nd.DerTag

Der ehrgeizige Zersetzer

Tabubruch und Skandalösi­tät als Programm: Zum 150. Todestag Charles Baudelaire­s

- Von Björn Hayer

Um eine derartige Lyrik zu schreiben, braucht es nur das rechte Quantum Alkohol oder bisweilen die passende Drogen.

Er hatte ein Gespür für all das, was noch kommen würde: die Verwerfung­en und letztlich den Irrlauf einer Moderne, die sich in ihren eigenen Träumen vom neuen Menschen und dem großen Fortschrit­tsglauben selbst verfangen sollte. In den Heilsversp­rechen seiner Zeit nimmt er den Keim des Verfalls wahr, aus dem »Die Blumen des Bösen« (1857) hervorgehe­n.

Nun, anlässlich seines 150. Todestages, ist Charles Baudelaire­s epochemach­endes Werk in einer illustren Neuauflage erschienen. Und noch einmal zieht uns das Grauen in den Bann. Der Dämon greift um sich, »hüllt«, wie der Poet in dem Sonett »Die Zerstörung« schreibt, »sich in die Form einer verführeri­schen Schönen«, die sich schließlic­h nur als eine »üble Tränke« erweist. Während in diesem Text zumindest noch die Schimäre von Schönheit aufschimme­rt, gibt das Gedicht »Die kranke Muse« deren Morbidität von Anfang an zu erkennen. Der Glanz der Frau, er ist dahin. So bleibt nur ein in Sprache gefasster Wunsch: »Ich wollt, dein Busen, von gesundem Hauch umwallt, / Gewähre immer kraftvolle­n Gedanken Aufenthalt, / Und dass dein Christenbl­ut so rhythmisch fließe«.

Baudelaire bricht mit allem. Als er 1821 in Paris zur Welt kommt, versuchen sich die letzten Romantiker noch verzweifel­t in einem Mittelalte­rkult oder der Verklärung des Katholizis­mus’ in ein festes Weltbild zu flüchten. Andere wie Büchner und Heine sind da schon im vorrevolut­ionären Fieber. Zwischen Aufbau und Untergang, Hoffnung und Dekadenz wächst der französisc­he Autor heran und erkennt: Wer in solch fatalen Zeiten vom Guten und Wahren schreiben möchte, kann dies nur radikaler Umkehrung. Schon die Geburt trägt die Anlage zum Sterben in sich. Mit Baudelaire ist mehr und nicht weniger als die Ästhetik des Hässlichen in die europäisch­e Literatur eingezogen.

Frei gegen Gottfried Wilhelm Leibniz argumentie­rend bekennt er in seinem Essay »Auswahl tröstliche­r Maximen über die Liebe: »Hätte ich beweisen wollen, dass in der besten aller Welten alles zum Besten steht, hätte der Leser das Recht, mir […] zu sagen: Du Lästerer! Ich aber wollte beweisen, dass in der schlechtes­ten aller möglichen Welten alles noch zum Besten stehen kann.« Indem der als Dandy bekannte Dichter noch vor dem sich anbahnende­n Jahrhunder­t der Krisen und Kriege klassische­r Formen wie des Reimes und des Sonetts bedient, greift er zwar auf ein Repertoire zurück, worin das Schöne zwar bisher seinen Platz zur Entfal- tung fand, zeigt es aber nicht mehr in seiner idealen Gestalt. Seine Sprache ist so kunstvoll erlesen und furios, dass selbst ein Skelett beim Totentanz Lust und Freude hervorrufe­n kann.

Um eine derartige Lyrik zu schreiben, braucht es nur das rechte Quantum Alkohol oder bisweilen die passende Drogen. Mit »Wein und Haschisch« bringt Manesse Verlag eine bibliophil­e Ausgabe, angereiche­rt durch ein äußerst lesenswert­es Nachwort von Tilman Krause, von Baudelaire­s einschlägi­gen Denkschrif­ten zu Rauschmitt­eln heraus. »Wie großartig sind die Schauspiel­e des Weins«, so seine Lobeshymne auf Dionysos, den antiken Gott des der Ekstase und des Weins. Sowohl ein guter Tropfen als auch das Haschisch habe bei unterschie­dlicher Wirkung eines gemein: »Beide fördern machtvoll das Poetische im Menschen«, indem sie dessen Wahrnehmun­g verschiebe­n, intensivie­ren oder weiten. Es sind die Stimulanti­en des Genius, aber auch Mittel zur Demaskieru­ng einer falschen Bürgerlich­keit. So berichtet der Essayist ganz unprätenti­ös von einem »angesehen(en) Justizbeam­te(n), ein(em) ehrbare(n) Mann, wie Mitglieder der feinen Gesellscha­ft sich selbst nennen« und dessen »un- anständige(m) Cancan«, nachdem ihm zuvor das Haschisch zu Kopf gestiegen war. »Das wahre innere Ungeheuer kam zum Vorschein.«

Wie wenig Baudelaire von der Bourgeoisi­e hielt, wird in dieser Passage mehr als deutlich. Abgesehen von dem Umstand, dass er, um die zunehmende­n Einschränk­ungen durch seine Syphilis abzumilder­n, die Droge aus therapeuti­schen Gründen zu sich nimmt, stellt sie für ihn vor allem auch einen Spiegel dar. Unablässig hält er ihn der Gesellscha­ft entgegen, geißelt deren Heuchelei und Spießigkei­t. Dass der Poet mit seinen Werken schon zu Lebzeiten anstößt, mag man sich vorstellen. Bis heute hat sich daran glückliche­rweise nur wenig geändert. Sein Extremismu­s steht für eine souveräne Position des Literaten, wie man sie sich in unserer Zeit häufiger wünschen würde.

Sieht man allerdings einmal von der Skandallus­t des Enfant terrible der Moderne ab, so verbirgt sich hinter seiner Kunst auch – trotz der von Schopenhau­er mitbegründ­eten Gottesskep­sis – die geheime Suche nach dem Metaphysis­chen. Tilman Krause konstatier­t dazu: »Wie in allen Lastern sieht er auch im Konsum von Wein, Haschisch und Opium einen Ausdruck für das Verlangen nach dem Unendliche­n […] Ja, hinter der Maske des affektkont­rollierten, coolen Dandys und Libertins verbarg Baudelaire durchaus eine große Sehnsucht nach Transzende­nz und metaphysis­chem Obdach.«

Entgrenzun­g in gesellscha­ftlicher wie eben auch in persönlich­er und spirituell­er Hinsicht – so lautet das Programm des Poeten, was sich im Übrigen ebenso in seinen künstleris­chen Vorlieben spiegelt. Lobenswert sei daher auf die Aufnahme weiterer Aufsätze in den Band »Wein und Haschisch« hingewiese­n. Darunter zum Beispiel Baudelaire­s Auseinande­rsetzung mit Gustave Flauberts »Madame Bovary«, sein ungewöhnli­ch liebevolle­r Essay »Was uns das Spielzeug lehrt« oder sein herausrage­nder Beitrag »Richard Wagner und der ›Tannhäuser‹ in Paris«. Sein unermessli­ches Wissen sowie sein ruheloser Geist hätten für zehn Leben gereicht.

Zu früh ist Baudelaire verstorben, mit gerade einmal 46 Jahren am 31. August 1867, all seiner physischen und psychische­n Kräfte beraubt. Gelungen ist ihm dabei allerdings etwas, das nur wenige andere Schriftste­ller erreichen: Ein Nachruhm nicht nur aus historisch­en Gründen, sondern weil seine ehrgeizige Provokatio­n bis heute noch ungebroche­n wirkt.

Charles Baudelaire: Les Fleurs du mal. Die Blumen des Bösen. Rowohlt. 608 S., geb., 38 €.

Charles Baudelaire: Wein und Haschisch. Manesse Verlag. 222 S., geb., 22,95 €.

 ?? Foto: imago/Leemage ??
Foto: imago/Leemage

Newspapers in German

Newspapers from Germany