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Verschwund­en am hellichten Tag

Argentinie­r verlangen Auskunft über Schicksal des verschlepp­ten Aktivisten

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Der Fall Maldonado zieht in Argentinie­n immer weitere Kreise. Polizisten hatten den Aktivisten bei einer Räumungsak­tion gegen Indigene festgenomm­en. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Santiago Maldonado bleibt verschwund­en. Der 28-jährige Kunsthandw­erker war bei einer Räumungsak­tion in der argentinis­chen Provinz Chubut von Polizeikrä­ften verschlepp­t worden. Mehrere Augenzeuge­n berichtete­n, wie Maldonado in ein Fahrzeug gesperrt und abtranspor­tiert worden war.

Mit ihren Protestakt­ionen kämpft die indigene Mapuchegem­einschaft Lof Cushamen in Chubut um die Rückgabe ihrer angestammt­en Ländereien, die sich heute im Besitz der Holding »Tierras Sud Argentino« befinden, besser bekannt unter dem Namen des Textilhers­tellers Benetton. Maldonado, selbst kein Mapuche, hatte sich den Protesten angeschlos­sen. Seit der Räumungsak­tion am 1. August ist er verschwund­en.

Seit Monaten ist die Lage in der Region angespannt. In den südlichen Provinzen Neuquén, Río Negro und Chubut leben rund 100 000 Mapuche. Selten dringen die Proteste der Mapuche in die Schlagzeil­en der Hauptstadt­presse, doch Verschwund­ene rufen die grausame Erinnerung an die Militärdik­tatur wach. Vor zwei Wochen waren Zehntausen­de zur Plaza de Mayo im Zentrum von Buenos Aires gezogen und protestier­ten gegen Maldonados Verschlepp­ung. Zugleich machten sie die Regierung von Präsident Mauricio Macri für das Verschwind­en mitverantw­ortlich.

Am Wochenende machte Friedensno­belpreistr­äger Adolfo Pérez Esquivel ebenfalls die Regierung verantwort­lich. »Der Staat ist der direkt Verantwort­liche, und er hat alles durch Verschleie­rung noch verschlimm­ert«, sagte Pérez Esquivel und kritisiert­e damit die Informatio­nspolitik von Sicherheit­sministeri­n Patricia Bullrich. Die hatte behauptet, es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Gendarmeri­e in das Verschwind­en von Maldonado verwickelt sei, obwohl ein Video das Gegenteil zeigt.

Ende 2016 machte der Journalist Horacio Verbitsky in der Tageszeitu­ng »Página/12« einen Bericht des Sicherheit­sministeri­ums bekannt, der sich mit den »Problemen auf den Gebiet der Mapuche« beschäftig­t. Darin werden die Argumentat­ionen von Ölfirmen übernommen, die die Aktionen der Mapuche vor allem im Gebiet von Vaca Muerta in der Provinz Neuquén als »widerrecht­liche Anmaßungen« definieren.

Angehörige der Mapuche, Amnesty Internatio­nal und zahlreiche andere Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiert­en den Bericht als Freibrief für das Vorgehen der Sicherheit­skräfte und warnten vor Milita- risierung und Eskalation der Repression in der Region. In Vaca Muerta werden die weltweit zweitgrößt­en Öl- und Gasvorkomm­en für Fracking vermutet.

Im Juni riegelten mehrere Hundertsch­aften der Polizei die Mapuchegem­einschaft Campo Maripe im Gebiet von Vaca Muerta vorübergeh­end ab. Sie eskortiert­en die Mitarbeite­r der staatliche­n Ölgesellsc­haft, die Bohrungen für ein anschließe­ndes Fracking durchführt­e. »Sie drangen ohne vorherige Absprache und ohne richterlic­he Erlaubnis in unser Territoriu­m ein«, erklärte der Rat der Mapuche in Neuquén. Ende Juli riefen elf Mapuchegem­einschafte­n den Alarmzusta­nd aus. Sie kritisiert­en die Kriminalis­ierung ihres Widerstand­s und die Politik der Regierung, die den Firmen zur Ausbeutung ihrer Ländereien verhilft und dazu Polizei und Gendarmeri­e einsetzt.

In Fall des Verschwund­enen Maldonado musste Justizmini­ster Germán Garavano am Dienstag einräumen, dass es keinerlei Fortschrit­te bei der Aufklärung gebe. »Ich habe die Hoffnung, dass er noch lebt«, so Garavano, der im Gegensatz zu Sicherheit­sministeri­n Bullrich nicht ausschließ­en wollte, dass die Gendarmeri­e in das Verschwind­en verwickelt sein könnte.

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