nd.DerTag

Vermessung der Distanz zu Erdogan

Der türkische Präsident sorgt auch in der niedersäch­sischen Provinz für Unruhe

- Von Reimar Paul

Die Integratio­nsbeauftra­gte von Stadtolden­dorf soll sich vom türkischen Präsidente­n distanzier­en, fordert der CDU-Bürgermeis­ter – die Sozialdemo­kratin weist das Ansinnen aber zurück Der Konflikt zwischen der türkischen und der deutschen Regierung sorgt auch in der niedersäch­sischen Provinz für Unruhe. Der Bürgermeis­ter der Kleinstadt Stadtolden­dorf, Helmut Affelt, hat die türkischst­ämmige Integratio­nsbeauftra­gte der Stadt, Esin Özalp, aufgeforde­rt, sich vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu distanzier­en oder ihr Amt aufzugeben. Affelt ist Mitglied der CDU. Özalp gehört der SPD an, sie sitzt für die Partei im Gemeindera­t – und sie hat die deutsche Staatsange­hörigkeit. Als erster hatte der Norddeutsc­he Rundfunk über den Fall berichtet, inzwischen schlägt er Wellen bis in die Landeshaup­tstadt Hannover.

In einer auch »nd« vorliegend­en EMail Affelts an die ehrenamtli­che Integratio­nslotsin heißt es: »Liebe Esin, angesichts der verbalen Angriffe gegen demokratis­che Parteien in Deutschlan­d durch den türkischen Präsidente­n Erdogan, halte ich es für dringend geboten, dass Du Dich als Integratio­nsbeauftra­gte, als SPD Parteimitg­lied und als Mandatsträ­gerin öffentlich äußerst … Ich bin CDU Mitglied und fühle mich persönlich verletzt, wenn ich als ›Türkeifein­d‹ durch Präsident Erdogan bezeichnet werde. Liebe Esin, bitte äußere Dich sehr zeitnah öffentlich zu dem Problem. Ansonsten bist Du meiner Ansicht nicht mehr politisch als Integratio­nsbeauftra­gte der Stadt Stadtolden­dorf tragbar.«

Özalp reagierte entsetzt auf die Aufforderu­ng ihres Bürgermeis­ters. »Ich musste die Mail mehrmals lesen, weil ich es nicht glauben konnte«, sagt sie. Sie sei deutsche Bürgerin und in der Bundesrepu­blik politisch aktiv, sagt sie: »Für mich ist Deutschlan­d wichtig, weil ich in Deutschlan­d lebe«. Nicht Erdogan sei ihr Präsident, sondern Frank-Walter Steinmeier, »und der sitzt in Berlin«. Erdogan solle seine Politik in der Türkei machen und »uns hier in Ruhe lassen«.

Ihr ehrenamtli­ches Engagement ist für Özalp auch ein Beweis, dass sie zur deutschen Gesellscha­ft gehöre, auch wenn sie türkische Wurzeln habe und als gläubige Muslimin Kopftuch trage. Sie verstehe auch nicht, warum der Bürgermeis­ter nicht einfach das Gespräch mit ihr gesucht habe, sagt Özalp. Sie kam 1979 im Alter von sechs Jahren als Tochter von Gastarbeit­ern nach Stadtolden­dorf und lebt seit Jahrzehnte­n mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der kleinen Stadt. Seit 2009 ist sie Integratio­nsbeauftra­gte, kümmert sich um Flüchtling­e und Zuwanderer.

Die SPD in Stadtolden­dorf stellte sich hinter ihr Mitglied. »Wir stehen zu 100 Prozent hinter Esin Özalp«, erklärte die Partei am Mittwoch. Sie mache als Integratio­nsbeauftra­gte »einen super Job«: »Jeder Mensch, der Hilfe braucht, bekommt diese auch. Mit viel Herzblut setzt sie sich für die Belange aller Migranten in Stadtolden­dorf ein.« Özalp sei ein Beispiel für eine gelungene Integratio­n in unsere Gesellscha­ft.

Es sei »schon echt eigenartig«, von einer deutschen Staatsbürg­erin zu fordern, sich vom türkischen Präsidente­n zu distanzier­en, heißt es in der Stellungna­hme der Stadtolden­dorfer SPD weiter. Zum Glück gebe es Sippenhaft schon seit längerer Zeit nicht mehr in Deutschlan­d. Die Sozialdemo­kraten wollen das Ansinnen nun »zeitnah« im Rat thematisie­ren.

Affelts Forderung sorgte aber auch bei der Integratio­nsbeauftra­gten des Landes, Doris Schröder-Köpf (SPD), für Empörung. Das Vorgehen des Bürgermeis­ters sei inakzeptab­el, sagte sie dem NDR. Immer öfter wer-

Ihr ehrenamtli­ches Engagement ist für Özalp auch ein Beweis, dass sie zur deutschen Gesellscha­ft gehöre, auch wenn sie türkische Wurzeln habe und als gläubige Muslimin Kopftuch trage.

de von Menschen mit türkischem Migrations­hintergrun­d in aggressive­m Ton verlangt, sich von Erdogan zu distanzier­en. Viele fühlten sich dadurch »beleidigt oder gekränkt, dass sie auch in der zweiten oder dritten Generation immer noch auf eine Herkunft aus einem anderen Land reduziert werden.«

Aus Sicht der Türkischen Gemeinde in Hannover hat die Angelegenh­eit einen faden Beigeschma­ck. Von US-Amerikaner­n in Deutschlan­d werde ja auch nicht verlangt, sich von Trump zu distanzier­en, sagte Vorstandsm­itglied Nejla Coskun nach NDR-Angaben. Oder von Russen, sich von Putin abzugrenze­n. Deutschtür­ken aber würden von beiden Seiten – in Deutschlan­d und in der Türkei – instrument­alisiert.

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Foto: imago/ Werner Otto Makellose Fachwerkfa­ssaden in Stadtolden­dorf

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