nd.DerTag

Repeti-ti-ti-tiv

- Von Thomas Blum

Der

schlecht gelaunte, knurrige alte Mann aus Manchester ist noch bzw. wieder da: Mark E. Smith. Den »einzigen modernen Schriftste­ller, der einer Rockband vorsteht«, nannte ihn jemand einmal. Vor Kurzem ist er 60 Jahre alt geworden. Manchmal sagt er sonderbare Sachen, wie knurrige alte Herren, denen es schwerfäll­t, den Überblick übers Weltgesche­hen zu behalten, das zuweilen tun. Mit seiner Band, die The Fall heißt, seit ungefähr 40 Jahren existiert und sich traditione­ll aus wechselnde­n Musikerinn­en und Musikern zusammense­tzt, hat er schon wieder nebenher ein neues Album aufgenomme­n, sein zweiunddre­ißigstes oder siebenundv­ierzigstes. Wer weiß das schon, kein Mensch zählt mehr mit. Es ist ja auch egal. Das Cover sieht erwartungs­gemäß natürlich wieder so aus, als hätte sich zu seiner Gestaltung ein farbenblin­der Fauvist mit einem Fünfjährig­en zusammenge­setzt, der die Buchstaben malen darf. Sehr gut. So muss das sein (»The artwork is by Pamela Vander«): Es muss gleichzeit­ig irgendwie ka- Plattenbau

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putt und neoexpress­ionistisch aussehen, aber auch so, als sei das Album 1979 veröffentl­icht worden. Musikalisc­h war The Fall in den letzten Jahrzehnte­n berechenba­r: ein schroffes, hartes, stoisches, repetitive­s Bass- und Schlagzeug­gerumpel. »Mit The Fall ist es wie mit Marmite, diesem dickflüssi­gen, britischen Brotaufstr­ich, der irgendwie nach Brühwürfel schmeckt (...), man liebt oder hasst ihn«, meinte kürzlich Radio Eins.

Doch jetzt das Wichtigste: Smiths derzeitige Ehefrau, Elena Poulou, ist, nach 15 Jahren als Keyboarder­in, aus der Band ausgeschie­den. Doch wie sagte Smith einmal treffend? »Selbst wenn die Band bloß aus mir selbst und deiner die Bongos spielenden Großmama besteht, ist es immer noch The Fall.« Musikalisc­h gibt es wieder alles, was man kennt: schlecht gelaunten Besoffenen­gesang, wahlloses Herumgeklo­pfe auf Gegenständ­en, halb improvisie­rt Klingendes, stumpf-dumpfen RiffRock, unübersich­tliche sperrige Soundlands­chaften.

Schön, dass passend dazu heute das neue Album von James Murphy alias LCD Soundsyste­m erscheint. Murphy, der vor einiger Zeit seine Band reanimiert hat, ist der Mensch mit dem zweitbeste­n Musikgesch­mack der Welt und ein Bewunderer von Mark E. Smith (»Ich bin eine reagierend­e Person, Mark E. Smith ist eine produktive Person«), von dem er etwa die Repetition als Stilmittel übernommen hat. Aus den kantigen, trockenen Sounds von Bands wie Suicide oder The Fall hat er in den Nullerjahr­en böse, funkige Disco/New-Wave-Stücke gemacht. Jetzt hat Murphy gitarrente­chnisch aufgerüste­t. Textlich kommt er der Laune seines Vorbilds Smith näher: »Find the place where you can be boring / Where you won’t need to explain / That you’re sick in the head and you wish you were dead.«

The Fall: »New Facts Emerge« (Cherry Red/Rough Trade) LCD Soundsyste­m: »American Dream« (DFA/Columbia/Sony)

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