Herz aus Schwein
Chancen und Risiken bei der Übertragung von Tierorganen auf Menschen
Es ist nicht einfach, dem Menschen Tierorgane einzusetzen.
Tausende Menschen warten hierzulande auf eine neue Niere, Hunderte auf ein neues Herz. Forscher prüfen deshalb, ob es möglich ist, auch Tierorgane zu transplantieren. Für viele Patienten ist eine Organtransplantation die letzte Chance, um weiterleben zu können. Ende 2016 warteten in Deutschland 7876 Frauen und Männer auf eine neue Niere. Niedriger lagen die Zahlen bei Leber (1157), Herz (725), Lunge (390) und Bauchspeicheldrüse (270). Im Schnitt sterben täglich drei Patienten, weil für sie kein passendes Organ verfügbar ist. Denn an Spendern herrscht nach wie vor Mangel. Im vorigen Jahr konnten bei lediglich 857 verstorbenen Menschen Organe für eine Transplantation entnommen werden. 2011 lag die Zahl noch bei rund 1200.
Um schwer kranken Patienten künftig rascher helfen zu können, setzen viele Wissenschaftler ihre Hoffnung auf sogenannte Xenotransplantationen. Nach einer Definition des American Public Health Service handelt es sich hierbei um die Übertragung von lebenden Zellen, Geweben oder Organen auf Individuen einer anderen Art. Ein Beispiel wäre die Verpflanzung einer Schweineherzklappe in das Herz eines Menschen. Dies wird inzwischen erfolgreich durchgeführt. Allerdings müssen die Herzklappen zuvor so bearbeitet werden, dass das menschliche Immunsystem sie nicht als fremd identifiziert und abstößt. Eine Xenotransplantation ganzer Organe ist dagegen bis heute nicht möglich.
Versuche hierzu fanden jedoch statt. Bereits 1906 übertrug der französische Arzt Mathieu Jaboulay Ziegen- und Schweinenieren auf Patienten mit chronischem Nierenversagen, die allesamt nach kurzer Zeit starben. Für weltweites Aufsehen sorgte 1984 der Fall der neugeborenen Stephanie Fae Beauclair aus den USA, die an einem schweren Herzfehler litt. Leonard Bailey, ein Chirurg, der sich jahrelang erfolglos an Xenotransplantationen versucht hatte, tauschte das Herz von »Baby Fae« gegen das eines Pavians aus. Nach 20 Tagen war das Kind tot. Nicht zu Unrecht stellten Baileys Kritiker dessen Eingriff in eine Reihe mit anderen fragwürdigen Medizinexperimenten des 20. Jahrhunderts.
Heute werden Primaten als Organspender von vielen Wissenschaftlern abgelehnt. Und zwar aus ethischen ebenso wie medizinischen Gründen. Primaten sind unsere nächsten lebenden Verwandten und genießen somit einen besonderen Schutz. Außerdem ist das Risiko einer Krankheitsübertragung bei Affen höher als zum Beispiel bei Schweinen, erklärt der Münchner Trans- plantationsforscher Eckhard Wolf. Doch auch die Verpflanzung von Geweben oder Organen vom Schwein ist alles andere als unbedenklich. Untersuchungen im Reagenzglas haben ergeben, dass Viren, die bei Menschen nicht pathogen wirken, nach der Implantation eines tierischen Organs durch Rekombination mit humanen Viren äußerst gefährlich werden können. Namentlich sogenannte Retroviren sind in der Lage, bei einer Xenotransplantation die Barrieren zwischen den Spezies zu überspringen.
Solche Viren finden sich auch im Genom von Schweinen. Für die Tiere sind sie zwar harmlos. Auf den Menschen übertragen, könnten sie jedoch zur Quelle neuartiger Seuchen werden. Das belegt die Immunschwächekrankheit Aids, bei der ebenfalls ein tierischer Keim, das bei Affen vorkommende Retrovirus SIV, unbemerkt auf den Menschen überging.
Wie in der Technik gibt es leider auch in der Medizin keinen Fortschritt ohne Risiko. Manche Risiken lassen sich allerdings frühzeitig erkennen und gegebenenfalls eindämmen. So ist es Forschern der Harvard University unlängst gelungen, Schweine zu züchten, deren Erbsub-stanz keine potenziell gefährlichen endogenen Retroviren mehr enthält. Ungelöst ist dagegen das Problem der Abstoßungsreaktionen, die Tierorgane im menschlichen Körper auslösen. Um solche Reaktionen zu unterdrücken, bräuchten Patienten deutlich mehr Medikamente mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen als bei der Transplantation eines menschlichen Organs. Doch selbst wenn Ärzte das Abstoßungsproblem im Griff hätten, bliebe offen, wie der menschliche Körper auf ein verpflanztes Schweineorgan langfristig reagiert und wie sich die kürzere Lebensspanne des Schweins auf ein solches Organ auswirkt.
Hinzu kommt, dass die Übertragung von Schweineorganen auf Paviane und Rhesusaffen, wie sie derzeit zu Forschungszwecken durchgeführt wird, für die Empfängertiere oftmals großes Leid bedeutet. Etwa wenn ihr Körper das verpflanzte Organ wieder abstößt. Außerdem werden bei gentechnischen Eingriffen an Schweinen nicht immer die erwünschten Ergebnisse erzielt und die Tiere daher anschließend getötet. »Xenotransplantationsforschung stellt eine krasse Missachtung des Eigenwertes der Tiere dar«, sagt die Veterinärmedizinerin Corina Gericke vom Verein »Ärzte gegen Tierversuche«.
Am Ende bleibt es immer eine Frage der Abwägung, ob die Hilfe, die kranken Menschen durch eine Xenotransplantation gewährt wird, höher zu bewerten ist als der Tierschutz. Sofern eine Gewebe- oder Organverpflanzung für den Empfänger die letzte Chance zum Überleben bietet
Für Corina Gericke besteht die eigentliche Aufgabe der Medizin darin, bei der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten den Patienten in seiner Ganzheit in den Mittelpunkt zu stellen. Dagegen sei die Xenotransplantation an das Versprechen geknüpft, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu finden. »Letztlich ist zu befürchten, dass Menschen bei unbegrenzt zur Verfügung stehenden Ersatzteilen noch sorgloser mit ihrer eigenen Gesundheit umgehen.«
Kompliziert sind nach wie vor die juristischen Aspekte der Xenotransplantation. Zwar gilt seit 1997 in Deutschland das Transplantationsgesetz. Doch darin wird allein die Übertragung von menschlichen Organen auf andere Menschen geregelt. Für den Umgang mit Tieren wäre das Tierschutzgesetz maßgebend, demzufolge es verboten ist, einem Wirbeltier Organe oder Gewebe zu entnehmen. Es sei denn, der Eingriff ist erforderlich, »um zu anderen als zu wissenschaftlichen Zwecken die Organe oder Gewebe zu transplantieren«. Hier wiederum käme das Arzneimittelgesetz ins Spiel. Denn danach gelten Xenotransplantate als Stoffe, die dazu dienen, im menschlichen Körper Krankheiten zu lindern oder zu heilen. Sie dürfen daher nicht in Verkehr gebracht werden, wenn ihre Anwendung bedenklich erscheint, was bei potenziellen tierischen »Spenderorganen« derzeit der Fall ist. Sollte es Wissenschaftlern jedoch gelingen, unbedenkliche Xenotransplantate zu entwickeln, müssten auch einige juristische Fragen neu beantwortet werden.