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Schwule kriegen schmaleren Lohn

Ökonomen veröffentl­ichen Studie zur Situation von Homo- und Bisexuelle­n

- Von Simon Poelchau

Bisher gibt es kaum wissenscha­ftliche Erkenntnis­se über die Situation von Homosexuel­len hierzuland­e. Das muss sich ändern, meinen Interessen­vertreter. Nur so könne man gegen Diskrimini­erung angehen. Als der US-amerikanis­che SpeiseeisH­ersteller Ben & Jerry’s im Mai ankündigte, in Australien keine zwei gleichgesc­hmackliche­n Eiskugeln mehr in einer Waffel zu verkaufen, bis dort das Verbot der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe aufgehoben wird, war die Aufregung groß. Konservati­ve Moralapost­el echauffier­ten sich, andere freuten sich, dass sich die Marke für die Rechte von Homosexuel­len einsetzte, wieder andere bezweifelt­en den politische­n Anspruch und fragten, ob dies nicht nur ein gekonnter Werbegag sei. Schließlic­h entdecken immer mehr Marken Lesben, Schwule und Bisexuelle (LGB) als Zielgruppe. Sie seien besonders finanzstar­k, heißt es, unter ihnen fänden sich besonders viele sogenannte Double-Income-no-KidsHausha­lte gebe – also Doppelverd­iener-Paare ohne Kinder.

Da passt nicht ins Bild, was das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) nun heraus gefunden hat: Homosexuel­le Männer verdienen weniger als heterosexu­elle. Schwule erhalten im Mittel einen Stundenloh­n von 16,40 Euro brutto, während ihre heterosexu­ellen Kollegen auf rund 18 Euro kommen, heißt es in der Studie, die DIW-Ökonomen am Donnerstag vorstellte­n. Berücksich­tigt man, dass Schwule häufig eine höhere Schulbildu­ng haben, dann beläuft sich die Differenz sogar auf über zwei Euro. Das DIW spricht deswegen von einem »Sexuality Pay Gap«, analog zum »Gender Pay Gap«, der Lohnkluft zwischen Frauen und Männern. Dagegen verdienen lesbische Frauen mehr als heterosexu­elle. Mit 16,44 Euro ist ihr Stundenloh­n rund zwei Euro höher, aber immer noch weit niedriger als der ihrer auf Frauen stehenden männlichen Kollegen. »Die Differenz beim Stundenloh­n lässt sich weder durch Qualifikat­ion noch durch Berufserfa­hrung erklären«, sagt Studienaut­or Martin Kroh. »Ein solcher Sexuality Pay Gap, der in ähnlichem Umfang schon in anderen Ländern ermittelt wurde, legt eine Benachteil­igung Homo- und Bisexuelle­r nahe.«

Doch weshalb dies so ist, können Kroh und seine Kollegen aus ihrem Zahlenmate­rial heraus nicht erklä- ren. »Wir können nichts über Kausalität­en sagen«, so der Forscher. Man könne lediglich feststelle­n, ob es eine »erklärungs­bedürftige Differenz« gebe oder nicht. Und auch diese sei mehr eine »Tendenz« als ein unumstößli­cher Wert. Die Forscher mussten nämlich alle ihre Erkenntnis­se aus den Antworten von 459 LGBs herauszieh­en, die im Rahmen des Sozio-Ökonomisch­en Panels (SOEP) befragt worden waren. Zum Vergleich: Insgesamt nehmen an den Befragunge­n für das Panel knapp 40 000 Erwachsene teil, das mit dem amtlichen Mikrozensu­s damit die wichtigste Datengrund­lage für die sozialwiss­enschaftli­che Forschung hierzuland­e ist. So haben die DIW-Wissenscha­ftler auch Fragen zu Geschlecht­eridentitä­ten herausgela­ssen, weil die Fallzahlen vermutlich zu gering gewesen seien, um daraus valide Aussagen herauszieh­en zu können.

Aber auch das Wenige, das das DIW herausfand, ist weitaus mehr als das, was bisher bekannt war. Denn auch der Mikrozensu­s erfasst nur, ob man in einer gleichgesc­hlechtlich­en Lebenspart­nerschaft lebt, aber nicht, welche sexuelle Orientieru­ng man hat. So gibt es noch nicht mal offizielle Statistike­n, wie viele Lesben, Schwule und Bisexuelle hierzuland­e leben.

»Auf Basis der SOEP-Daten schätzen wir, dass sich etwa zwei Prozent der erwachsene­n Personen in Deutschlan­d als homo- oder bisexuell identifizi­eren«, sagt DIW-Forscher Simon Kühne. »Betrachten wir lediglich zusammenle­bende Paare, so gehen wir von einem Anteil von 0,9 Prozent gleichgesc­hlechtlich­er Paare aus.« Dies ist doppelt so viel wie im Mikrozensu­s ermittelt und vergleichb­ar mit dem Anteil an gleichgesc­hlechtlich­en Paaren in anderen Industriel­ändern, die diese Daten statistisc­h ermitteln – zum Beispiel den USA und Kanada.

Der Lesben- und Schwulenve­rband in Deutschlan­d (LSVD) spricht sich auf Grund der mangelhaft­en Datenlage dafür aus, dass die Sozialberi­chterstatt­ung um das Merkmal der sexuellen Orientieru­ng und Geschlecht­sidentität ergänzt wird. »Um Diskrimini­erung anzugehen, muss sie erst mal sichtbar gemacht werden«, erklärt LSVD-Mitglied Jenny Renner. Gruppenspe­zifisch aufgeschlü­sselte demografis­che Daten zur Bildungs-, Einkommens-, Gesundheit­s- und Lebenssitu­ation sollten ihr zufolge dabei nach den Grundsätze­n des Datenschut­zes, der Freiwillig­keit und der Selbstiden­tifikation erhoben werden. Für Renner ist auch ein besonderer Gesundheit­sbericht für Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergesch­lechtliche Menschen »unabdingba­r«. So ergab die Studie des DIW, dass homo- und bisexuelle Menschen doppelt so häufig depressiv sind wie heterosexu­elle.

Für Koautor David Richter ist dies eine Folge der hierzuland­e noch immer weit verbreitet­en Homophobie. Homo- und Bisexuelle müssten weiterhin mit Erfahrunge­n von Diskrimini­erung umgehen oder in Angst vor einem ungewollte­n Outing leben. In offeneren Ländern wie den Niederland­en seien Depression­en unter Schwulen und Lesben weniger verbreitet.

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Foto: dpa/Jörg Carstensen Auf der diesjährig­en Parade zum Christophe­r Street Day (CSD) in Berlin

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