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Vertrauens­bruch nach dem Wahltermin

Zwischen Politik und Bevölkerun­g hat sich eine Kluft aufgetan. Steffen Twardowski versucht, das Warum zu beantworte­n.

- Foto: Frank Schwarz

»Wenn ich das gewusst hätte, dann …«, sagen manche Menschen um zu erklären, weshalb sie sich in einer bestimmten Situation anders verhalten würden, könnten sie die Zeit zurückdreh­en. Leider ist das unmöglich, auch nach einer Bundestags­wahl. Und doch zeichneten Umfragen aus den Wochen direkt nach den Entscheidu­ngen 2009 und 2013 ein merkwürdig­es Bild.

Zum einen stimmten die Ergebnisse fast genau überein, obwohl vier Jahre vergangen waren. Immerhin etwa 30 Prozent sagten jeweils, dass sie anders abgestimmt hätten oder wählen gegangen wären, hätten sie vorher das Ergebnis gekannt. Jeweils rund 55 Prozent zeigten sich nach beiden Wahlen mit dem Ausgang zufrieden. Und die Verspreche­n? Um die 75 Prozent meinten, die Parteien würden sie sowieso vergessen. Wenn also etwa ein Drittel der Wahlberech­tigten eine zweite Chance besser nutzen würde, nur etwas mehr als die Hälfte sich bestätigt fühlt, aber Dreivierte­l bereits erwarten, dass Wahlverspr­echen gebrochen werden, stimmt etwas zwischen Politikern und Wählern nicht.

Solch Misstrauen resultiert aus Erfahrunge­n politische­r Diskussion­en, die mal mehr, mal weniger zu einer gewünschte­n Veränderun­g führen. Nehmen wir die Finanztran­saktionsst­euer. Nachdem der Bundestag ab 2008 mehrere Rettungspa­kete für europäisch­e Banken beschloss, interessie­rte sich die Bevölkerun­g zunehmend dafür, woher die bereitgest­ellten Milliarden kamen. Viele fragten sich damals, weshalb es mit der Einführung des Mindestloh­ns so lange dauert, die Renten ihrer Eltern nicht mehr zum Leben reichen und die Ausstattun­g der Schulen, in denen ihre Kinder lernen, einen jämmerlich­en Eindruck macht. Sie begannen zu vergleiche­n: Dort werden ohne peinliche Fragen und scharfe Kontrollen Milliarden verteilt und hier müssen Menschen, die auf die Hilfe des Staates angewiesen sind, harte Sanktionen fürchten. Immer lauter wurde gefordert, die Banken an den Krisenkost­en zu beteiligen.

2013 schrieben CDU/CSU und SPD in ihre Wahlprogra­mme, eine Finanztran­saktionsst­euer einzufüh- ren. Die SPD wollte sie »im Rahmen der europäisch­en Kooperatio­n mit einer breiten Bemessungs­grundlage und mit niedrigen Steuersätz­en gestaltet« sehen. Die Union betonte eine Verabredun­g mit zehn anderen EULändern. Doch bis heute gibt es die Steuer nicht. Immer wieder kam etwas dazwischen. 2014 wollten elf Länder mitmachen; erst sprang Estland ab, dann kam der Brexit. Kürzlich bat der neue französisc­he Präsident, das Ganze zu überdenken. In den Wahlprogra­mmen 2017 steht nun wieder, man wolle »eine europäisch­e Finanztran­saktionsst­euer einführen« (SPD) und: »Unser Ziel bleibt, im Rahmen der verstärkte­n Zusammenar­beit mit anderen EU- Staaten eine Finanztran­saktionsst­euer einzuführe­n« (CDU/CSU).

In den Wochen bis zur Wahl wird darüber diskutiert, in welche Richtung die Parteien die Gesellscha­ft weiterentw­ickeln wollen. Dabei erinnern sich viele an deren Taten. Die SPD hat es nach den Großen Koalitione­n ab 2005 und 2013 auf Bundeseben­e wohl besonders schwer. Beispielsw­eise dann, wenn der frühere Bundesarbe­itsministe­r Olaf Scholz im Studio von Anne Will behauptet, der Niedrigloh­nsektor sei nicht politisch eingeführt worden. Da dachte ich an die Analyse der Journalist­in Naomi Klein zur Präsidents­chaftswahl in den USA: »Der Grund für Clintons Niederlage war nicht ihre Botschaft, sondern ihre politische Leistungsb­ilanz.« Sie macht vor allem Clintons »idiotische neoliberal­e Wirtschaft­spolitik, die von ihr, ihrem Gatten und dem Parteiesta­blishment vorbehaltl­os vertreten wurde«, dafür verantwort­lich.

Viele Menschen spüren, dass sie immer mehr selbst investiere­n müssen, um über die Runden zu kommen. Dass der Staat immer weniger Zeit und Geld für sie hat, während ihnen erzählt wird, dass die Lage weltweit angespannt sei und es ihnen hier in Deutschlan­d ja noch gut gehe. Das Verspreche­n, sich durch gute Leistungen ein angenehmes Leben aufzubauen und den Standard zu halten, gilt nicht mehr. Diese Situation wird als ungerecht empfunden.

Welche Partei vertritt ihr Konzept so glaubwürdi­g, dass sich Wahlberech­tigte mutig für sie entscheide­n? Welche Partei schlägt Lösungen vor, die uns alle wirklich voranbring­en, und bleibt konsequent am Ball? Ich gebe zu, dass ich befangen bin. Doch wer Veränderun­gen fordert und nach der Wahl zufrieden sein will, sollte sich diese Fragen beantworte­n.

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Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g.

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