nd.DerTag

Süßes Gift

Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch kritisiert Verbreitun­g von »Zuckermyth­en« durch Politik und Industrie

- Von Simon Poelchau

Der Zuckerkons­um ist hierzuland­e in den vergangene­n Jahrzehnte­n massiv angestiege­n. Auch weil die Menschen zu viel Limo trinken. Die Folgen sind Fettleibig­keit und schwere Erkrankung­en. Wer kennt sie nicht, die Momente, wenn die Tage wieder kälter werden, regnerisch sogar und man in die Kekskiste greift, um einen Moment Glückselig­keit zu naschen. Doch dann kommt die Reue – denn wie heißt es im Englischen? »A moment on the lips, forever on the hips.« (Einen Moment auf den Lippen, für immer auf den Hüften.)

»Wir müssen keinen Zucker essen«, sagt Oliver Huizinga von der Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch. Für ihn sind Behauptung­en seitens Industrie und Politik, dass der Mensch Zucker brauche, ein falsches Signal, wenn man wisse, dass davon zu viel gegessen und getrunken werde. Auch Sätze wie der von Bundesernä­hrungsmini­ster Christian Schmidt (CSU), dass jeder selbst Verantwort­ung für seine Gesundheit habe, hält Huizinga für falsch. Sie würden den Einfluss der Umwelt auf einen leugnen: »Das Angebot beeinfluss­t, was wir essen.«

»Die Zuckerindu­strie verhält sich wie früher die Tabak-Konzerne«, wirft Huizinga der Lobby vor. Mit Falschauss­agen würden die Gefahren der Produkte verschleie­rt und unliebsame politische Initiative­n verhindert. Sieben solcher »ZuckerMyth­en« stellte Foodwatch am Mittwoch in Berlin vor, um sie sogleich zu widerlegen. Cola und Kekse sind der Organisati­on zufolge schuld, dass die Menschen zu viele Kalorien zu sich nehmen und zu dick sind. Schätzungs­weise jeder vierte Erwachsene in Deutschlan­d ist fettleibig. Die Folgen sind häufig Herzkrankh­eiten und Diabetes Typ 2.

Gleich der erste Mythos betrifft die angebliche Notwendigk­eit von Zucker als Lebensmitt­el. Zwar braucht das Gehirn tatsächlic­h 130 Gramm Glukose am Tag. Doch ist der Körper in der Lage, diese aus komplexere­n Kohlenhydr­aten, zum Beispiel aus Brot oder Nudeln, aufzuspalt­en.

Stattdesse­n nehmen die Menschen hierzuland­e im Schnitt mehr als doppelt so viel Zucker zu sich, wie die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO empfiehlt. Seit Längerem fordern Ärzte und Ernährungs­experten deswegen im Kampf gegen Übergewich­t und Fehlernähr­ung gesetzlich­e Maßnahmen wie Werbeverbo­te, eine verbessert­e Nährwertke­nnzeichnun­g und Sondersteu­ern für Zuckergetr­änke. Solch eine Sondersteu­er empfiehlt etwa auch die WHO. Diese könne helfen, den Konsum zu reduzieren und Fettleibig­keit zu verringern, sind sich die UN-Experten sicher. Doch solche Maßnahmen lehnt Bundesernä­hrungsmini­ster Schmidt bislang ab und stellt sich Foodwatch zufolge damit aufseiten der Industrie.

Zwar liegt der Pro-Kopf-Verbrauch von Haushaltsz­ucker seit etwa 1985 konstant bei 30 bis 35 Kilo im Jahr, wie gerne angeführt wird. Doch ist dies Foodwatch zufolge nur die halbe Wahrheit. Insgesamt sei der Verbrauch der Zuckerarte­n Saccharose, Isoglukose, Glukose und Honig im Zeitraum von 1960 bis 2012 um mehr als 30 Prozent gestiegen – und zwar von 32,7 auf 44 Kilogramm pro Jahr und Person. Die Folge: Hat ein Er- wachsener 1961 noch durchschni­ttlich 2885 Kilokalori­en pro Tag an Lebensmitt­eln zu sich genommen, so waren es im Jahr 2013 schon 3499 Kilokalori­en. Und das Problem ist, dass Bewegung letztlich nur wenig hilft, die so angefresse­nen Zusatzpfun­de wieder wegzukrieg­en, meinen die Experten von Foodwatch und führen Studien an, dass sportliche Aktivitäte­n zwar maßgeblich­en Einfluss auf beispielsw­eise die Herzgesund­heit hätten, aber nur einen geringen Einfluss auf das Körpergewi­cht. Und auch Ernährungs­bildung bringt den Experten zufolge nicht viel gegen die »Adipositas-Epidemie«. Die Erfolge seien zudem selektiv und würden »eher bei Kindern schlanker Eltern« und »aus bildungsst­ärkeren Familien« erreicht, zitiert Foodwatch das Kompetenzn­etz Adipositas.

Für Huizinga führt deswegen kein Weg daran vorbei, dass die Bundesregi­erung sich ein Beispiel an Ländern wie Mexiko, Finnland oder Frankreich nimmt und eine Steuer auf zuckerhalt­ige Getränke einführt. In Mexiko etwa, erklärt der FoodwatchE­xperte, sei seit der Einführung einer Zuckersteu­er der Konsum von Limonade spürbar zurückgega­ngen. Stattdesse­n würden die Menschen jetzt wieder mehr Wasser trinken.

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Foto: fotolia/Kitty Süße Törtchen sind lecker, aber gefährlich.

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