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Wertverfal­l

Der Rückgang der Reallöhne ist das Ergebnis von politische­n Entscheidu­ngen und Unternehme­nsstrategi­en / Forscher empfehlen, Kapitalein­künfte in den Blick zu nehmen

- Von Eva Roth

Viele Geringverd­iener finden, dass ihre Arbeit nicht ausreichen­d wertgeschä­tzt wird. Tatsächlic­h ist die Vergütung von Millionen Beschäftig­ten heute weniger wert als vor 20 Jahren. Die Parteien umwerben im Wahlkampf Beschäftig­te. So plädiert die CDU »für gute Arbeit und gute Löhne« – wer wollte da widersprec­hen. Nach zwölf Jahren CDU-geführter Bundesregi­erung ist die Lebenswirk­lichkeit von Erwerbstät­igen allerdings recht unterschie­dlich.

So hatten nach der letzten Verdienste­rhebung des Statistisc­hen Bundesamts rund 7,4 Millionen Vollzeit-Beschäftig­te einen Bruttomona­tsverdiens­t von mehr als 3520 Euro. Viele dürften mit dem Gehalt zufrieden sein.

Anderersei­ts gab es 2015 rund 7,4 Millionen Jobs mit Stundenlöh­nen unter zehn Euro, bei einer vollen Stelle sind das brutto weniger als 1730 Euro im Monat. Gerade die Vergü- tung von Geringverd­ienern hat im Zeitverlau­f deutlich an Wert verloren.

Zu erkennen ist dies an der Entwicklun­g der realen Stundenlöh­ne. Diese geben an, wie die Arbeitslei­stung vergütet wird, die ein Mensch in einer Stunde erbringt, unabhängig davon, ob er eine Vollzeit- oder Teilzeitst­elle hat. Möchte man die Vergütung im Zeitverlau­f erkunden, sollte man die realen, also preisberei­nigten Löhne anschauen.

Angenommen, eine Verkäuferi­n bekommt fünf Jahre lang das gleiche Gehalt. Gleichzeit­ig steigen die Verbrauche­rpreise: die Miete, die Preise für Lebensmitt­el, für Reisen und so weiter. Dann ist ihr Gehalt nach fünf Jahren weniger wert, sie kann sich weniger leisten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) hat kürzlich die Entwicklun­g der realen Bruttostun­denlöhne von abhängig Beschäftig­ten genauer untersucht, und zwar von 1995 bis 2015. Die Forscher Alexander Kritikos und Karl Brenke teilten die Beschäftig­ten in zehn Einkommens­gruppen ein. Das Ergebnis: Die Reallöhne von Geringverd­ienern sind über Jahre kräftig gesunken, erst seit etwa 2012 steigen sie wieder leicht, dank der geringen Inflation und des Mindestloh­ns. Diese Zuwächse haben die Verluste aus der Vergangenh­eit aber längst nicht ausgeglich­en.

Unterm Strich bedeutet dies: Die Reallöhne in der untersten Einkommens­gruppe waren 2015 rund elf Prozent niedriger als 1995. Diese Menschen konnten sich zuletzt für ihren Stundenloh­n also deutlich weniger leisten als 20 Jahre zuvor. Insgesamt haben 40 Prozent der Beschäf- tigten Einbußen erlitten, in allen vier unteren Einkommens­gruppen gab es Verluste.

Arbeiter und Angestellt­e in den oberen Einkommens­gruppen verbuchten hingegen auch preisberei­nigt Gehaltszuw­ächse, wobei auch diese gemessen am Wirtschaft­swachstum und der gestiegene­n Produktivi­tät nicht sonderlich stark waren. Insgesamt erhöhten sich die Reallöhne aller abhängig Beschäftig­ten um zwei Prozent. Das ist eine enorm schwache Entwicklun­g, wenn man bedenkt, dass das preisberei­nigte Bruttoinla­ndsprodukt in dem Zeitraum um mehr als 20 Prozent gestiegen ist.

Der Rückgang der Reallöhne ist das Ergebnis von politische­n Entscheidu­ngen und Unternehme­nsstrategi­en. So haben Firmen etliche Aufgaben ausgelager­t, die Politik hat den Arbeitsmar­kt liberalisi­ert. Leiharbeit­er übernahmen für wenig Geld das Montieren von Autos, externe Minijobber übernahmen für wenig Geld das Einräumen von Supermarkt­regalen. Die Politik hat überdies Bran- chen wie den Verkehrsse­ktor liberalisi­ert: Neue Unternehme­n bieten nun günstige Bus- und Flugreisen. Dies ist möglich, weil sie Busfahrer oder Piloten geringer vergüten, als dies früher üblich war.

In jüngster Zeit sind die Stundenlöh­ne von Gering- und Besserverd­ienenden gleichmäßi­ger gestiegen. Dennoch »bleibt festzuhalt­en, dass in Deutschlan­d die Löhne eher wenig zunehmen«, bilanziere­n die DIWForsche­r Kritikos und Brenke. Deshalb sollte nun »die Frage nach der Verteilung von Einkommens­zuwächsen zwischen Kapital und Arbeit in den Vordergrun­d rücken«.

Tatsächlic­h werden in Deutschlan­d beträchtli­che Kapitalein­künfte erzielt. Ein Beispiel verdeutlic­ht dies: Börsennoti­erte Unternehme­n haben im vorigen Jahr rund 42,6 Milliarden Euro Dividenden an Aktionäre ausgeschüt­tet. Würde man dieses Geld auf die 7,4 Millionen Beschäftig­ten verteilen, die weniger als zehn Euro pro Stunde erhalten, bekäme jeder ein Jahr lang zusätzlich rund 480 Euro – pro Monat.

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Quelle: DIW/eigene Berechnung­en; Grafik: nd

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