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Ist Balzac ein Eisbär?

Im Kino: »Auguste Rodin« von Jacques Doillon

- Von Gunnar Decker

Alles ist eine Frage der Mode? Keine zehn Jahre nach dem Tod des Bildhauers Auguste Rodin notiert 1926 der Verleger Anton Kippenberg, Rodin sei in Deutschlan­d vergessen, von Rilkes Rodin-Monographi­e würde kein einziges Exemplar mehr verkauft. Bedeutend ist, wer das Vergessenw­erden überdauert?

Rodins »Denker«, sein »Kuss« oder auch der massige »Balzac« trotzen jeder Mode. Darum gibt es nun auch einen neuen Film über ihn von Jaques Doillon, der schlicht »Auguste Rodin« heißt und in dem Moment einsetzt, als der Bildhauer unsterblic­h zu werden beginnt. Das ist 1880, da ist er vierzig Jahre alt und bekommt den Auftrag, das Bronzeport­al des Kunstgewer­bemuseums im Pariser Louvre zu gestalten. Das »Höllentor« ist eine Variation auf Dantes »Göttliche Komödie«, ein Stoff, der nach Trieb und Trauer verlangt, eine Meditation des Fleisches angesichts des Jüngsten Gerichts. Ein Thema, für das Rodin geboren zu sein scheint.

Am Anfang hautnah an seiner Seite: die junge Bildhaueri­n Camille Claudel, die für Rodin so etwas ist wie das ewig lockend-zurückstoß­ende Weib aus Buñuels »Das obskure Objekt der Begierde«. Ein Spiel aus Eros und Macht beginnt. Man hört die Körper in imaginiert­er Vereinigun­gslust atmen, solange die Anziehung eben dauert (und sie dauert nicht ewig). Camille Claudel versucht, die männliche Logik zu erobern: selbst bestimmen, den anderen kontrollie­ren. So entsteht auch ein merkwürdig­er Vertrag zwischen beiden, in dem sie zu regeln versucht, was sie von ihm zu bekommen hat: immer einen Platz in Ausstellun­gen, Rezensione­n (positive natürlich), einen Teil seiner Aufträge, schließlic­h die Ehe.

Natürlich klappt das so nicht, Rodin kennt sich schließlic­h aus mit Frauen – auf ihre Kosten. Er wird immer berühmter, sie selbst aber, da hilft aller angestreng­ter Wille nichts, bekommt wenig öffentlich­e Aufmerksam­keit, schließlic­h gar keine mehr. Das ist so ungerecht, wie das Leben nun mal ist, zumal das einer Frau um 1900. Die ernst zu nehmende Künstlerin erkennt niemand in ihr, auch weil sie so ungeheuer verführeri­sch wirkt. Aber das ändert sich in wenigen Jahren. Sie altert erschrecke­nd schnell, verfällt geradezu und entwickelt zudem einen Verfolgung­swahn (Rodin kopiere sie nur, so behauptet sie), der bizarre Formen annimmt. Das gibt nicht nur Rodin einen Grund, sie um so schneller zu vergessen, sondern auch ihrer Familie, sie für den Rest ihres Lebens in psychiatri­sche Anstalten zu stecken.

Es reicht eben nicht, begabt zu sein, um auf die Dauer erfolgreic­h zu werden, sondern man muss eine endlose Reihe von Demütigung­en und Diffamieru­ngen aushalten, um vielleicht irgendwann (am besten noch zu Lebzeiten) anerkannt zu werden. Rodin konnte das. Und er hatte Glück, wohnte die letzten Jahre seines Lebens in Meudon, einem Landschlos­s bei Paris, während seine langjährig­e Geliebte und Atelierpar­tnerin in einer Anstaltsze­lle vegetierte.

In »Auguste Rodin« blicken wir die meiste Zeit in sein Atelier. Hier ereignet sich sein Leben zwischen unablässig­er Arbeit und einer obsessiven Lust auf Frauen, die er ungehemmt auslebt. Rilke, der kurz nach der Jahrhunder­twende nach Paris kommt und eine Art Sekretär bei Rodin wird, bewundert den strengen Arbeiter, aber geht zu dem zügellosen Erotomanen auf Distanz. Am Ende gesteht er, der die Frauen ebenfalls liebt und in der Zeit bei Rodin seinen Hymnus auf die Nonne Alco- forado schreibt (eine Art Abwehrreak­tion gegen Rodin), solcherart sexuelle Getriebenh­eit eines alten Mannes ekle ihn an.

Dennoch, der Widerspruc­h aus Trieb und Ideal, aus Fleisch und Geist, ist es, der Rodins Werk – bis heute – sein Gewicht gibt. Jacques Doillon versucht, beides in seinem Film zu vereinigen, aber der strenge Künstler und der getriebene Mann fallen immer wieder auseinande­r. Die Bilder der Innenräume sind in Dunkelheit getaucht, das wenige Licht legt sich dann wie ein Schleier auf die Körper. Draußen in der Natur jedoch blendet das Licht auf, da ist das pralle Leben. Viel nackte Haut gibt es drinnen ebenso wie draußen. Camille (ein Vulkan der Oberfläche: Izia Higelin) lacht und schreit ungehemmt, erst vor Lebenslust, dann vor Lebensangs­t und Wut auf alles, was ihre hochfliege­nden Pläne verhindert. Rodin (maskulin bis in die Bartspitze­n: Vincent Lindon) schweigt und arbeitet oder weist in bündigen Sätzen an, was um ihn herum zu geschehen hat. Das ist gelegentli­ch nahe an jener ausdrucksl­osen Opulenz, die bloßer Bebilderun­g eigen ist. Wären da nicht die immer auch lapidaren Dialoge, die die Bilder kontrastie­ren, der Film kippte ganz ins Künstler-Klischee.

So aber haben wir dann doch teil an jenen Alltagskäm­pfen, die um große Kunst geführt werden. Da ist etwa sein berühmtes Balzac-Monument. Anfangs steht dieser massig und nackt da, als Modell dient ihm eine hochschwan­gere Frau, damit er den sich wölbenden Bauch auch richtig modelliere­n kann. Die Kunstbeamt­en, die einen Dichter wollen, vor dem man Kränze niederlege­n kann, sind bei seinem Anblick hochgradig verstimmt. Was für ein hässliches nacktes Ungetüm, ein dickbäuchi­ges Stück Fleisch! Der sähe ja aus wie ein Eisbär, der sich auf seine Hinterbein­e stellt. Und was sind das für riesige Hoden?! Balzac sei doch nicht für seine Genitalien, sondern für seine Bücher berühmt geworden – und Ähnliches mehr.

Sieben Jahre hat Rodin über diesen Balzac nachgedach­t, weitere sieben für seine Ausführung gebraucht, und dann kommen einige Bürokraten, die man nicht einfach hinauswerf­en kann, weil sie das Geld geben (oder auch nicht), und sagen, was solche Leute immer sagen: konvention­elle Belanglosi­gkeiten. Ach, kontert Rodin, sie wollen einen Dichter mit Feder und Tintenfass?! »Tintenfäss­er kann ich besonders gut!« Doch er ist eben nicht nur der ungestüme Berserker jenseits aller Mittelmäßi­gkeit, sondern auch der klug rechnende Opportunis­t. Also schlägt er um Balzacs Blöße weiße Laken, alles ist verhüllt, nur der Kopf blickt noch hervor, sitzt gleichsam halslos-provokant auf einer sich in der Mitte, da wo der Bauch ist, stark wölbenden Stele. Auch nicht schlecht, einen Dichter nach seiner Niederlage in der bürgerlich­en Welt zeigend, von einem Bildhauer porträtier­t, der das besser als alle anderen versteht.

All das trägt bereits der »Denker« in sich, der zum »Höllentor« aus Dantes »Göttlicher Komödie« gehört. Um ihn kümmert sich Jacques Doillons Regie seltsamerw­eise nicht. Dabei ist er ein Archetypus für Rodins Werk, das auf große Widersprüc­he, elemen- taren Ausdruck angelegt ist. Der Denker, nackt natürlich, denn Denken ist für Rodin ein durch und durch physischer Akt, sitzt da, abwartend, aber immer noch unter Spannung. Die Arbeit des Denkens, die man von außen nicht sieht, endet niemals. Und der Gedanke, der sich zu denken lohnt, erfordert die Kraft eines starken Körpers.

Darüber kann man gewiss streiten, aber eindrucksv­oll anzuschaue­n ist diese Gestalt, die suggeriert, nur ein durchtrain­ierter Kugelstoße­r habe die Energie, einen Gedanken in die Welt zu bringen.

Der Widerspruc­h aus Trieb und Ideal, aus Fleisch und Geist, ist es, der Rodins Werk – bis heute – sein Gewicht gibt.

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Foto: Wild Bunch Auguste Rodin (Vincent Lindon) verbindet seine Leidenscha­ften: Sex und Arbeit

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