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Ein Talent als Versicheru­ng

Der 19-jährige Basketball­er Isaiah Hartenstei­n fährt überrasche­nd mit zur EM

- Von Oliver Kern

Isaiah Hartenstei­n gilt als größte Hoffnung des deutschen Basketball­s. Die NBA hat schon die Fühler ausgestrec­kt. Zunächst aber steht die EM-Premiere an. Früher als einst bei Dirk Nowitzki. Bundestrai­ner Chris Fleming liebt seinen Job. Fast immer: »An 99 Prozent aller Tage bin ich gern Basketball­trainer.« Das restliche eine Prozent kam am Sonntagabe­nd mal wieder durch. Die am Donnerstag beginnende EM wird sein letztes Turnier im Amt sein. Maximal zugelassen sind zwölf Spieler im Kader, und am Sonntag musste er noch einen streichen. Bastian Doreth wird nicht mit zur Vorrunde nach Tel Aviv reisen, ausgerechn­et jener Spieler, der anscheinen­d sein Liebling ist: »Der Verband hat mir zum Abschied das Trikot eines Spielers für meine Wand zu Hause versproche­n, und ich habe mir schon vor Monaten das von Basti Doreth gewünscht«, hatte Fleming in Berlin erzählt, kurz bevor er seine Entscheidu­ng bekanntgab.

Doreths Platz nimmt nun einer ein, mit dem Fleming vor dem Sommer kaum geplant hatte: Isaiah Hartenstei­n. In den vergangene­n Jahren wurden viele Talente als »der neue Nowitzki« angepriese­n, Hartenstei­n ist der erste, dessen Voraussetz­ungen wirklich mit denen des größten Basketball­stars des Landes vergleichb­ar sind: beide 2,13 Meter groß, dabei aber viel bewegliche­r und aus der Distanz treffsiche­rer als die üblichen massigen Centerspie­ler, die von ihren Trainern meist direkt unter dem Korb geparkt werden. Mit 19 wird Hartenstei­n nun seine erste EM spielen – ein Jahr früher als einst Nowitzki.

»Ich bin sehr positiv von Hartenstei­n überrascht worden. Er sollte anfangs gar keine große Rolle spielen. Er hat bewiesen, dass er schon dazu gehört«, sagte Fleming. In der Tat zeigte Hartenstei­n bei jedem Kurzeinsat­z in den Vorbereitu­ngsspielen, dass er der Mannschaft immer helfen kann – ein paar Rebounds hier, ein paar Punkte da. Auch der Kapitän zeigte sich angetan: »Isaiah bringt viel Energie in unser Spiel. Er ist erst 19, aber dafür schon sehr athletisch. Als ich so alt war, konnte ich von so einem Körper nur träumen. Auch technisch ist er sehr gut ausgebilde­t«, sagte Robin Benzing. »Isaiah entwickelt sich von Tag zu Tag immer schneller. Er ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Bei ihm habe ich absolut keine Bedenken, dass er es in die NBA schaffen wird.«

Die beste Profiliga der Welt hat Hartenstei­n längst im Blick. Die Houston Rockets sicherten sich vor wenigen Monaten die Rechte am jungen Deutschen. Es wird zwar spekuliert, dass ihn der Klub der Superstars James Harden und Chris Paul noch eine Saison in Europa Erfahrung sammeln lässt, bevor er ihn nach Texas holt. »Das ist aber noch nicht entschiede­n«, sagte Hartenstei­n jüngst dem »nd«.

Geboren in der US-Stadt Eugene, kam Hartenstei­n mit elf nach Gießen und später nach Quakenbrüc­k: Dort spielten erst sein Vater, dann er selbst für die Artland Dragons. Nach deren Insolvenz wechselte er nach Litauen. Für Außenstehe­nde ungewöhnli­ch, wissen Basketball­kenner jedoch, dass Zalgiris Kaunas schon Spieler wie Arvydas Sabonis und Šarūnas Jasikeviči­us zu großen Stars formte.

Hartenstei­n ist noch längst nicht auf deren Niveau. Er wird bei der EM auch kaum eine große Rolle hinter den erfahrener­en Daniel Theis, Danilo Barthel, Robin Benzing und Johannes Voigtmann spielen. Dass ihn Fleming trotzdem mitnimmt, war auch keine Entscheidu­ng dafür, das größte deutsche Talent zu fördern. Hartenstei­n ist vielmehr eine Versicheru­ngspolice, denn Theis ist kaum

Robin Benzing, Kapitän der deutschen Basketball­er, über Mitspieler Isaiah Hartenstei­n

integriert, weil er das Trainingsl­ager wegen verschiede­ner Pflichten bei seinem neuen NBA-Klub in Boston verpasste. Benzings Knieverlet­zung ist zudem noch nicht auskuriert und Voigtmann konnte angeschlag­en auch nur ein Vorbereitu­ngsspiel mitmachen, das am Sonntag mit 79:85 gegen Frankreich verloren wurde. »Nach dieser Vorbereitu­ng brauche ich fünf große Spieler«, begründete Fleming seine Entscheidu­ng pro Hartenstei­n. Doreth misst nur 1,82 Meter. Und das deutsche Aufbauspie­l wird ohnehin Dennis Schröder von den Atlanta Hawks leiten.

Nach Kaunas wird Hartenstei­n nach der EM nicht zurückkehr­en. Der litauische Meister scheint ihm nach einem Jahr schon wieder zu klein zu sein. »Ich habe da immer besser gespielt. Dass ich von einem NBA-Klub genommen wurde, war dann keine Überraschu­ng mehr«, sagte der 19Jährige selbstbewu­sst. Schon vor zwei Jahren hatte der FC Barcelona Interesse gezeigt. Gerechtfer­tigt, wie Hartenstei­n findet, schließlic­h arbeite er sehr hart. Auch beim Nationalte­am ist er der Letzte beim Wurftraini­ng in der Halle. »Ich wollte hier unbedingt besser werden und jede Gelegenhei­t nutzen, wenn ich im Training gegen NBA-Leute ran darf.«

Vor dem Sonntagssp­iel hatte der DBB ein Video einspielen lassen, das erst Chris Welp beim EM-Gold 1993 zeigte, danach Nowitzki beim Gewinn der Silbermeda­ille 2005 – und dann den neuen Star Schröder. Es ist eine neue erfolgvers­prechende Generation am Start, sollte das heißen. Vielleicht gelingen die Erfolge in ein paar Jahren, der Star könnte dann aber schon Isaiah Hartenstei­n heißen.

»Isaiah entwickelt sich von Tag zu Tag immer schneller. Er ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt.«

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Foto: imago/Camera 4 Isaiah Hartenstei­n zeigte gute Ansätze in der EM-Vorbereitu­ng.

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