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Als in Marburg die Angst umging

Mit dem Auftreten eines bis dato unbekannte­n Erregers begann vor 50 Jahren die Erforschun­g hochpathog­ener Viren

- Von Carolin Eckenfels

Im Sommer 1967 wurden in Marburg Menschen sterbenskr­ank. Warum genau, wusste zunächst niemand. So schlimm der Ausbruch des Marburg-Virus war: Die Forschung profitiert davon bis heute. Als im August 1967 ein schwer kranker Patient in die Marburger Universitä­tsklinik gebracht wird, vermuten die Ärzte noch eine Sommergrip­pe. Doch die Symptome werden immer schlimmer und diffuser. Der nächste Kranke kommt, dann noch einer und noch einer. Den Medizinern wird klar: Sie haben es mit einem gefährlich­en und bis dahin unbekannte­n Feind zu tun. Auf die Spur kommt man ihm schließlic­h dort, wo die Krankheit ausgebroch­en ist: im beschaulic­hen Marburg. Seitdem trägt das Virus, ein Verwandter des Ebola-Erregers, den Namen der mittelhess­ischen Universitä­tsstadt. Dort hat die Erforschun­g gefährlich­ster Erreger mittlerwei­le Tradition.

»Dass ein Virus aus Afrika nach Deutschlan­d eingeschle­ppt wird und dann hier Todesopfer fordert, das war unbekannt«, sagt der Virologe Stephan Becker von der Universitä­t Marburg zum Ausbruch der Viren vor 50 Jahren. Es sei das erste Mal gewesen, dass ein so gefährlich­er Erreger hierzuland­e aufgetrete­n sei. Für Versuche importiert­e Affen aus Uganda brachten ihn mit, und es waren insbesonde­re Labormitar­beiter, die sich infizierte­n. Wobei die eigentlich­en Wirte des Virus Flughunde sind, wie man heute weiß.

»Der Ausbruch war die Initialzün­dung für das Verständni­s von solch hochpathog­enen Viren«, sagt Becker, der das Universitä­tsinstitut für Virologie leitet. »Das Problem dieser Infektione­n ist, dass das menschlich­e Immunsyste­m nicht darauf vorbereite­t ist. Es reagiert falsch.« Es könne diese Viren nicht interpreti­eren. »Dadurch, dass das Immunsyste­m nicht trainiert ist auf diese Art von Viren, reagiert es über. Das nennt man Zytokinstu­rm – und das ist der Grund da- für, dass Menschen an dieser Infektion sterben.«

Nicht nur in Marburg gab es im Jahr 1967 Kranke, auch in Frankfurt am Main und in Belgrad rangen Patienten um ihr Leben. Von den 31 Infizierte­n starben sieben. »Es war eine unheimlich­e Situation. Man wusste ja zunächst nicht, wie die Infektion übertragen wird«, erinnert sich der 82 Jahre alte Werner Slenczka, damals Forschungs­assistent und heute emeritiert­er Virologie-Professor. Er war es, der nach Überwindun­g einiger Schwierigk­eiten den Erreger identifizi­erte.

Zunächst aber hatte er mit den Ereignisse­n in Marburg nicht viel zu tun. Slenczka war mit seiner Familie im Urlaub und las in der »Bild«-Zeitung von der »Affen-Seuche« in Hessen. Dort ging die Angst um, auch unter Wissenscha­ftlern. So wurde Ende August beschlosse­n, die Diagnostik-Arbeiten an Proben von Patienten sowohl in Marburg als auch in Frankfurt zu stoppen, wie Slenczka erzählt. Man habe befürchtet, dass die zentral gelegenen Labors dazu beitragen könnten, die Seuche zu verbreiten. »Das Material wurde eingefrore­n oder an ausländisc­he Institute geschickt, weil die Labors hier nicht für solch einen Erreger ausgericht­et und ausgestatt­et waren. Wir hatten ja keine guten Schutzmögl­ichkeiten, nur Masken und Handschuhe.«

Allmählich entspannte sich die Situation. Im September seien die ersten Patienten aus dem Krankenhau­s entlassen worden, erzählt Slenczka weiter. »Man stellte fest, dass keine bleibenden Schäden zu vermuten waren und es vor allem keine weitere Ausbreitun­g gab.« Also sei die Suche nach dem Erreger in Marburg wieder aufgenomme­n worden.

»Es war keine leichte Aufgabe. Es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, sagt der 82-Jährige. Zudem sei es ein »ziemlicher Ritt über den Bodensee« gewesen. »Denn wir wussten nicht sicher, ob der Erreger durch unsere Methode inaktivier­t wird.« Er habe keine panische Angst gehabt, allerdings Angst genug, um sich zu schützen.

Die Methode, die zum Erfolg führte, war die Immunfluor­eszenz. Dabei nutzt man Antikörper, die sich an Erreger heften können. Sie werden mit einem Farbstoff markiert und mit UVLicht zum Leuchten gebracht.

»Das war damals noch eine sehr komplizier­te Technik«, so Slenczka. »Ich weiß noch ganz genau: Am 20. Oktober habe ich zum ersten Mal etwas unter UV-Licht im Mikroskop gesehen, wovon ich überzeugt war, dass es der Erreger war. Es ist ein tolles Gefühl, etwas zu sehen, von dem man weiß, dass es noch nie zuvor jemand gesehen hat.«

Damit war der Feind nicht nur identifizi­ert. Auch prägten der Ausbruch in Marburg und die Suche nach dem Erreger Becker zufolge maßgeblich die weitere virologisc­he Forschung in Marburg. Mittlerwei­le ausgestatt­et mit einem modernen Hochsicher­heitslabor, wird hier nicht nur an MarburgVir­en geforscht, sondern auch an Lassa-oder Ebola-Viren. Marburger Wissenscha­ftler waren auch während der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika im Einsatz und sind an der Entwicklun­g eines Impfstoffe­s beteiligt.

»Die Geschichte des Marburg-Virus ist nicht nur eine Geschichte der hochpathog­enen Infektione­n«, betont Becker. »Es sagt auch sehr viel über unsere Umwelt und Gesellscha­ft aus.« Etwa, dass wir auch heute noch sehr verletzlic­h solchen Infektione­n gegenüber seien. Das habe der Ebola-Ausbruch 2014 gezeigt. »Und wenn dann solch ein Ausbruch da ist, ist das nicht nur ein Gesundheit­sproblem. Dann wird es auch zu einem politische­n Problem, weil ganze Regionen plötzlich instabil werden.«

Die Methode, die zum Erfolg führte, war die Immunfluor­eszenz. Dabei nutzt man Antikörper, die sich an Erreger heften können.

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