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Wenn Kunst persönlich wird

Im Kino: »Als Paul über das Meer kam« von Jakob Preuss

- Von Caroline M. Buck

Dies ist ein Film über prekäre Zustände und üble Kontraste – gleich vom ersten Bild an. Da balanciert ein Mann hoch oben auf einer Laterne. Er ist schwarz. Das nächste Bild zeigt eine Gruppe Männer, die auf einem Zaun sitzen. Auch sie sind schwarz. Unter ihnen, Meter tiefer, schwingen Golfer ihre Eisen. Nein, schwarz sind die nicht.

Melilla ist der Ort der Handlung, eine spanische Enklave an der Küste von Marokko, umgeben von einem dieser Grenzzäune, mit denen Europa sich Richtung Afrika abzuschott­en versucht. Melilla/Marokko ist nur eine der europäisch­en Außengrenz­en, die Dokumentar­filmer und Politaktiv­ist Jakob Preuss bereiste, um einen Film zu drehen über die Festung Europa. Über Frontex, die paneuropäi­sche Grenzpoliz­ei, und ihre Einsätze im Süden, Osten und Südosten des Kontinents. Und über europäisch­es Geld, das nach Afrika fließt, damit andere die Drecksarbe­it machen und Europa die Flüchtling­e vom Hals halten.

In Melilla sind es die Europäer selbst, in Gestalt der spanischen Guardia Civil, die sich um ihre Grenze kümmern. Auch die interviewt­e Preuss, ebenso wie deutsche Schleierfa­hnder, die auf Autobahnen Laster anhalten und auf menschlich­e Fracht durchsuche­n, und die Besatzung eines Patrouille­nboots der portugiesi­schen Marine, das im Mittelmeer nach schiffbrüc­higen Flüchtling­en sucht. Wenn man von »Schiffbruc­h« überhaupt reden mag, wenn es um Schlauchbo­ote geht, die mit zu wenig Treibstoff und ungewartet­en Motoren in See stechen.

Für einen Film über Europas Außengrenz­en hatte Preuss mit Flüchtling­en in Griechenla­nd und Malta gesprochen, mit Europa-Abgeordnet­en in Brüssel und mit Frontex-Beamten im Hauptquart­ier in Warschau. Dann begegnete er Paul Nkamani aus Kamerun. Der lebte in einem dieser im- provisiert­en Freiluftla­ger in den Hügeln über Melilla, wie man sie aus anderen Dokumentar­filmen kennt. Wo jede Nationalit­ät unter sich bleibt und ihren Bereich organisier­t, wo viele junge Männer (und ein paar Frauen und Kinder) irgendwie überleben, bis sich eine Chance für den Versuch er- gibt, den mehrere Mann hohen, doppelten Grenzzaun zu überwinden. Immer in der Hoffnung, bei diesem Einreiseve­rsuch nicht verletzt oder getötet zu werden.

Paul Nkamani, französisc­hsprachig, ehemaliger Jurastuden­t (er flog von der Uni, weil er einen Studierend­enprotest organisier­te) und prakti- zierender Christ, wägt seine Chancen ab und bezahlt einen Schlepper, der ihn direkt nach Spanien bringen soll. Was auch gelingt – aber seines ist eines jener Boote, die mit 50 Mann an Bord in See stechen und mit nur 20 Überlebend­en ankommen. Preuss, der vorübergeh­end den Kontakt zu Paul Nkamani verloren hatte, findet ihn in den spanischen Fernsehnac­hrichten wieder: sichtlich traumatisi­ert, mit starrem Blick und zitternden Händen. Preuss wird nun persönlich aktiv, weil es nicht mehr gut genug scheint, einfach nur die Kamera auf das Elend zu halten und objektiv zu berichten.

Nkamanis weiterer Weg durch Europa wird ihn am Ende nach Brandenbur­g und bis in die Wohnung der Eltern des Filmemache­rs führen. Der Weg ist weit, nervenaufr­eibend und voller juristisch­er Unwägbarke­iten für beide. Am Ende sieht zeitweise alles ganz gut aus. Zumindest wenn man mal außen vor lässt, dass Paul Nkamani ein Denker ist, der bessere Chancen verdient hätte – und niemand das durchmache­n sollte, was er in vier Jahren Reise erlebte: Die Stadien vor dem Treffen mit dem Filmemache­r vollzieht der Film in angenehm zurückhalt­enden Animatione­n nach.

Doch eigentlich ist gar nichts gut bei Paul, denn trotz Sprachkurs und eigener Arbeitsste­lle, trotz familiärer Anbindung und offenkundi­gem Willen zur Einglieder­ung – und obwohl Paul Nkamani Christ ist und daher nicht unter den Generalver­dacht fällt, dem muslimisch­e Migranten ausgesetzt sind, – steht die Gefahr einer Abschiebun­g weiter im Raum. Wirtschaft­smigranten sind nicht wohlgelitt­en, wo so viele Kriegsflüc­htlinge aufgenomme­n werden wollen. Aber sollte das Recht auf Migration nicht ein universell­es sein, ein Menschenre­cht, unantastba­r wie das Leben selbst, unabhängig von den Reisegründ­en? Das ist die Frage, die der Film schließlic­h stellt. Man wird sie, allen Ängsten zum Trotz, mit einem eindeutige­n »Ja« beantworte­n müssen.

Der Regisseur greift selber ein – weil es nicht mehr genug erscheint, einfach nur die Kamera auf das Elend zu halten und objektiv zu berichten.

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Foto: Weydemann Bros. Juan Sarmiento Paul

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