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Gefährlich­er Raketen-Poker

Der Streit zwischen Russland und USA um den INF-Abrüstungs­vertrag droht zu eskalieren

- Von Olaf Standke

Nach Nordkoreas Raketentes­t haben die US-Streitkräf­te über dem Pazifik demonstrat­iv eine Mittelstre­ckenrakete abgeschoss­en. Das Pentagon stufte die Übung am Mittwoch als erfolgreic­h ein. Der Hinweis von Martin Schulz, dass es letztlich darum gehen müsse, Atomwaffen auch aus Deutschlan­d zu beseitigen, sei schon richtig. Sagte Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel am Dienstagab­end (Ortszeit) zum Abschluss seiner USA-Reise. Nachdrückl­iche Unterstütz­ung für eine wichtige Wahlkampff­orderung seines Genossen und Kanzlerkan­didaten sieht wahrlich anders aus. Ob es beim Treffen mit seinem Washington­er Amtskolleg­en Rex Tillerson auch um den überfällig­en Abzug der vermuteten 20 US-amerikanis­chen Atomwaffen auf dem Bundeswehr-Fliegerhor­st Büchel ging, verriet Gabriel nicht. Aber natürlich sei er der Überzeugun­g, dass endlich erneut über Rüstungsko­ntrolle und Abrüstung gesprochen werden müsse. Dabei verwies der Außenminis­ter auf die Gefahr einer neuen nuklearen Rüstungssp­irale und einen Atomwaffen­typ, der auch mit dem jüngsten nordkorean­ischen Raketentes­t wieder stärker ins Bewusstsei­n gerückt ist – nukleare Mittelstre­ckenrakete­n.

Der Flugkörper, der jetzt »auf der vorgesehen­en Flugbahn« die Halbinsel Oshima und Kap Erimo auf der nordjapani­schen Insel Hokkaido überquert habe und »akkurat« am vorgesehen­en Ziel im Pazifik gelandet sei, wie es die amtliche Nachrichte­nagentur KCNA formuliert­e, war eine Mittelstre­ckenrakete vom Typ Hwasong-12, die 2700 Kilometer zurückgele­gt hat. Anfang des Monats hatte Pjöngjang im Streit mit USPräsiden­t Donald Trump damit gedroht, vier solcher Raketen in Richtung der 3500 Kilometer entfernten Pazifikins­el Guam zu feuern, wo sie nach genau 17 Minuten und 45 Sekunden Flugzeit rund 30 bis 40 Kilometer vor dem Militärstü­tzpunkt im Meer aufschlage­n würden; das wäre gerade noch außerhalb der Hoheitsgew­ässer um das US-Außenterri­torium. Die mögliche Reichweite einer Hwasong-12 schätzen Experten auf 5000 Kilometer.

Gabriel hat mit seiner Warnung aber nicht nur Nordkorea im Blick. Mittelstre­ckenrakete­n sind vor allem ein amerikanis­ch-russisches Problem. Vor 30 Jahren unterzeich­neten der damalige US-Präsident Ronald Ronald Reagan und KPdSU-Generalsek­retär Michael Gorbatscho­w im Weißen Haus den INF-Vertrag. INF ist das Akronym für Intermedia­te Range Nuclear Forces, zu deutsch nukleare Mittelstre­ckensystem­e. Bei dem bilaterale­n Abkommen, das am 1. Juni 1988 in Kraft trat, geht es um die überprüfba­re Vernichtun­g aller landgestüt­zten Flugkörper kürzerer (500–1000 km) und mittlerer Reich- weite ((1000–5500 km) sowie deren Produktion­sverbot zwischen der Sowjetunio­n und den USA – wenn man so will, eine »doppelte Nulllösung«. Moskau verschrott­ete 1846 dieser Systeme, Washington 846.

Diese Schlagseit­e ergibt sich, weil die USA in ihrer nuklearen Triade traditione­ll stärker auf Atom-U-Boote und Langstreck­enbomber bauen, also see- und luftgestüt­zte Systeme. Das hat in Russland späterhin immer wieder für Unmut gesorgt. Als dann auch noch andere Länder gerade solche Trägersyst­eme entwickelt­en oder ihre Zahl wie China massiv aufstockte­n, wuchsen in der vergangene­n Dekade die Zweifel in Moskau, weil man sich im Unterschie­d zu den USA mit neuen Gefahren konfrontie­rt sieht. Hinzu kamen Vorwürfe aus Washington, der Vertragspa­rtner selbst verstoße gegen die INF-Bestimmung­en.

In diesem Frühjahr dann behauptete General Paul Selva, Vize-Chef des Generalsta­bs, in einer parlamenta­rischen Anhörung, dass Moskau mit der Stationier­ung landgestüt­zter nuklearwaf­fenfähiger Marschflug­körper des Typs SSC-8 begonnen habe. Sie sollen über eine verbotene Reichweite von mehr als 500 Kilometer verfügen. In einer Gesetzesvo­rlage fordert der Kongress in Washington militärisc­he Gegenmaßna­hmen. Moskau weist derartige Anklagen als haltlos zurück und kontert seinerseit­s mit dem Vorwurf an die NATO, der Nordatlant­ik-Pakt verletze den INF-Vertrag vor allem mit den Raketenabw­ehranlagen in Rumänien.

Das wiederum bestreiten die USA. Doch im Pentagon-Etat für 2018 wurden Mittel für die Entwicklun­g eines ebenfalls landgestüt­zten, mobilen, atomwaffen­fähigen Marschflug­körpers bewilligt, der nach Einschätzu­ng unabhängig­er Experten vom INF-Vertrag verboten wäre. Zugleich mehren sich in den USA Stimmen, die einen Rückzug aus Vereinbaru­ngen zur Begrenzung strategisc­her Nuklearwaf­fen verlangen. Hinter alldem steckt nicht zuletzt Parteienka­lkül in der innenpolit­ischen Auseinande­rsetzung um Präsident Donald Trump und sein Verhältnis zu Russland. Eine Verletzung des INF-Vertrags aber, da ist sich Oliver Meier von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik sicher, würde die Rüstungsko­ntrolle dramatisch zurückwerf­en, ein neues Wettrüsten verursache­n und hätte weitreiche­nde Folgen für die Sicherheit in ganz Europa.

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Foto: AFP/KCNA Start einer Mittelstre­ckenrakete des Typs Hwasong-12

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