahren, der Star könnte dann aber schon Isaiah Hartenstein heißen.
»Isaiah entwickelt sich von Tag zu Tag immer schneller. Er ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt.«