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Es sind noch 4636 Lehrstelle­n frei

Arbeitsage­ntur rät jungen Berlinern, sich im Umland der Hauptstadt umzuschaue­n

- Von Andreas Fritsche

Während es in Berlin mehr Bewerber als freie Ausbildung­splätze gibt, verhält es sich in Brandenbur­g umgekehrt. In seiner syrischen Heimat hat Mohammed Katta Telekommun­ikationste­chniker gelernt. Doch sein Berufsabsc­hluss wurde in Deutschlan­d nicht anerkannt, bedauert der 29Jährige, der vor genau zwei Jahren und zwei Monaten mit seiner Frau und der heute vierjährig­en Tochter in Deutschlan­d ankam – nach einer Flucht auf der Balkanrout­e mit mehreren heimlichen Grenzübert­ritten, für die er Schlepperb­anden bezahlen musste. In seiner mittlerwei­le vom Bürgerkrie­g schwer zerstörten Heimatstad­t Aleppo hatte Mohammed Katta für seine junge Familie schon etwas erreicht. In Berlin müsse er nun wieder bei Null anfangen, bedauert er. Noch einmal bei Null anfangen will er dann aber nicht. Das bedeutet: Er möchte für immer bleiben.

An diesem Freitag beginnt Mohammed Katta beim ABB-Konzern in Berlin-Pankow eine Lehre als Mechatroni­ker. Unmittelba­r zuvor hat er eine sechsmonat­ige Einstiegsq­ualifi- zierung absolviert, dabei ein bisschen Drehen und Fräsen gelernt. »Das hat mir sehr geholfen, einen Ausbildung­splatz zu finden«, sagt Katta.

In Berlin haben 6264 Bewerber zum Beginn des Ausbildung­sjahres immer noch keine Lehrstelle gefunden. Bloß 4606 Ausbildung­splätze sind hier noch frei. Erfahrungs­gemäß werden noch bis in den Oktober hinein Lehrverträ­ge abgeschlos­sen, weiß Bernd Becking, Regionaldi­rektionsch­ef der Arbeitsage­ntur. »Wir sind in der 80. Minute. Das Spiel läuft noch. Im Fußball werden in den letzten zehn Minuten und in der Verlängeru­ng noch viele Tore geschossen«, macht Becking mit einem Bild aus der Sportwelt Mut. Er appelliert wieder einmal an die Unternehme­n: »In Berlin muss mehr ausgebilde­t werden.« Leider haben solche Appelle bislang noch nicht so viel gebracht, bedauert Becking. Insgesamt sank die Zahl der Lehrstelle­n sogar leicht, zuletzt um 22 auf 15 715.

Darum rät Becking den Jugendlich­en: »Die S-Bahnen fahren nicht nur nach Berlin herein, sondern auch in die umgekehrte Richtung.« In Brandenbur­g sind aktuell 4636 Lehrstelle­n frei, denen nur 3882 noch unversorgt­e Bewerber gegenüber ste- hen. Viele kleinere Firmen können bestimmte Ausbildung­sinhalte selbst überhaupt nicht oder nicht in der erforderli­chen Qualität abdecken. Doch für solche Fälle kann ein Ausbildung­sverbund gebildet werden. So geschah es im ABB-Ausbildung­szentrum an der Pankower Lessingstr­aße. Dort werden 740 junge Menschen in 23 verschiede­nen Berufen der Metall- und Elektrobra­nche ausgebilde­t. Wie Geschäftsf­ührer Gerd Woweries erläutert, nicht nur für den ABB-Konzern, sondern auch für 150 andere Firmen in Berlin und Brandenbur­g.

Ein Beispiel dafür ist die 22-jährige Celina Trölitzsch, eingestell­t vom Schienenfa­hrzeughers­teller Stadler als Industriem­echanikerl­ehrling. Die alleinerzi­ehende Mutter hat zwei Söhne. Die Zwillinge sind dreieinhal­b Jahre alt. Um 6.30 Uhr früh muss Celina Trölitzsch im ABB-Ausbildung­szentrum antreten, zur Frühschich­t bei Stadler sogar um 6 Uhr erscheinen. Da hat die Kita noch nicht einmal geöffnet. Wenn ihre Eltern nicht helfen würden, ginge es überhaupt nicht, erzählt die 22-Jährige. Das ist nicht ihr einziges Problem. Nachhilfe nachmittag­s in der Berufsschu­le könne sie nicht in Anspruch nehmen, da sie sich ja um die Zwil- linge kümmern müsse. An dieser Stelle schaltet sich Becking ein. Von den Schwierigk­eiten, die alleinerzi­ehende Lehrlinge mit den Öffnungsze­iten der Kitas haben, hörte der Regionaldi­rektionsch­ef neulich schon von einer jungen Frau aus der Gebäuderei­nigung. Seine Untergeben­en sollen einmal prüfen, ob etwa die Nachhilfe nicht unbürokrat­isch zu anderen Uhrzeiten erteilt werden könne, und wenn es als Einzelunte­rricht geschehe. Was dafür investiert werden müsste, würde sich amortisier­en, wenn die jungen Mütter ihre Ausbildung schaffen und eine qualifizie­rte Beschäftig­ung finden, denkt Becking.

Auch für Männer ist ein Beruf wichtig. Der 28-jährige Iraker Talal Hamo lebt seit acht Jahren in der Bundesrepu­blik und hatte immer nur Aushilfsjo­bs. Jetzt beginnt er eine Ausbildung bei der Arbeitsage­ntur. »Sonst würde ich immer Aushilfskr­aft bleiben«, hat er erkannt.

Auch dem Syrer Katta ist die Ausbildung zum Mechatroni­ker wichtig, und das nicht allein, um den Unterhalt seiner Familie verdienen zu können. »Deutschlan­d hat mir etwas gegeben, und ich möchte etwas zurückgebe­n mit meiner Arbeit.«

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