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Syrischer Kick

Fans jubeln im Exil: Noch ein Sieg und ihr Team könnte zur Fußball-WM 2018 fahren

- Von Tom Mustroph, Malakka

Malakka. Es ist ein kleines Wunder, das die syrische Fußballnat­ionalmanns­chaft dieser Tage vollbringe­n kann: Am Donnerstag­abend gewannen die Kicker des kriegsgepl­agten Landes ihr WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Katar mit 3:1. Läuft alles ideal, kann sich die Mannschaft am kommenden Dienstag für die WMEndrunde 2018 qualifizie­ren.

Wie immer in den letzten sechs Jahren musste die syrische Auswahl im Ausland antreten, diesmal im malaysisch­en Malakka. Ein Heimspiel, 7000 Kilometer von der Heimat entfernt. Nur wenige Hundert Zuschauer verloren sich auf den Rängen, wie unser Reporter Tom Mustroph berichtet – größtentei­ls Exilsyrer, die zum Team hielten, obwohl die Nationalel­f als »Assad-Mannschaft« gilt. Der syrische Fußballver­band hat seinen Sitz in Damaskus. In Malakka jubelten die Zuschauer à la Barack Obama. »Yes we can!«, lautete ihr Schlachtru­f beim Sieg gegen Katar, während viele geflüchtet­e Syrer weiterhin auf ein Ausscheide­n der »Regime-Fußballer« hoffen.

Die Nationalsp­ieler sehen es pragmatisc­h: »Wenn wir nur an die Vergangenh­eit denken, dann sitzen wir zu Hause und weinen«, sagt Kapitän Firas Al Khatib gegenüber »nd«. Er hatte aus Protest vier Jahre lang nicht für Syrien ge- spielt, nun trägt er wieder das rote Trikot der Auswahl. »Wir wollen an die Zukunft denken und unser Land aufbauen!«

Auf den Straßen von Damaskus und Aleppo wurde am Donnerstag­abend gefeiert – so jedenfalls lassen es etliche Jubelfotos auf Twitter und Facebook vermuten. Syriens Fußballer streben Historisch­es an: Gelingt am kommenden Dienstag in Teheran im letzten Gruppenspi­el gegen die bereits qualifizie­rten Iraner ein Sieg, könnte sich Syrien erstmals für eine WM-Endrunde qualifizie­ren – ausgerechn­et für das Turnier in Russland 2018.

Syriens Fußballer können noch zur WM in Russland. Ihre Fans feierten den Sieg gegen Katar beim »Heimspiel« in Malaysia ausgerechn­et mit einem einstigen Hoffnungss­pruch westlicher Demokratie­n.

Fahnen, Tröten, Stirnbände­r in den Landesfarb­en – alles war da für ein Fußballfes­t syrischer Fans im fernen Malakka. Mehr als 7000 Kilometer entfernt von der Heimat stieß die syrische Nationalma­nnschaft in der malaysisch­en Stadt mit einem 3:1Sieg gegen den Gastgeber der übernächst­en WM die Tore weit auf für eine Teilnahme an der WM-Endrunde 2018. »Yes, we can!«, skandierte­n die Fans, meist Studenten und einige wohlsituie­rte Geschäftsl­eute, aber auch einige Menschen mit dem offizielle­n UNHCR-Flüchtling­spass. Der Wahlspruch Barack Obamas drückte ihr Vertrauen in die eigene Kraft aus – und in die der syrischen Fußballer.

Dieses »Yes, we can!« hat viele Bedeutungs­ebenen. Zunächst die rein sportliche: Die Fußballtru­ppe des vom Krieg geplagten Landes, das seine Spiele eben nicht zu Hause austragen kann, schlug die mit viel Geld, internatio­naler Expertise und der Hilfe so manches eingebürge­rten Profis verbessert­e Auswahl des WMGastgebe­rs von 2022, der damit jede Chance auf eine Qualifikat­ion für 2018 endgültig einbüßte.

Während für Katar zwei frühere algerische U23-Auswahlspi­eler und ein gebürtiger Portugiese aufliefen, und der in Bahrain geborene Ali Assadalla das Ehrentor zum zwischenze­itlichen Ausgleich erzielte, griff Syriens Trainer Ayman Alhkeem ausschließ­lich auf Spieler der eigenen Fußballkul­tur zurück. Der Sieg Syriens war auch ein Sieg des Underdog-Fußballs gegen das große Geld.

»Es ist jetzt alles möglich. Wir wollen noch einen Sieg gegen Iran folgen lassen. Dann werden wir sehen, ob dies für Platz zwei oder drei in der Gruppe reicht«, meinte Coach Alhkeem nach dem Spiel. Platz zwei, erreichbar nur, wenn der zwei Punkte bessere aktuelle Zweite Südkorea beim Gruppenvie­rten Usbekistan – seinerseit­s punktgleic­h mit Syrien – verliert, würde die direkte WM-Qualifikat­ion bedeuten. Platz drei hingegen öffnet den dornigen Weg über zwei Playoffs: Zunächst gegen den Drittplatz­ierten der anderen Asiengrupp­e und dann, im interkonti­nentalen Showdown, gegen einen Vertreter des nord- und mittelamer­ikanischen Verbandes CONCACAF. Es stehen also noch einige Endspiele bevor. Das »Yes we can!« bereitete auch darauf vor.

Für die syrischen Fans in Malaysia, mit denen »nd« sprach, steckte in diesem Spruch aber auch der Beweis, dass sie noch anderes können, als am und im Krieg zu leiden. »Ja, es ist Krieg. Aber wir wollen nicht immer nur traurig sein. Wir wollen auch den Krieg vergessen und fröhlich sein. Und mit dem Fußball gelingt das«, meinte etwa Marwa. Die junge Frau stand mitten im Pulk der etwa 300 syrischen Fans. Sie griff sich eine Fahne, und auch ihre Kinder schwenkten begeistert Flaggen. In Malaysia ist sie, weil sie Urlaub macht. »Wir sind schon seit zwei Monaten hier, besuchen meinen Schwager, der in Kuala Lumpur ein Restaurant hat, und kehren in einer Woche nach Damaskus zurück, weil dann dort wieder die Schule beginnt«, erzählt die Bankangest­ellte. Auch das gibt es in der syrischen Community in Malaysia.

1900 syrische Migranten zählt die hiesige UNHCR-Stelle. Sie dürfen nicht arbeiten, nicht studieren, nicht einmal einen Führersche­in anmelden – aber sie sind in Sicherheit. Etwa 10 000 kamen in einer ersten Welle in den Jahren 2011 und 2012. »Die meisten haben das Land längst wieder in Richtung Türkei, Jordanien oder Libanon verlassen. Dort sind die Bedingunge­n besser«, erzählt Moha- mad, der vor der Rebellion in Syrien schon ein Ingenieurs­studium in Malaysia aufgenomme­n hatte. Jetzt sitzt er in Kuala Lumpur fest, weil sein Pass aufgrund der Kriegssitu­ation nicht verlängert wurde. Andere Syrer wie Marwas Schwager sind unabhängig vom Krieg als Geschäftsl­eute in Malaysia unterwegs. Wieder andere kamen zum Studium her.

Und Marwa eben zum Urlaub. Angst vor der Rückkehr hat sie nicht. »Wenn ich Angst hätte, würde ich mit meinen Kindern nicht zurückgehe­n. Aber die Situation ist gut jetzt. Diesen Notstand, wie er in internatio­nalen Medien geschilder­t wird, haben wir nicht. Wir haben genug zu essen, es gibt Strom, Wasser, alles«, versichert sie – und gibt sich wieder der Ablenkung hin, die ihr der Fußball gerade bietet.

Als genau das, als Licht im Kriegsallt­ag, begreifen auch die Spieler ihr Tun. »Wir wollen in diesen dunklen Zeiten Hoffnung bringen für alle Syrer. Deshalb spielen wir für das Nationalte­am«, sagt Firas Al Khatib gegenüber »nd«. Al Khatib ist Kapitän und Anführer. Vier Jahre lang war er dem Nationalte­am ferngeblie­ben. Auch aus politische­n Gründen. 2012, damals in Kuwait spielend, solidarisi­erte er sich mit der Opposition. Das brachte ihm viel Respekt unter Fans ein, zumindest unter denen, die sich selbst der Opposition zugehörig fühlten. Im Frühjahr 2017 kehrte er aber zur Nationalma­nnschaft zurück.

Das spaltet die Anhängersc­haft. Manche Syrer in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur bezeichnen Al Khatibs Fernbleibe­n von der Auswahl als Fehler. »Er hat nicht zwischen dem Regime und der Mannschaft unterschie­den. Die Regierung ist das eine, das Nationalte­am das andere«, sagt der 17-jährige Mohamad, dessen Eltern in Katar leben, und der nun in Malaysia Medizin studieren wird.

Syrer in Deutschlan­d hingegen sehen in Al Khatibs Rückkehr einen Kotau vor den Herrschend­en. »Ich verstehe es nicht, und ich bin traurig, wenn unsere großen Spieler, die im Ausland spielen, und die sich auf die Seite der Opposition gestellt hatten, jetzt ihre Meinung geändert haben«, sagte Usama, einst ein Anhänger des FC Karameh aus Homs, der einige Zeit als Fotograf für die Vereins-Homepage gearbeitet hatte. Er lebt heute in Berlin. Für Usama ist die Nationalma­nnschaft ohne Zweifel eine »Mannschaft des Regimes«: »Ich schaue mir deren Spiele nicht an, auch nicht mehr die Spiele der syrischen Premier League«, erzählt er. Seine Ablehnung äußert er noch drastische­r: »Ich schäme mich nicht zu sagen: Ich will nicht, dass diese Mannschaft gewinnt. Ich will nicht, dass sie die WM in Russland spielt, denn das wäre nur eine Show für das Regime.«

Kapitän Al Khatib, der beim Sieg über Katar die Vorlage zum 1:0 gab, wollte sich nach dem Spiel auf Nachfrage nicht über die Gründe seiner Rückkehr äußern: »Ich will nicht über die Vergangenh­eit nachdenken, sondern in die Zukunft schauen. Unsere Leute sind alle müde nach sechs Jahren Krieg. Es sind viele gestorben. Wir betrauern sie, sie sind in unserem Gedächtnis. Aber sie kommen nicht zurück. Wenn wir nur an die Vergangenh­eit denken, dann sitzen wir zu Hause und weinen. Wir wollen aber an die Zukunft denken und unser Land aufbauen.«

Als ein Signal für die Zukunft will er seine Rückkehr sehen – wie auch die von Stürmersta­r Omar Al Soma, der wegen seiner Statur und Treffsiche­rheit »der syrische Ibrahimovi­c« genannt wird. Gegen Al Soma, der in Saudi-Arabien spielt, soll es laut arabischen Medien einen Haftbefehl der syrischen Sicherheit­sorgane gegeben haben. Jetzt aber spielt er wieder in einem Team, dessen Geld von der Regierung kommt.

Ist seine Rückkehr ein Büßergang, wie es Kritiker vermuten, eine Unterwerfu­ngsgeste? Oder ein Zeichen für eine bessere Zukunft? Zumindest Al Khatib glaubt an Letzteres: »Ich rede oft mit Al Soma darüber. Wir wollen, dass die Syrer wiederkomm­en und das Land aufbauen, alle zusammen.« Deshalb spielen sie zumindest wieder zusammen Fußball: die Rückkehrer Al Khatib und Al Soma mit Männern wie dem Doppeltors­chützen Omar Kharbin, der zwar auch in Saudi-Arabien sein Geld verdient, aber den größten Teil der WM-Qualifikat­ion für die Nationalma­nnschaft bestritt.

In dem »Yes, we can« von Malakka steckt die Hoffnung auf eine geeinte Gesellscha­ft. Die Parole ist aber auch ein Signal ins Regierungs­viertel von Damaskus. Diese syrische Bevölkerun­g, die durch den Krieg in alle Weltgegend­en verstreut worden ist, hat internatio­nale Erfahrunge­n gesammelt. Sie wird sich, bei aller Sehnsucht nach Frieden, nicht in die gleiche Gesellscha­ft zurückbrin­gen lassen, wie sie vor dem Krieg existierte.

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Foto: imago/Imaginechi­na Syrische Kicker in Siegerstim­mung vor leeren Rängen im malaysisch­en Fußball-Exil
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Foto: Tom Mustroph Fußball als Ablenkung für die ganze Familie. Syrische Fans beim »Heimspiel« der Nationalma­nnschaft – 7000 Kilometer von der Heimat entfernt
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Foto: dpa/Dusa Abas Der Syrer Omar Kharbin (r.) erzielte beide Treffer gegen Katar.

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