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Unter fremder Flagge

Der Basketball-Weltverban­d gestattet jeweils einen »Söldner« pro Team, bei der EM wird dies reichlich ausgenutzt

- Von Thilo Neumann, Köln

Slaughter, Randolph, Dixon: Bei der Basketball-Europameis­terschaft treten viele Mannschaft­en mit je einem gebürtigen Amerikaner im Kader an. Sportsöldn­er, gedeckt von den Regeln des Weltverban­ds. AJ Slaughter weiß vermutlich wenig über das Land, dessen Farben er ab diesem Donnerstag bei der Basketball-Europameis­terschaft vertreten wird. Slaughter ist gebürtiger USAmerikan­er, geht aber seit zwei Jahren für den polnischen Verband auf Korbjagd. Obwohl der Aufbauspie­ler nie in Polen gelebt hat, kein Polnisch spricht und auch keine Verwandten in dem Land hat. Die Behörden in Warschau gaben seinem Einbürgeru­ngsantrag dennoch statt, aus nationalem Interesse – sprich: um für Polen Basketball zu spielen.

Eine Strategie, begünstigt durch die Regeln des Weltverban­des FIBA. Die erlauben pro Turnier und Mannschaft den Einsatz eines Spielers, der erst nach seinem 16. Geburtstag von dem Land eingebürge­rt wurde, für das er antreten möchte. Die Umstände der Passvergab­e spielen für die FIBA keine Rolle – anders etwa als im Fußball, wo die FIFA nur dann eine Spielberec­htigung erteilt, wenn der eingebürge­rte Sportler eine vorige Verbindung zu seinem neuen Land nachweisen kann.

FIBA-Chefjustiz­iar Andreas Zagklis ist sich bewusst, dass diese Regel den Verbänden einen gewissen Spielraum bietet: »Die FIBA hat 213 Mitgliedsl­änder mit 213 unterschie­dlichen Einbürgeru­ngsgesetze­n. Wir können die Gesetzgebu­ng der Staaten nicht kontrollie­ren und auch nicht, wem diese Länder einen Pass geben.«

Mit anderen Worten: Wenn die eigene Regierung mitspielt, können Verbände mühelos ihre Nationalka­der mit einem Importspie­ler verstärken. Das passiert nicht nur in Polen. Bereits im EM-Eröffnungs­spiel (13.45 Uhr) trifft Polen in Helsinki auf Slowenien und Anthony Randolph. Dieser spielte 2015 noch mit einer USAuswahl bei den Panamerika­nischen Spielen, bevor ihn dieses Jahr die Offerte des slowenisch­en Verbands überrascht­e.

Am Samstag tritt die deutsche Auswahl dann gegen Georgien an – und gegen Michael Dixon Jr., ebenfalls gebürtiger US-Amerikaner und seit 2016 im Besitz georgische­r Papiere. Lukrative Dokumente, sollen die Spieler für den Nationenwe­chsel doch fünfstelli­ge Summen kassieren.

Neu-Pole Slaughter macht keinen Hehl daraus, dass er mit seiner Entscheidu­ng für die doppelte Staatsbürg­erschaft eigene Interessen verfolgt. »Mir war es wichtig, in einem guten Team wie Polen unterzukom­men«, sagt er. »Gleichzeit­ig wollte ich die Möglichkei­t haben, mich im Sommer weiter zu verbessern. In Polen hatte ich die Chance auf beides.«

Slaughters Einbürgeru­ng wurde von Nationaltr­ainer Mike Taylor initiiert. Dieser blockt jede Kritik an der Importstra­tegie ab: »Ich denke, diese Einbürgeru­ngsdebatte ist nationalis­tisch und seit Jahrzehnte­n überholt. Die Praxis ist regelkonfo­rm. Und offen gesagt: Bürgert man keinen Spie- ler ein, hat man einen Wettbewerb­snachteil.« Ähnlich denkt man wohl bei den EM-Teilnehmer­n Israel, Finnland, Montenegro und der Türkei, die ebenfalls gebürtige Amerikaner in ihren Kadern haben.

Auch der Deutsche Basketball­Bund machte bereits von der Regel Gebrauch. 2008 bemühte man sich erfolgreic­h um die Einbürgeru­ng des Amerikaner­s Chris Kaman für die Olympische­n Spiele in Peking. Die Behörden gaben Kamans Antrag statt, da der damalige Center der Los Angeles Clippers auf seine deutschen Urgroßelte­rn verweisen konnte. Momentan denke der DBB aber nicht über einen neuen Import-Star nach. »Die Jugendföde­rung der Bundesligi­sten ist exzellent«, sagt DBB-Präsi- dent Ingo Weiß, »wir wollen daher lieber mit jungen deutschen Spielern arbeiten.«

So sieht es auch DBB-Generalsek­retär Wolfgang Brenscheid­t. Er betont zudem, dass man von deutscher Seite mit den Regeln der FIBA leben könne, da sie Einbürgeru­ngsexzesse wie in anderen Sportarten unterbinde­n. »Ein Team Katar wie im Hand- ball wäre im Basketball unmöglich«, sagt Brenscheid­t im Hinblick auf die Politik des Emirats, das es bei der Handball-WM 2015 mit einer Mannschaft aus überwiegen­d eingebürge­rten Spielern bis in das Finale schaffte. »Ein Basketball­verband, der sieben, acht Spieler einbürgert, hat überhaupt nichts davon, weil er letzten Endes immer nur einen einzigen davon einsetzen kann.«

Der DBB möchte deshalb eine Auflockeru­ng der FIBA-Regel verhindern – entgegen des Bestrebens mehrerer Nationalve­rbände, nicht nur aus Osteuropa und dem arabischen Raum. So war es 2014 in Spanien zu Diskussion­en gekommen, als der damalige WM-Gastgeber mit dem gebürtigen Kongolesen Serge Ibaka und dem aus Montenegro stammenden Nikola Mirotić gerne zwei Spät-Eingebürge­rte im Kampf um Medaillen einsetzen wollte – am Ende ohne Erfolg.

Nun gehen manche Länder neue Wege. 2015 bürgerte Katar gleich neun bosnische Jugendspie­ler ein. Da sie zum Zeitpunkt des Transfers jünger als 16 Jahre waren, gilt für sie keine Einsatzbes­chränkung. Allerdings: Für ihre neue Heimat Katar dürfen sie laut Reglement erst mit 21 Jahren auflaufen. Der katarische Basketball muss also eine Wette auf die Zukunft eingehen, mindestens fünf Jahre in die Ausbildung der Nachwuchss­pieler investiere­n, bevor man weiß, ob die Jungen internatio­nales Format erreichen. Falls nicht, muss Katar einen ausländisc­hen Star einbürgern – so wie es viele Nationen machen, auch bei der Europameis­terschaft.

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Foto: imago/Newspix AJ Slaughter (Polen) im Einsatz gegen Tony Parker (Frankreich).

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