nd.DerTag

Ausufernde­r Datenschmu­tz

- Sebastian Bähr über das Ende der Unschuldsv­ermutung

»Wenn du nichts verbrochen hast, musst du auch nichts fürchten«, sagt eine vermeintli­che Weisheit. Meist, um Überwachun­g und Datensamme­lwut zu rechtferti­gen. Erneut wurde nun bewiesen, dass diese Aussage einer gefährlich­en Naivität entspringt. Das Bundespres­seamt hatte 32 Journalist­en ihre Akkreditie­rungen beim G20Gipfel wegen »Sicherheit­sbedenken« entzogen. Nun kam heraus, dass die dem Rausschmis­s zugrunde liegenden Datensätze zum Teil rechtswidr­ig, veraltet oder schlicht falsch waren. Jahre zurücklieg­ende eingestell­te Verfahren; Verdächtig­ungen, bei denen es nie Ermittlung­en oder Urteile gab; Verwechslu­ngen sowie substanzlo­se Vorwürfe – so etwas sorgte dafür, dass Journalist­en in ihrer Berufsausü­bung behindert und kriminalis­iert wurden.

Das jüngst bekannt gewordene Ausmaß der Sammelwut betrifft jedoch nicht nur Redakteure. Sie haben als Student mal gekifft? Haben vor zehn Jahren mal eine Kundgebung besucht? Dann befinden auch Sie sich eventuell in einem der über eine Million Datensätze des Innenminis­teriums zu »politische­n Straftaten« oder gehören zu den vermeintli­chen 700 000 Drogennutz­ern, über die der Staat Informatio­nen sammelt. Aufgrund dieser intranspar­enten, willkürlic­hen Praxis wird die Notwendigk­eit von Reformen deutlich: Die Unschuldsv­ermutung muss im digitalen Zeitalter trotz Terrors in den Institutio­nen verankert werden. Kontrollie­rtes Löschen statt Speichern sollte die Regel sein. Ansonsten könnten Sie der nächste Betroffene sein.

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