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Gewerkscha­ftliche Wahlprüfst­eine

Dierk Hirschel stellt die großen Parteien auf die Probe. Sein Fazit: Schwarz-Gelb ist für Beschäftig­te nicht wählbar

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Die Wahlforsch­er haben Martin Schulz bereits angezählt. Drei Wochen vor dem großen Urnengang liegt der SPD-Chef auf den Brettern. Doch Vorsicht! Die Wahl wird erst in der letzten Runde entschiede­n. Jeder Zweite weiß noch nicht, wem er seine Stimme gibt.

Es geht um viel. Der Wahlausgan­g hat großen Einfluss auf die Arbeitsund Lebensbedi­ngungen von Millionen arbeitende­n Menschen. Aus gewerkscha­ftlicher Sicht müssen am 24. September die politische­n Kräfte gestärkt werden, die für mehr soziale Gerechtigk­eit und soziale Sicherheit stehen. Dabei sind Tarifvertr­äge, Rente und Zukunftsin­vestitione­n zentrale Themen.

Ein erster Wahlprüfst­ein ist die Neuordnung des Arbeitsmar­kts. Das, was ver.di, IG Metall & Co in Tarifverha­ndlungen aushandeln, kommt heute bei nur noch drei von fünf Beschäftig­ten an. Tendenz sinkend! Weniger Tarifschut­z bedeutet weniger Lohn, längere Arbeitszei­ten, unsichere Jobs und mehr Ungleichhe­it. Die Politik kann Tarifvertr­äge stärken. Prekäre Jobs müssen durch reguläre Arbeitsplä­tze ersetzt werden. Tarifvertr­äge sollten künftig so lange nachwirken, bis ein neuer Vertrag an ihre Stelle tritt. Zudem muss die Allgemeinv­erbindlich­keit der Verträge so erleichter­t werden, dass Arbeitgebe­rverbände nicht mehr blockieren können. Die Union und die FDP loben in Sonntagsre­den die Tarifauton­omie. Sie schlagen aber nichts vor, um Tarifvertr­äge zu stärken. Gleichzeit­ig wollen sie geringfügi­ge Beschäftig­ung fördern. Damit sagen CDU/CSU und FDP ja zur Erosion des Tarifsyste­ms. Die AfD ignoriert Tarifvertr­äge. SPD, Grüne und Linksparte­i wollen die Verhandlun­gsmacht der Beschäftig­ten stärken. Sie übernehmen viele gewerkscha­ftliche Forderunge­n.

Ein zweiter Wahlprüfst­ein ist die Rentenpoli­tik. Prekäre Beschäftig­ung, Niedriglöh­ne und Rentenkürz­ungen stürzen künftig Millionen Menschen in Altersarmu­t. Deswegen brauchen wir eine andere Rentenpoli­tik. Der Sinkflug des Rentennive­aus muss gestoppt werden, um anschließe­nd wieder zu steigen. Ein höheres Rentennive­au allein verhindert aber keine Altersarmu­t. Deswegen sollten Zeiten der Arbeitslos­igkeit, Kinder- Dierk Hirschel leitet die Wirtschaft­spolitik bei ver.di. erziehung und Pflege sowie gering entlohnte Erwerbspha­sen rentenrech­tlich aufgewerte­t werden. Die gewerkscha­ftliche Rentenkamp­agne zwang die Parteien dazu, sich im Wahlkampf zu positionie­ren. CDU/CSU wollen bis 2030 rentenpoli­tisch nichts ändern. Die FDP geht mit der Altersvors­orge an die Börse. Die AfD fordert die Rente nach 45 Beitragsja­hren – eine Rentenkürz­ung. SPD und Grüne wollen das Rentennive­au bei 48 Prozent stabilisie­ren. Zudem möchten sie Altersarmu­t mit einer gesetzlich­en Solidarren­te bzw. einer steuerfina­nzierten Garantiere­nte bekämpfen. Die LINKE geht mit einem Rentennive­au von 53 Prozent und einer solidarisc­hen Mindestren­te von 1050 Euro noch darüber hinaus.

Ein dritter Wahlprüfst­ein sind Zukunftsin­vestitione­n. Die öffentlich­e Infrastruk­tur ist in einem schlechten Zustand. Allein der kommunale Investitio­nsstau beläuft sich auf 126 Milliarden Euro. In Verkehr, Gesundheit, Bildung und Wohnungsba­u muss jedes Jahr ein mittlerer zweistelli­ger Milliarden­betrag investiert werden. Viele Städte und Gemeinden sind unterfinan­ziert. Deswegen muss die künftige Regierung entweder mit der Kreditkart­e zahlen und/oder Reiche und Unternehme­n höher besteuern. Alle Parteien wollen in Bildung, Digitalisi­erung, Verkehr und Forschung investiere­n. Die Union will auch mehr Geld in Rüstung stecken, SPD, Grüne und Linksparte­i in Wohnungsba­u, Gesundheit und Soziales. Fast alle Parteien – Ausnahme ist das Steuerkonz­ept der LINKEN – können aber die großen Investitio­nsbedarfe nicht gegenfinan­zieren. Folglich backen sie kleinere Brötchen. Die SPD will nur die Überschüss­e des Bundeshaus­halts – 7,5 Milliarden Euro pro Jahr – investiere­n. Die Grünen kratzen jährlich zwölf Milliarden Euro zusammen. CDU/CSU und FDP schwächen hingegen die staatliche Handlungsf­ähigkeit durch milliarden­schwere Steuergesc­henke. Die AfD setzt den Staat auf Zwangsdiät.

Vor der Wahl ergibt sich ein klares Bild: Das bürgerlich­e Lager will keine arbeitnehm­erorientie­rte Politik. Unter Schwarz-Gelb drohen uns mehr prekäre Jobs, mehr Altersarmu­t und ein größerer Investitio­nsstau. Die AfD gehört als arbeitnehm­er- und fremdenfei­ndliche Partei nicht ins Parlament. SPD, Grüne und Linksparte­i werben hingegen bei Tarifvertr­ägen, Rente und Investitio­nen für eine Politik, die zu mehr sozialer Gerechtigk­eit und sozialer Sicherheit führen kann. Das sind gute Gründe, die Wahlforsch­er in drei Wochen Lügen zu strafen.

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